Nina Hutzfeldt

Im Schatten der Lady Cumberland


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Sonntag gehen Leo und Fiona Cumberland mit ihrem Sohn Oscar in die winzige Kapelle. Es ist eine kleine Zeremonie, die nur wenige Dorfbewohner besuchen. Danach versammelt sich die Familie auf dem eigenen Friedhof. Vor einigen Jahren ist ihre Tochter Marianne im Meer ertrunken. Es war ein schrecklicher Tag. Die Lady hat es nie verwunden. Mariannes Zimmer muss immer sauber sein. Du darfst dich dort nie lange aufhalten. Für ein Dienstmädchen ist es sehr wichtig, unsichtbar zu sein. Wie alt seid ihr eigentlich?« Cady setzte sich auf einen der Stühle.

      »Vierzehn. Wir sind Zwillinge.« Emma legte ihre Hände auf den Schoß.

      »Der junge Lord ist sechzehn. Er ist eine wahre Augenweide. Doch eine Dienstmagd darf nicht für ihren Arbeitgeber schwärmen. Außerdem habe ich meinen Liebsten im Dorf. Er ist Bäcker.«

      Mr. Harrisson betrat den Raum und räusperte sich. Angespannt erwarteten die Vier die Worte des Butlers.

      »Die Herrschaften haben eingewilligt. Sie geben den beiden Kindern eine Chance. Oben, unter dem Dach, wird Catherine ihnen das Zimmer herrichten.«

      Eine magere Frau trat aus dem Schatten. Sie trug die gleiche Uniform wie Cady. Über ihrer Schulter hing ein Staubtuch. »Guten Tag. Weil ihr neu seid, habt ihr eine sechswöchige Probezeit. Ihr werdet täglich drei Mahlzeiten einnehmen, einen Platz zum Schlafen bekommen und jeden Sonntag habt ihr frei. Außer in der Hauptsaison. Es kommen viele Menschen hierher, die alle bedient werden müssen. Es ist immer sehr aufregend.«

      »Ja, das stimmt. Man bekommt Dinge zu Ohren, die man nicht hören sollte und sieht Menschen, die man nicht sehen sollte.«

      »In Ordnung. Das klingt interessant.«

      »Außerdem müssen wir herausfinden, wo die Frau ist, die euch auf dieses Schiff geschickt hat. Es ist unverantwortlich.« Marjoire tat das Gemüse in eine Schale, die goldene Griffe hatte.

      »Ja, aber wir haben den ganzen Weg alleine geschafft. Darauf können wir stolz sein. Danke, dass Sie mir und Henry eine Chance geben. Wir versprechen, Sie nicht zu enttäuschen«, sagte Emma zu Mr. Harrisson.

      »Das hoffe ich sehr. Catherine wird euch das Zimmer zeigen.«

      »Ihr werdet neue Kleider brauchen. Kannst du mit der Nadel umgehen?«

      »Na ja, es geht so.« Emma senkte den Kopf.

      »Ich werde es dir beibringen und dann wirst du aus den Stoffresten für euch neue Kleidung herstellen. Aber vorerst bekommt Henry neue Hosen und einen Pullover. Du, Emma, wirst eine Uniform bekommen.«

      Emma nickte.

      »Kommt, ich zeige euch das Zimmer. Danach wird Henry zu George gebracht und du wirst deine ersten Aufgaben von mir bekommen.«

      Kapitel 5

       London, April 2012

      Eingehakt schlenderte Lara neben Daniel den Korridor entlang, zurück zur großen Halle. An einer großen walnussfarbenen Tür blieben sie stehen. »Meine Großeltern sind heute nicht da. Mein Großvater ist in Somerset. Eigentlich ist er nie in London.« Daniel schüttelte den Kopf. »Und meine Großmutter ist irgendwo zum Essen eingeladen.«

      »Müsste ich Angst vor deinen Großeltern haben?« neugierig auf eine Antwort kniff Lara die Augen zusammen.

      »Hm, lass mich überlegen ...« Er legte einen Zeigefinger an die Lippen. »... eigentlich nicht.«

      »Na also«, lächelte Lara und legte ihre Hand in die von Daniel. Gary öffnete die Tür und kündigte den jungen Lord und seine Begleitung an. Lara musste schmunzeln, denn sie wurde noch nie vor dem Betreten eines Raumes angekündigt. Es war alles so formell, obwohl sie doch eine Familie waren. Eine Familie mit hohem Ansehen!

