Nina Hutzfeldt

Im Schatten der Lady Cumberland


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Reiseführerin, die mit wildem Haar und quietschender Stimme den Touristen ordentlich einheizte, lachen.

      »Weiter geht’s zum Trafalgar Square«, sagte sie mit Singsang und streckte ihre Arme weit aus, in die Richtung, in der die Nelsonstatue in vierundsechzig Meter Höhe stand. Lara schaute auf die Karte.

      »Weißt du, die Statue ist zum Gedenken an Admiral Horatio Nelson errichtet worden. Er ist in der Schlacht von Trafalgar gefallen«, erzählte Charlene mit Feuereifer. Der Trafalgar Square kam Lara so riesig vor, wie ein Stadtteil von Flensburg. Danach ging es weiter zum großen Paradeplatz in der Nähe der Whitehall, Downing Street, und danach zum Big Ben, wo eine kleine Pause eingelegt wurde.

      Daniel führte Lara zum Turm. »Komm mit, ich mache ein paar Fotos, die wir bei Facebook posten können. Deine Schwester wird vor Neid erblassen.« Er lachte und zog sein iPhone aus der Hosentasche. Schon begann das Blitzlichtgewitter und Lara stellte sich, gefolgt von Charlene, in Pose.

      »Du musst auch mit aufs Foto«, sagte Lara und zog Daniel vor die Kamera. Mit ausgestrecktem Arm knipste er das Trio. Es war sehr schön. Die Themse, das Hufklappern der Pferde, die die vorbeifahrenden Kutschen zogen, und die Touristen, die ihre Augen hinter der Linse versteckten. Lara schloss die Augen, um den Moment aufzusaugen. Die Fahrt ging weiter und Lara bekam mehr und mehr von der Schönheit Londons zu sehen. Daniel postete mittlerweile die Fotos vom Big Ben und von der Fahrt über Laras Facebook-Profil.

      »Woher hast du meine Logindaten?«, fragte Lara nervös.

      »Du hast sie gespeichert.« Daniel lächelte. »Tut mir leid. Ich dachte, ich lade die Fotos schon mal hoch. Ich wusste nicht, dass dir das etwas ausmacht.« Er machte ein bedrücktes Gesicht. »Dir hat eine Christin geschrieben. Die war doch auch im Laden, oder?« Er zeigte mit dem Finger auf das total chaotische Foto von Christin. Sie streckte ihre Zunge verführerisch in die Kamera, so dass ihr Piercing gut zur Geltung kam.

      »Was schreibt sie denn?«, fragte Lara, zog ihre Frage aber sogleich zurück, denn Daniel verstand ihre Sprache ja nicht. »Sorry. Ich hatte vergessen, dass du kein Deutsch kannst.«

      »Aber ich werde es jetzt lernen.« Er reichte ihr das iPhone und ließ ihr Zeit, Christin zu antworten.

       Christin: Hey, na bist du gut angekommen?

       Lara: Ja, sehr gut. Es ist sehr schön hier. Alles viel größer. Haben gerade Fotos gemacht. Janet glaubt mir nicht.

       Christin: Ich weiß. Sie hat mir geschrieben.

       Lara: Und war sie sehr sauer?

       Christin: Sauer ist gar kein Ausdruck. Sie ist wütend. Aber ich habe ihr alles erklärt. Sie hat

       es verstanden.

       Lara: Da bin ich ja beruhigt. Du, ich muss Schluss machen. Wir halten gerade am Buckingham

       Palace. :-*

      Lara loggte sich aus und gab Daniel das iPhone zurück.

      »Danke. Christin hat mit Janet gesprochen und sie ein wenig besänftigt. Sie ist mir nicht mehr allzu böse.«

      »Das ist ja schön.« Daniels Haare leuchteten in der Sonne noch rötlicher als in Flensburg. Und da fielen ihr zum ersten Mal die Unterschiede zwischen Charlene und Daniel auf.

      Kapitel 7

       Somerset, Januar 1956

      Catherine führte Emma und Henry über einen Korridor, der in einer Art Treppenhaus mündete.

      »Hier geht es bis nach oben unters Dach. Wir Angestellten halten uns nur im Dienstbotentrakt auf. Es sei denn, wir müssen arbeiten.« Catherine ging voraus und blieb nach vielen Stufen auf einem kleinen Flur stehen, von dem drei Türen abgingen.

      »Hier ist Cadys und mein Zimmer. Dort das Bad und das ist euer Zimmer.« Catherine öffnete die Tür. Emma trat vorsichtig ein. Die Bodendielen knarrten bei jedem Schritt. Das Glas des kleinen Fensters war völlig verdreckt und im Nacken spürte sie die Spinnweben. An der Wand hing ein kleines Kruzifix und auf dem Nachttisch lag eine abgegriffene Bibel.

