S.C. Bauer

Wir kamen mit der Mayflower


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aber wir sind schon über klei­ne Er­leich­te­run­gen froh. So gut es geht ha­ben wir das Chaos, das der Sturm ver­ur­sacht hat, be­sei­tigt, aber Schmutz, Übel­keit und Näs­se ma­chen uns wei­ter­hin das Le­ben schwer. Ich fin­de den­noch Zeit, mir den Kopf über Cap­tain Stand­ish zu zer­bre­chen.

      Unse­re Be­geg­nung wäh­rend des Stur­mes taucht im­mer wie­der vor mei­nem geis­ti­gen Au­ge auf. Er war so für­sorg­lich und lie­be­voll zu mir. Ich ha­be mich in sei­nen Ar­men so wohl ge­fühlt. Wär­me brei­tet sich in mir aus, wenn ich mir die Er­in­ne­rung da­ran ins Ge­dächt­nis zu­rück­ru­fe. Soll ich das nie mehr er­le­ben dür­fen? – fra­ge ich mich.

      Doch die Ant­wort ist im­mer wie­der die­sel­be. Er ist ver­hei­ra­tet. Es gibt eine Frau an sei­ner Sei­te, die ein Recht auf sei­ne Lie­be hat. Ich darf ihr das nicht strei­tig ma­chen. Den­noch krei­sen mei­ne Ge­dan­ken im­mer wie­der um ihn und unse­re Be­geg­nung.

      Fern von mei­nen Tag­träu­men ist unse­re La­ge er­bärm­lich. Lang­sam wird das Trink­was­ser knapp und schmeckt bra­ckig und das Bier geht zur Nei­ge. Die täg­li­chen Es­sens­ra­tio­nen wer­den spär­li­cher und unse­re Nah­rungs­mit­tel sind in ekel­er­re­gen­dem Zu­stand. Der Zwie­back ist durch­weicht und von den Rat­ten an­ge­fres­sen, das Fleisch zum Teil schim­me­lig und in den Boh­nen und Erb­sen wim­melt es vor fet­ten Ma­den.

      Vie­le von uns füh­len sich krank und elend.

      Von Pe­ter er­fah­re ich dass einer der Mat­ro­sen, an einer schreck­li­chen Krank­heit lei­det. Er spuckt Blut und an sei­nen Bei­nen ha­ben sich Ge­schwü­re ge­bil­det, die sich nun ent­zün­det ha­ben und voll von Wür­mern sind. Bei dem See­mann han­delt es sich aus­ge­rech­net um den­je­ni­gen, der uns stets so grau­sam ver­höhnt hat und uns den Tod wünsch­te.

      Es geht ihm sehr schlecht und er stirbt ei­ni­ge Ta­ge spä­ter unter gro­ßen Qua­len.

      »Der Herr ist ge­recht«, urteilt mei­ne Mut­ter mit aus­drucks­lo­ser Mie­ne. Ich bin der Mei­nung, dass nie­mand solch einen Tod ver­dient hat.

      Eines Nachts, als wir end­lich die not­wen­di­ge Ru­he fin­den, die unse­re er­schöpf­ten Kör­per so drin­gend brau­chen, weckt mich mei­ne Mut­ter, in­dem sie an mei­ner Schul­ter rüt­telt. »Schnell steh auf, bei Mrs. Hop­kins ist es so­weit. Das Kind kommt.«

      Ich bin schlag­artig hell­wach und fol­ge mei­ner Mut­ter zum La­ger der Hop­kins. Eli­za­beth liegt stöh­nend auf ihrem nas­sen Stroh­sack und das dunk­le Haar klebt ihr in feuch­ten Sträh­nen um das Ge­sicht.

      »Geh und setz hei­ßes Was­ser auf, Pri­scil­la«, weist mich mei­ne Mut­ter an.

      Ich bin froh, et­was tun zu kön­nen, und ho­le den Kes­sel. Es ist nicht das ers­te Mal, dass ich bei einer Ge­burt da­bei bin. Als mei­ne äl­tere Schwes­ter vor ein paar Jah­ren ihren Sohn zur Welt ge­bracht hat, ha­be ich ihr mit mei­ner Mut­ter da­bei ge­hol­fen.

      Ich weiß, dass es haupt­säch­lich eine elen­de War­te­rei ist, bei der man nicht viel tun kann, außer der Ge­bä­ren­den Mut zu­zu­spre­chen, ihr die Hand zu hal­ten und den Schweiß von der Stirn zu wi­schen.

      Ich ge­he zu den Was­ser­ton­nen, die sich am an­de­ren En­de des Zwi­schen­decks in einer Art Ver­schlag be­fin­den. Als ich be­gin­ne Trink­was­ser in den Kes­sel zu schöp­fen, re­agie­ren ei­ni­ge Leu­te vol­ler Un­mut. »Reicht es nicht, wenn ihr für das Kind Meer­was­ser ver­wen­det? Uns wird das Was­ser knapp und wir ha­ben kei­ne Lust zu ver­durs­ten«, macht ein jun­ger Mann sei­nem Un­mut Luft.

