Nina Hutzfeldt

Im Schatten der Lady Cumberland


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Stimme.

      »Schatz, es ist gut. Lass Lara erst einmal ausatmen.« James nahm die Hand seiner Frau.

      Er war wie ein Löwe. Ein Beobachter, der im richtigen Moment die passenden Worte fand. »Nun verzehren wir noch unseren Nachtisch und dann werden wir uns alle zurückziehen.«

      Nach dem Abendessen verabschiedete Daniel sich vom Tisch und zog Lara hinter sich her. »Wohnen deine Eltern auch hier?«

      »Ja. Meine Eltern und meine Großeltern.«

      »Also lebt ihr alle unter einem Dach?«

      »So könnte man es sagen.« Er griff nach ihrer Hand. »Außer mein Großvater. Er kommt nur ganz selten nach London.«

      »Und wo wohnt er?«

      »Er wohnt in Somerset. Dort haben wir ebenfalls ein kleines Haus.«

      »Klein? Also ich finde es wirklich sehr groß.«

      »Ja.« Daniel lächelte und kratzte sich am Hinterkopf.

      Sie folgten dem Flur bis zur Eingangshalle. »Ach, ich hätte noch eine Bitte. Fast hätte ich es wieder vergessen.« Lara blieb stehen.

      »Ja, was ist denn?« Er lächelte und entblößte seine makellosen Zähne.

      »Hast du einen Internetanschluss?«

      »Ja.« Sein Lächeln wurde breiter. Er hatte vielleicht gerade den gleichen Gedanken wie Lara. Wer hatte heute kein Internet? Die Frage war also überflüssig.

      »Darf ich meiner Schwester eine Nachricht per Facebook schreiben? Ich hatte völlig vergessen, dass ich am Sonntag mit meiner Mutter und meiner Schwester verabredet bin. Ich muss ihr absagen, aber ich weiß nicht wie.«

      »Ja, natürlich.« Daniel zückte sein iPhone und tippte auf das Touchboard. »Hier.« Er reichte ihr das Handy und Lara beäugte das große Ding, wie sie es nannte, misstrauisch.

      »Du musst hier deine Daten eingeben und dann kannst du dich einloggen.« Er wartete geduldig, bis Lara sich eingeloggt hatte. Nachrichten blinkten dick und rot auf. Janet hatte ihr schon einige Male geschrieben und zu Laras Entsetzen war sie noch online.

       Janet: Wo zum Teufel bist du? Ich versuche schon die ganze Zeit, dich zu erreichen. :@

       Lara: Es tut mir leid. Ich wollte dich angerufen haben, aber mir ist etwas

       dazwischengekommen.

       Janet: Jetzt erzähl mir nicht, dass du für Sonntag absagst?

      Lara konnte den wütenden Tonfall ihrer Schwester durch das iPhone spüren. Er hallte in ihrem Ohr wie ein nicht aufhörendes Echo.

       Lara: Doch. Es tut mir leid.

       Jane: Das ist mir so was von scheißegal. Ich werde dich übermorgen aus dem Bett ziehen und

       dich über den Asphalt zu Mama schleifen.

       Lara: Daraus wird nichts, ich komme erst am Sonntag wieder nach Hause. Ich bin für einen

       Kurztrip nach London geflogen.

       Janet: Haha. Eine bessere Ausrede hast du wohl nicht.

       Lara: Ich werde dir morgen ein Foto schicken, damit du mir glaubst. So hab jetzt keine Zeit mehr.

       Ciao und Bussi an Mama.

      »Und, was sagt sie?« Daniel nahm das iPhone und steckte es zurück in seine Tasche.

      »Mm, was soll ich sagen. Sie ist etwas sauer. Sie glaubt mir nicht, deshalb müssen wir morgen unbedingt zum Big Ben oder zu einem anderen berühmten Bauwerk. Ich muss ihr ein Foto von mir schicken.«