      »Ich werde euch trockene Sachen bringen. Heute könnt ihr euch noch ausruhen. Morgen früh um fünf Uhr treffen wir uns gewaschen und angezogen in der Küche. Mr. Harrisson erklärt uns den Tagesplan und Marjoire gibt uns den Essensplan. Eigentlich macht sie den immer am Sonntagabend, aber ab und zu ändert sie auf Wunsch der Herrschaften einige Gerichte.«

      »Wo sind denn Marjoires und Mr. Harrissons Zimmer?«, fragte Emma. Henry ging ins Zimmer, legte sich aufs Bett und schloss die Augen.

      »Er ist zu müde, um wach zu bleiben.« Emma strich sich über das feuchte Kleid.

      »Marjoire wohnt mit George in einem kleinen Cottage neben dem Friedhof. Irgendwie unheimlich. Aber sie wohnen schon ihr ganzes Leben dort.«

      »Dort ist doch auch die Kapelle.«

      »Das ist richtig. Die kleine weiße Kapelle mit der bronzefarbenen Kuppel. Wir Bediensteten dürfen am Sonntag zur Nachmittagsmesse gehen. Am Vormittag gehen die Herrschaften.«

      »Oh, wir gehen nicht so oft in die Kirche.« Emma lehnte dankend ab.

      »Das solltet ihr euch aber noch einmal überlegen. Die Lady legt ziemlich großen Wert darauf.«

      »Das werden wir.«

      »In Ordnung. Nun ruht euch aus. Die ersten Tage werden ziemlich anstrengend für euch sein.« Catherine schloss die Tür.

      »Catherine.« Emma öffnete die Tür noch einmal.

      »Was ist denn?«

      »Danke. Danke, dass ihr alles so lieb zu uns seid.«

      »Ach, schon in Ordnung. Ich lege euch die Kleider nachher vor die Tür. Denkt dran, morgen um fünf Uhr. Pünktlichkeit ist das A und O.«

      Emma zog ein altes Stofftaschentuch aus ihrer Rocktasche und begann, die Spinnweben damit zu entfernen. Sie wollte nicht mit bloßer Hand danach greifen. Mit der Spitze des Tuches rieb sie am Glas des Fensters. Der Dreck hatte das Zimmer in Dunkelheit gehüllt. Als sie fertig war, strich sie Henry über die Wange.

      »Oh, Henry. Wir haben es endlich geschafft«, seufzte sie und streifte sich die Schuhe ab. Danach kletterte sie unter ihre eigene Decke und schloss die Augen.

      Der Hahn krähte zum ersten Mal um vier Uhr. Emma öffnete ein Auge und setzte sich urplötzlich kerzengerade im Bett auf. Hatten sie verschlafen? Sie blickte hinaus und stellte erleichtert fest, dass die Sonne noch nicht aufgegangen war. Emma stand auf und öffnete die Tür. Auf dem Boden fand sie die versprochene Kleidung. Catherine hatte Wort gehalten. Nebenan konnte sie Cadys fröhliche Stimme hören. Sie war pünktlich aufgewacht. Emma nahm die Kleidung und schloss die Tür.

      »Henry.« Emma legte die Uniform aufs Bett und rüttelte ihren Bruder an der Schulter. »Henry, wach auf. Wir müssen uns fertigmachen. Wir wollen doch nicht zu spät kommen.«

      Der Junge öffnete ein Auge, rollte sich auf den Rücken und streckte beide Arme zum Himmel.

      »Hier. Zieh dir das hier an und dann komm.« Emma reichte ihrem Bruder die Kleidung und schlüpfte selbst in ihre Uniform. Danach tapste sie auf leisen Sohlen ins Bad und wusch sich das Gesicht. Sie versuchte, ihre Haare auf dem Kopf zu einem Knoten zu binden und unter der Haube zu verstecken.

      In der Küche konnten die Geschwister schon von draußen das Feuer im Kamin knacken hören. Eine fremde Stimme sprach mit Marjorie. Vorsichtig öffnete Emma die Tür. Sie nahm ihren Bruder an die Hand und schaute in Marjories fröhliches Gesicht. »Guten Morgen. Habt ihr gut geschlafen?«

      »Ja. Doch, sehr gut. Henry hat auch gut geschlafen. Er ist vor Erschöpfung sofort eingeschlafen.« Emma strich ihrem Bruder über die Wange. Henry wirkte verloren in seinen Kleidern. Emma musste sie unbedingt noch anpassen,