Nina Hutzfeldt

Im Schatten der Lady Cumberland


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so recht, was sie darauf antworten sollte.

      »Und da bist du endlich. Er wird sich so freuen. Du bist das erste Mädchen, das er mit nach Hause bringt.« Hatte er Charlene auch erzählt, dass sie sich so gut wie gar nicht kannten? Dass sie gerade mal zwei Worte miteinander gesprochen hatten? Lara runzelte die Stirn.

      Die Tür ging auf und Daniel, gefolgt von Gary, kam ihr entgegen. Stürmisch umarmte er Lara und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Sofort begannen ihre Organe sich zusammenzuziehen. Sie spürte wieder dieses Verbrechen, diesen Betrug. Was Marcel wohl gerade tat? Ob er an sie dachte?

      »Ich freue mich so sehr, dass du hier bist«, murmelte der Lord auf Deutsch.

      »Daniel hat fleißig geübt, um dich zu überraschen.« Charlene fegte mit einer schnellen Bewegung ihr glänzendes Haar hinter den Rücken. Gary beobachtete Lara mit Argusaugen.

      »I´m going to show you your bedroom.« Daniel verfiel ins Englische.

      Lara nickte und hakte sich bei ihm unter.

      »Hast du das Kennenlernen mit meiner Schwester schon überstanden?« Er lachte scherzhaft und tätschelte Laras Hand. Sie stiegen die überaus großen Treppenstufen hinauf, durchquerten Korridore, bis sie vor einer weiteren hohen Tür stehen blieben.

      »Schließ die Augen«, befahl er und Lara tat, wie ihr geheißen. Sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde, und tat langsam einen Schritt vor den anderen. Eine frische Brise traf sie wie ein leichter Stromschlag. In der Ferne konnte man vereinzelte Vögel zwitschern hören.

      »Jetzt darfst du sie wieder öffnen.« Laras Augenlider begannen zu flattern, ihr Herz pochte.

      Das Zimmer war riesig. Ein Himmelbett, das mit einer dicken Matratze ausgestattet war, ragte in den Raum, lange Brokatvorhänge und viele teuer aussehende Gemälde zierten die Wände. Eine alte Chaiselounge stand vor dem Fenster und blickte in die Ferne, während die große Schrankwand hinter der Tür müde dreinschaute. Es befand sich noch eine weitere Tür im Schlafraum. Lara drehte an dem goldenen Knauf, ging durch die Tür und stand in einem Badezimmer mit Eckbadewanne, zwei Waschbecken und einer Toilette. Was hier allerdings sicher nicht hingehörte, waren die Massen roter Rosen, die den gesamten Schlafsaal zierten. Aus allen Himmelsrichtungen strömte die Energie der Blumen auf Lara ein. Sie schloss für einen weiteren Moment die Augen. Dann schritt sie durch den Saal, an das offene Fenster und spähte hinaus. In der Ferne konnte sie die hohen Wolkenkratzer sehen, die sich der Sonne entgegenreckten und die Vögel, die ihre Runden drehten.

      »Wow.« Lara wandte sich Daniel zu. »Ist das alles für mich?«

      Der junge Mann nickte. »Ich dachte, ein paar Rosen wären schön für eine Rose.«

      »Ein paar? Das soll wohl ein Witz sein.« Lara lächelte zaghaft.

      »Na ja.« Er klatschte in die Hände. »Ich werde dich alleine lassen, so dass du ganz in Ruhe auspacken und dich ein wenig erholen kannst. Der Flug war sicher anstrengend. In circa einer halben Stunde hole ich dich ab.« Daniel küsste Lara erneut auf die Wange und schloss die Tür.

      Mit Anlauf sprang Lara aufs Bett. Es war wirklich so weich, wie es aussah. Als sie den Blick durch den Raum schweifen ließ, fiel ihr ein kleiner Brief auf, der angelehnt an einer der vielen Blumenvasen stand, neben der Chaiselounge, auf einem kleinen Beistelltisch. Auf dem Umschlag stand in großer, verschnörkelter Schrift ihr Name. Verstohlen schaute sie zur Tür und lief dann flink wie eine Gazelle hin. Vorsichtig, als würde jeden Moment der Alarm losgehen, nahm sie den Umschlag und zog den Brief heraus.

       Liebste Lara,

       ich weiß, wie viel Mut du aufbringen musstest, um zu mir zu fliegen. Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest und ich hatte Angst, dich nie wieder sehen zu können. Aber du bist hier, und ich freue mich so sehr, dich hier bei mir zu wissen. Hoffentlich gefallen dir die Rosen, denn sie sind ein Zeichen meiner Liebe zu dir. Eigentlich hatte ich nie vor, mir die Haare schneiden zu lassen, aber als ich dich durch das Schaufenster sah, dein Lachen und deine Bewegung, habe ich es mir zur Lebensaufgabe gemacht, dich kennenzulernen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Somit kann ich dir nur sagen: Ich liebe dich und hoffe, dass du diese Liebe erwidern kannst.