      »Das wird wohl kein Problem darstellen.«

      »Es war ein sehr schöner Abend«, sagte Lara, als sie vor ihrer Zimmertür standen. Sie hauchte Daniel einen Kuss auf die Wange und verschwand in ihrem Gemach. Von innen ließ sie sich an der Tür zu Boden sinken und versteckte ihr Gesicht hinter ihren Händen. Ihre Füße und ihr Herz schmerzten. Die Füße wegen der hohen Schuhe und das Herz wegen der kurzen Annäherung zwischen Daniel und ihr. Sie hatte dieses Pochen in ihrem Herzen, das sich nicht abschütteln ließ und das sie ganz gewiss nicht schlafen lassen würde. Sie seufzte und zog die Schuhe aus. Vorsichtig stellte sie sie neben die Chaiselounge und legte das Kleid über die Lehne. Nur in einem T-Shirt bekleidet stand sie vor dem großen Fenster und lugte nach draußen. Der Mond stand hoch am Himmel. Plötzlich überkam sie diese Melodie, die ihre Mutter ihr in Kindertagen immer vorgesungen hatte. Und dann fing sie leise zu singen an. Der Mond ist aufgegangen ...

      Kurze Zeit später kroch sie auf die weiche Matratze und unter die warme Daunendecke. Obwohl es schon April war, war es noch kalt. Aber hier war es viel angenehmer als zu Hause. Lara dachte über das Essen nach und darüber, was Yuna über ihren Sohn gesagt hatte. »Ich hoffe das er durch dich ruhiger wird.« Inwiefern? Wie war er denn vorher? Fragen ohne Antworten ließen ihrem Kopf keine Ruhe.

      Die Nacht verlief unruhig. Sie hatte Mühe einzuschlafen. Sie wälzte sich unruhig hin und her, doch der Schlaf wollte sich einfach nicht einstellen.

      Kapitel 6

      Irgendwann musste Lara doch eingeschlafen sein, denn als sie erwachte, kroch ihr der Duft nach frischem Kaffee in die Nase. »Wie spät ist es?«, fragte sie verschlafen und drehte sich um. Daniel saß mit einem Tablett auf der Bettkante .

      »Bed and Breakfast«, sagte er und lächelte. Lara setzte sich auf und knetete ihre Haare wie feuchte Wäsche. »Hast du gut geschlafen?« Er stellte einen kleinen Betttisch über ihre Beine, um das Tablett darauf zu drapieren.

      Es war gefüllt mit Toast, Marmelade, heißen Würstchen und Rührei.

      »Guten Appetit.«

      Daniel schenkte ihr Kaffee ein. »Milch und Zucker?«

      »Beides, bitte.« Daniel tat zwei Löffel Zucker und einen Schluck Milch in den Becher mit der britischen Flagge drauf.

      »Meine Eltern mögen dich«, sagte er mit dem Blick nach draußen.

      »Aber, ich meine, sie kennen mich doch noch gar nicht richtig.« Lara biss von der Wurst ab.

      »Natürlich muss man sich erst richtig kennenlernen, aber sie finden dich nett.« Daniel lächelte, als er aus seiner Trance zurückkehrte.

      »Das freut mich.«

      Fünfundvierzig Minuten später stand Lara mit Charlene in der großen Halle und wartete auf Daniel. Es war ein kühler Tag, obwohl die Sonne schien. Lara hatte ihre Strickjacke aus der Tasche genommen, sich die Haare hochgesteckt und ein wenig Rouge aufgetragen.

      »Tut mir leid, Großmutter wollte noch kurz mit mir sprechen. Sie kommen heute Abend zurück.« Daniel hakte sich bei Lara ein.

      »Hat sie angerufen?« Charlene stieg in den schwarzen Mercedes, der vor dem Haus parkte.

      »Ja.« Daniel nickte. Gary schloss die Autotür, nachdem die drei jungen Erwachsenen eingestiegen waren. Zusammengepfercht wie Schafe saßen sie auf der Rückbank. Ihre Beine streiften sich und Laras Herz begann zu hüpfen, als Daniel nach ihrer Hand tastete. Sie hatte Marcel vergessen. Es war, als würde er auf der anderen Seite eines langen Tunnels stehen.

      »Gary wird uns zum Piccadilly Circus bringen, von wo aus wir die Sightseeingtour beginnen.« Charlene zog eine Karte aus ihrer Tasche und reichte sie Lara.

      »Danke.«

      Zehn Minuten später saßen sie auf dem Deck eines Doppeldeckerbusses und genossen die Aussicht auf die Eros Statue, die inmitten von Touristen aus dem Trubel herausstach. Als Knotenpunkt der wichtigsten Straßen von London war der Platz ein beliebter Treffpunkt. Der Bus fuhr in östliche Richtung zum Leicester