      Auf dem glänzenden Marmorfußboden lag ein purpurroter Läufer, der zu einem Tisch führte, der bestimmt zweimal so lang war wie Laras Schlafzimmer. Eine junge Frau mit dunkler Haut saß neben einem großen Mann im Anzug mit Manschettenknöpfen. Sie war ziemlich sicher eine Thailänderin. Der Mann dagegen hatte weiße Haut, dunkelblondes Haar und ein zerknirschtes Gesicht.

      »Hallo, Lara. Wie geht es dir?«, sagte die Frau, stand auf und ging um den Tisch herum. Sie reichte ihr die Hand. Lara nahm sie zögernd an.

      »Hallo.«

      »Ich bin Yuna Mali, die Mutter von Daniel. Und das hier ist James, Daniels Vater.«

      Sie legte ihre Hände ineinander. »Kommt. Setzt euch zu uns.«

      Daniel zog Lara den Stuhl zurecht und setzte sich dann neben sie. Charlene saß am Kopfende und spielte mit ihrer Gabel.

      »Vielen Dank für die Einladung. Es ist wirklich sehr freundlich von Ihnen.«

      »Gern geschehen. Wir hatten immer schon sehr gerne Gäste um uns. Es ist sicher aufregend für dich. Daniel hat uns erzählt, dass du aus Flensburg kommst?«

      »Ja.« Lara nickte und versuchte, unter dem Tisch nach Daniels Hand zu greifen. Sie fühlte sich etwas unsicher. Die vielen Fragen in einer fremden Sprache.

      »Und dann fliegst du in eine so große Stadt. Ich hätte das niemals gemacht.« Yuna bekam vom Sprechen einen trockenen Mund.

      »Ich bin mir sicher, dass Lara sich das lange überlegt hat. Und sie hat sich richtig entschieden.« Charlene hob ihr Glas und zwinkerte Lara zu. Währenddessen hatte Lara Daniels Hand gefunden. Er streichelte ihren Daumen.

      »Ich finde London toll. Ich war noch nie in so einer großen Stadt.«

      »Das ist doch wunderbar. Dann kann Daniel ja morgen eine Sightseeingtour mit dir machen«, schlug Yuna vor.

      Plötzlich sprangen die Türen auf und fünf junge Frauen in schwarzen Uniformen mit weißen Schürzen kamen herein und brachten die Vorspeise. Krabbencocktail.

      »Magst du keine Krabben?«, fragte James. Es war das erste Mal, dass Lara seine Stimme hörte. Bei dieser Frau war es auch schwer, zu Wort kommen.

      »Aber ja. Ich bin am Meer groß geworden. Allerdings nicht an der Nordsee.«

      »Wenn du möchtest, kann ich morgen dein Guide sein?«, fragte Charlene in die Stille hinein.

      »Wenn du magst. Mir ist es gleich.« Lara nahm sich die Gabel und pickte eine Krabbe nach der anderen heraus. Der Hauptgang bestand aus argentinischem Rind mit Salatbeilage.

      Während das Mahl eingenommen wurde, war es still. Die Dienstboten wirkten wie Gespenster. Man glaubte, sie wären nicht da und doch verschwand das benutzte Geschirr wie von Zauberhand. Lara genoss die Zeit und hörte genau hin, wenn sich die Familie in schnellem Englisch unterhielt. Daniel versuchte, ihr alles haarklein zu erklären, doch das gestaltete sich äußerst schwierig.

      »Hast du eigentlich Geschwister?«, fragte Yuna nach dem Hauptgang. Sie nahm sich einen Zahnstocher und fing an, sich zwischen den Zähnen herumzustochern.

      »Ja, ich habe eine Schwester.« Lara legte das Besteck auf den Teller und schob ihn auf die Tischmitte. Oh je, jetzt hatte sie schon wieder vergessen, Daniel nach dem Internet zu fragen. Sie musste es sich hinter die Ohren schreiben, damit sie es kein drittes Mal vergaß.

      »Und was bist du von Beruf?«

      »Friseurin. Ich arbeite bei mir im Dorf, mein Weg zur Arbeit ist wirklich nur ein Katzensprung.«

      »Das ist ja interessant. Vielleicht magst du mir irgendwann einmal die Haare machen?« Yuna fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

      »Bestimmt. Zu einem gegebenen Anlass.«

      »Es ist so schön, dich hier bei uns zu wissen. Daniel hat uns noch nie eine Frau vorgestellt.« Yuna blickte ihren Sohn liebevoll an. »Und dann noch so eine hübsche.«

      Lara wandte verlegen den Blick ab. Zögernd strich sie sich eine Strähne hinters Ohr. »Vielen Dank.«

      Yuna nahm sich die Kirsche von einem der Eisbecher, die wie ein Wunder vor ihnen auf dem Tisch erschienen waren. »Ich