Nina Hutzfeldt

Im Schatten der Lady Cumberland


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darf ich das verstehen?« Lara legte das Handtuch zur Seite und lehnte sich gegen die Tür.

      »Na ja, du machst deine Arbeit gut. Aber irgendwie bist du anders. Das haben mir mehrere deiner Kunden erzählt. Sie meinten, du hättest dein Lächeln verloren. Stimmt irgendwas in deiner Familie nicht?«

      »Nein, es ist alles in Ordnung.« Lara griff nach ihrer Kette. Natürlich war gar nichts in Ordnung. Marcel hatte sie verlassen, ihre Schwester Janet hatte sie schon seit Monaten nicht mehr gesehen – und ihre Mutter. An die mochte sie gar nicht denken. Es hatte immer wieder verzwickte Situationen gegeben, in denen sie einfach nicht zueinanderfanden. Laras Familie hatte es schwer gehabt. Irgendwann war damals das Jugendamt gerufen worden und Lara wurde ihrer Mutter weggenommen. Und das nur, weil ihre ältere Schwester beim Schließen der Wohnungstür geschlampt hatte. Die Tür war nicht richtig verriegelt und sprang auf. Wie der Teufel es wollte, kam gerade die Hausmeisterfrau vorbei und schickte ihren neugierigen Blick auf Wanderschaft. Überall in der kleinen Wohnung türmten sich Berge von Müll. Essensreste, Zeitungen und ungewaschene Kleider versperrten den Durchgang. Lara war mal wieder frech gewesen und wurde gerade von ihrer Mutter auf das Übelste beschimpft. Die Hausmeisterfrau blickte sich mit einem Ich-weiß-was-was-du-nicht-weißt-Blick um und rief sofort die Polizei. Und da war es geschehen. Der erste Dominostein war gefallen und er nahm viele weitere mit sich. Das Jugendamt, die Männer in den weißen Kitteln und Laras Erzeuger, der auch der Vater ihrer Schwester war, wurde gerufen. Da ihm nicht viel an seinen Kindern lag, ließ er die beiden Teenager in einem Heim unterbringen. Von dort aus hatte Lara sich ihren Weg selbst erkämpft und war zu einer guten Friseurin geworden.

      »Deine Kundin ist da.« Christin riss sie aus ihrer Trance. Zum Glück, dachte Lara. So konnte sie sich aus dem Gespräch mit Frau Schnick stehlen, ohne sich eine Notlüge ausdenken zu müssen.

      »Hallo Frau Meinert. Wie geht es Ihnen heute?« Lara trat zu einer älteren Dame, die sie mit dicken Brillengläsern musterte. Vorsichtig nahm die junge Friseurin Frau Meinert die Jacke ab und hängte sie an die Garderobe. »Kommen Sie, setzen Sie sich. Darf ich Ihnen etwas anbieten?«, fragte Lara und lächelte gezwungen.

      »Ja, einen schwarzen Kaffee und ein Glas Leitungswasser, bitte.«

      »Sehr gerne.« Im Rücken spürte Lara den Blick ihrer Chefin. Sie hasste es, beobachtet zu werden, aber gab sich alle Mühe, sich zusammenzureißen.

      »Bitte sehr.« Lara stellte den Kaffee und das Wasser auf die Ablage. Sofort nahm Frau Meinert das Leitungswasser und lächelte Lara zufrieden an. »Was darf ich denn heute für Sie tun?«

      »Ich möchte ein bisschen Farbe in meinem Haar. Es sieht so trostlos aus.« Frau Meinert griff sich ins Haar, als würde sie eine Prise Salz in den Kochtopf tun.

      »An was haben Sie denn gedacht?«

      »Beraten Sie mich. Was würde mir stehen? Im Supermarkt gibt es einen neuen Fleischer der wirklich nett aussieht.« Lara schmunzelte und begann Farbpaletten auszubreiten. Dabei plapperte Frau Meinert fröhlich, während Lara geduldig zuhörte. Ab und zu beteiligte sie sich am Gespräch, widmete sich ansonsten ihrer Arbeit.

      Kurz bevor Frau Meinert fröhlich den Laden verließ, steckte sie Lara einen Zehn-Euro-Schein zu.

      »Danke.«

      »Kaufen Sie sich etwas Schönes. Ich sehe einfach wundervoll aus.« Sie tastete vorsichtig ihr frisch frisiertes Haar.

      »Ja, Sie sehen schick aus. Bestimmt wird der Fleischer ein Auge auf Sie werfen.« Lara lächelte. Sie hielt ihrer Kundin noch die Tür auf, spannte der älteren Frau den Schirm auf und winkte ihr zum Abschied zu. Danach räumte Lara den Stuhl auf und fegte die Haare zusammen. Frau Schnick war gerade mit einer schwierigen Kundin im Gespräch und Christin kassierte ihre Kundin ab, als die Türglocke läutete. Zwei junge Männer traten ein und blickten sich um. Ohne Weiteres traten sie auf Lara zu, obwohl Christin viel näher bei ihnen stand.