      Ich den­ke, dass er einer der Die­ner der Wins­lows ist, aber sein Na­me fällt mir nicht gleich ein. Die Die­ner und Lehr­lin­ge der Fa­mi­lien spie­len sich ger­ne auf. Je­der meint, dass sein Herr der Be­deu­tends­te ist, und ver­sucht sich vor den an­de­ren Res­pekt zu ver­schaf­fen. Unser Lehr­ling Ro­bert Car­ter ist da kei­ne Aus­nah­me.

      »George, lass Miss Mul­lins tun, was sie zu tun wünscht«.

      Ich wen­de mich um und hin­ter mir steht Mr. Winslow. Wie ich ver­mu­tet ha­be, ist der jun­ge Mann einer sei­ner Die­ner. George Sou­le, wie mir jetzt wie­der ein­fällt.

      Ed­ward Wins­lows blaue Au­gen bli­cken kalt aus sei­nem erns­ten Ge­sicht. Ich kann mich für die­sen Men­schen ein­fach nicht er­wär­men. Trotz­dem dan­ke ich ihm höf­lich für sei­ne Unter­stüt­zung.

      Ich be­ei­le mich, zu­rück­zu­kom­men zu Eli­za­beth und un­ge­schickt wie ich bin, stol­pe­re ich, so­dass mir fast der Kes­sel mit dem Was­ser aus der Hand fällt. Ich spü­re, wie je­mand neben mir nach dem Kes­sel greift und ihn stützt, dass er nicht über­schwappt, und hö­re ein lei­ses La­chen. Als ich auf­bli­cke, steht groß, blond und gut aus­se­hend John Al­den neben mir.

      »Of­fen­bar bin ich eu­er Ret­ter in der Not, Miss Mul­lins«, grinst er mich an.

      Ich muss eben­falls lä­cheln. »Ja, es sieht so aus, als wä­re das eu­re ein­zi­ge Auf­ga­be«, ge­be ich scherz­haft zu­rück.

      Es hat sich he­rum­ge­spro­chen, dass er wäh­rend des Stur­mes wah­ren Hel­den­mut be­wie­sen hat und es war zum Teil sein Ver­dienst, dass der Mast mit dem Sprieß be­fes­tigt wer­den konn­te, wo­bei er sich an dem schar­fem Eisen die Hän­de blu­tig ge­ris­sen hat.

      Sein Lä­cheln wird brei­ter. »Darf ich euch be­hilf­lich sein?«

      Er will schon nach dem Kes­sel grei­fen, aber ich weh­re ab.

      »Dan­ke. Ich glau­be, ich schaf­fe den Rest al­lei­ne.«

      Er nickt mir zu und ich ge­he zu­rück zu Mrs. Hop­kins und ach­te, wo ich hin­tre­te.

      »Wo bleibst du nur? Man könn­te mei­nen, die May­flo­wer wä­re eine Stadt und du hät­test dich da­rin ver­lau­fen«, fährt mei­ne Mut­ter mich un­ge­dul­dig an. Sie ist ge­reiz­ter seit dem Sturm und wirkt we­ni­ger zu­ver­sicht­lich als für ge­wöhn­lich. Ich wüss­te zu ger­ne, was sie wirk­lich denkt, aber es ist sinn­los sie da­nach zu fra­gen. Sie wird mir nie­mals ein­ge­ste­hen, was in ihrem Kopf vor­geht.

      Die Stun­den zie­hen sich da­hin und mei­ne An­sicht, dass eine Ge­burt eine lang­wei­li­ge Sa­che ist, be­stä­tigt sich. Cons­tan­ce ist da­mit be­schäf­tigt sich um ihren jün­ge­ren Bru­der und um die klei­ne Da­ma­ris zu küm­mern. Sie hat da­mit al­le Hän­de voll zu tun, weil ihre Schwes­ter fieb­rig er­käl­tet ist und dau­ernd quen­gelt und um Auf­merk­sam­keit bet­telt. Ich ver­su­che, ihr zu hel­fen, und wechs­le mich mit ihr ab, Da­ma­ris in den Ar­men zu schau­keln und bei Lau­ne zu hal­ten.

      Im Mor­gen­grau­en bie­te ich an, für unse­re Fa­mi­lie und die Fa­mi­lie Hop­kins Früh­stück zu ma­chen, da Cons­tan­ce un­mög­lich auch noch das be­wäl­ti­gen kann. Mei­ne Mut­ter ist ein­ver­stan­den, zu­mal Sa­rah Ea­ton ge­kom­men ist, um Eli­za­beth bei der Ge­burt zu unter­stüt­zen. Ich ge­he zu den Koh­le­pfan­nen, wo be­reits ei­ni­ge Frau­en da­rauf war­ten, ihr Früh­stück zu ko­chen. Su­san­nah ist da und unter­hält sich mit einer Frau, die eben­falls schwan­ger ist.

      Lä­chelnd winkt sie mich zu sich.

      »Gu­ten Mor­gen! Kennst du schon Mrs. Aller­ton? Ma­ry, das ist Pri­scil­la Mul­lins, von den Lon­do­ner Kauf­leu­ten. Ihr Va­ter ist der Schuh­macher Wil­liam Mul­lins«, stellt sie uns ei­nan­der vor.

      Die Aller­tons sind ein ähn­lich ver­zweig­ter Fa­mi­lien­ver­band, wie die Whi­tes und Ful­lers. Isaac Aller­ton, der