       Dein Daniel

      Was um alles in der Welt sollte das bedeuten? Ein Lord hatte sich in sie verliebt. Lara ließ den Brief fallen und stellte sich vor den großen Spiegel. Was war an ihr so schön? Die Haare, die ihr durch das ewige Waschen und Föhnen spröde über die Schultern hingen? Die kleine Knollnase und die Augen, die so müde wirkten? Einfach kaputt. Laras Blick glitt hinüber ins Bad, zur Badewanne. Sie hatte etwa dreißig Minuten Zeit. Sollte sie sich wie zu Hause fühlen? Ihre Mundwinkel zuckten und sie begann, schelmisch zu grinsen. Schnell zog sie sich ihre Kleidung aus und sprang in die Wanne. Sie versuchte sich das Wasser auf eine angenehme Temperatur zu stellen, um sich abzuduschen. Zum Baden hatte sie jetzt keine Zeit, obwohl ihr das eher zugesagt hätte. Wann hatte Lara das letzte Mal gebadet? So weit sie sich erinnern konnte, hatte ihre Mutter nie eine Wohnung mit einer Badewanne gemietet. Ihre Gedanken schweiften zu Marcel. Sie sah ihn regelrecht vor sich. Er schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was tust du nur? Warum kommst du immer auf so beschissene Ideen?«, tadelte er. Doch trotzdem hatte er ihr immer wieder gesagt, dass er sie gerade deswegen so liebte ... Und nun wurde all das weggespült wie Sand. Lara hielt den Duschhahn über ihren Körper und spülte den Rest Liebe, der sich noch in ihrem Herzen befand, fort. Sie wollte Marcel vergessen und sich der Welt wieder öffnen.

      Lara kramte in ihrer Tasche und bemerkte erst jetzt, dass sie nichts Passendes zum Anziehen mitgenommen hatte. Gedankenverloren setzte sie sich aufs Bett und tastete nach der Kette. Vorsichtig drehte sie am Verschluss und ließ sie in ihre Hand sinken. Als es an der Tür klopfte, erschrak sie.

      »Lara bist du da?«, rief Charlenes Stimme vor der Tür.

      »Ja, ich ...« Lara wickelte sich das Handtuch fester um ihren Körper. »Ich hab nur noch nichts an.«

      »Das macht nichts.« Die Tür ging auf und Daniels Schwester trat ein. »Ich habe mir schon gedacht, dass du nichts Passendes für das Dinner eingepackt hast.« Sie reichte Lara ein lilafarbenes Kleid. »Es müsste dir passen... Was um alles in der Welt machst du da?« Charlene blickte auf die knicksende Lara.

      »Gary hat mir gesagt, dass ich vor der Lady und dem Lord knicksen muss und da ich jetzt weiß, wer du bist.« Lara nahm ihr das Kleid ab und wandte sich um, um ins Bad zu gehen.

      »Gary nimmt seine Sache ein wenig zu ernst. Er ist nur ein kleiner Angestellter, der sich ab und zu sehr wichtig findet.« Charlene winkte ab. »Los, zieh es an.«

      Lara schlüpfte in Unterwäsche und Kleid. Es war knielang und hatte eine blitzende Brosche unter der Brust.

      »Das sieht entzückend aus«, meinte Charlene, als Lara aus dem Bad kam. »Ich werde dich schminken und dir die Haare machen – wenn ich darf.«

      Charlene hatte sich verabschiedet, um sich selbst noch einmal umzuziehen während

      Lara ein wenig wie bestellt und nicht abgeholt vor dem Spiegel stand und ihre Frisur prüfte. Charlene hatte sich wirklich Mühe gegeben und das Ergebnis war mehr als gelungen. Als Friseurin konnte Lara das mit geschultem Blick erkennen.

      Vor Lara standen Pumps mit zwölf Zentimeter hohen Absätzen. Ob sie auf diesen Dingern überhaupt laufen konnte, war fraglich. Aber Charlene zuliebe musste sie es einfach tun. Ihre Generalprobe würde sogleich beginnen. Die junge Britin hatte ihr geraten, sich einfach nicht so oft zu bewegen. Vorsichtig trat sie in den ersten und dann in den zweiten Schuh. »Gleichgewicht halten, Lara«, sagte sie sich und tat einen Fuß vor.

      »Oh je, hat meine Schwester dich in eines ihrer Kleider gezwängt?«, fragte Daniel. Erschrocken drehte Lara sich um und verlor das Gleichgewicht. Daniels blitzschneller Reaktion war es zu verdanken, dass Lara nicht gestürzt war wie ein lahmes Pferd. »Hoppsa.«

      »Entschuldige. Es sind nur die Schuhe.