      »Guten Tag. Haben Sie Zeit, meinem Freund die Haare zu schneiden?«

      »Aber natürlich.« Der Freund, dessen Namen Lara nicht kannte, lächelte. Seine Hände hatte er in den Taschen vergraben. »Setzen Sie sich doch bitte.« Lara zeigte auf den Stuhl neben dem, auf dem Frau Meinert gesessen hatte. Der Kunde setzte sich, nachdem sein Begleiter ihm die Aufforderung ins Englische übersetzt hatte.

      »Wissen Sie, mein Freund spricht kein Deutsch. Wir kommen aus England.«

      »Oh, das ist wirklich sehr interessant. Wir haben ja nicht jeden Tag Gäste von der Insel. Wie ist es dort? Ich meine, Flensburg ist ja ein Dorf verglichen mit London.«

      »Ja, es ist sehr ruhig. Aber schön.« Der junge Mann fuhr sich durch die zurückgekämmten Haare.

      Vielleicht mag er aus England kommen, aber seine Vorfahren mussten Türken oder Albaner sein. Er hatte gebräunte Haut und pechschwarzes Haar.

      »Übrigens: Ich bin Lara.«

      »Oh, wie unhöflich.« Der Begleiter legte sich eine Hand auf die Brust. »Ich bin Timur. Und mein Kumpel heißt Daniel.« Als Daniel seinen Namen hörte, verzog er seine Lippen zu einem Grinsen und hob grüßend die Hand. Lara stellte sich hinter den Stuhl und fuhr Daniel durch die viel zu lange Mähne. Dabei musterte die junge Friseurin ihren neuen Kunden. Er hatte dunkelblondes Haar, blaue Augen und einen durchtrainierten Körper. Er trug ein Shirt, das den Blick auf seine Tattoos an den Armen freigab.

      »Ich werde am Hinterkopf etwas mehr wegnehmen.« Lara nahm die Haarschneidemaschine. Sie schnitt und prüfte, schnitt und prüfte … »So. Fertig.« Lara tat etwas Gel auf die Hand und massierte es in die frische Frisur ein.

      »That´s wonderful.«

      Zum ersten Mal konnte Lara Daniels Stimme hören. Sie war rau, als befände er sich im Stimmbruch. Aber er hatte wohl nur einen Frosch im Hals.

      »Er findet es wunderschön«, übersetzte Timur.

      »Ja, ich weiß. Ein wenig Schulenglisch ist hängengeblieben«, lächelte Lara.

      Timur blinzelte ihr zu. »Wie viel bekommen Sie von uns?«

      »Ich gehe kurz zur Kasse und rechne es aus.«

      Timur und Daniel folgten der jungen Friseurin.

      »Sechzehn Euro bitte.« Lara verlagerte ihr Gewicht auf einen Fuß. Daniel holte sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche und zog einen Fünfzig-Euro-Schein. Dann sagte er etwas zu Timur.

      »Der Rest ist für dich«, übersetzte Timur und Lara glaubte, sich verhört zu haben.

      »Entschuldigen Sie. Aber das ist zu viel. Das kann ich nicht annehmen.«

      Daniel winkte ab, als Lara ihm das Wechselgeld reichte. »Doch. Er besteht darauf«, lächelte Timur.

      »Hey Daniel, I´m sorry. But I can´t...«

      Lara versuchte noch, ihrem Kunden verständlich zu machen, dass das viel zu viel Geld war, aber da waren die beiden schon aus der Tür.

      »Goodbye, Miss Lara«, hörte sie Daniel noch sagen.

      »Das kann doch nicht sein.« Sie blieb an der Tür stehen und blickte hinaus. Der Regen hatte immer noch nicht aufgehört.

      »Was ist denn passiert? Waren die beiden Herrschaften nicht zufrieden?«, fragte Frau Schnick und trat zu Lara.

      »Doch, doch.« Lara hielt die Faust mit dem Trinkgeld fest verschlossen.

      »Und warum schaust du ihnen denn hinterher? Es gibt hier genug zu tun.«

      »Ja, Frau Schnick. Sofort.« Leise atmete Lara aus und begann ihren Stuhl aufzuräumen. Danach suchte sie die benutzten Handtücher zusammen, um sie in die Waschmaschine zu geben.

      Die Türglocke läutete erneut und Annika stand mit einer durchsichtigen Plastiktüte, in der sich eine Papiertüte vom Bäcker befand, an der Rezeption.

      »Guten Tag Frau Lauch. Was kann ich für Sie tun?«, fragte Frau Schnick, Kamm und Schere in der Hand.

      »Ich