Malte Kersten

Nach dem Eis


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machte Frau Hubertus.

      „Na, jedenfalls ordentlich übertrieben, würde ich sagen.“

      Ich war mit den Gedanken bereits draußen bei Hans. Sicher traf jetzt Peters auf ihn.

      „… aber nicht nur ein großartiger Pädagoge“, hörte ich Elster weiter vortragen, „auch ein vielseitiger Wissenschaftler, der manche kniffelige Frage beantworten konnte.“

      Hier ging Elster nicht weiter ins Detail und ich beschloss, auch den Saal zu verlassen. Ich musste eingreifen, bevor Hans in seinem jugendlichen Überschwang etwas Falsches sagte.

      „So manches Drittmittelprojekt konnte er für unser Institut gewinnen“, trug Herr Elster gerade vor, als auch ich mich an allen Trauergästen vorbei in Richtung Ausgang vorschob. In Frau Hubertus Blick meinte ich einen echten Vorwurf zu sehen, Katja sah mich eher erstaunt an. Doch auch Herrn Elster blieb mein Abgang leider nicht verborgen.

      „Überhaupt, zeigte Kollege Oster viel Geschick beim Umgang mit unseren externen Geldgebern“, sagte er gerade, wobei er mich mit den Blicken bis zum Ende der Stuhlreihe fixierte und in seine Stimme ein Stakkato legte, was mir jedes einzelne Wort um die Ohren fegte. Mit einer Steigerung, die ich in der Mitte der Stuhlreihe nicht für möglich gehalten hätte. Ich bereute meine Entscheidung, als ich endlich den Ausgang erreichte.

      Beim Öffnen der Tür, nahm ich aus dem Augenwinkel heraus wahr, dass vorne auch Johann aufgestanden war und behutsam sich dem Ausgang näherte. Ein schwaches Herz hatte Elster nicht. Mit grimmiger Entschlossenheit steigerte er nochmals den Nachdruck in seiner Stimme. Ich verließ den Saal, ohne auf Johann zu warten.

      Die Vorhalle war kälter als der Saal und menschenleer. Hans und die anderen mussten also draußen im Schnee warten. Gleich neben dem Eingang fand ich die geflüchteten Trauergäste im Schnee stehen, sich unterhaltend. Der Halbwüchsige mit einer Zigarette im Mund.

      „Sie verzichten auf die Rede von Ihrem Professor?“ Herr Peters richtetet gleich das Wort an mich.

      Ich winkte ab.

      „Die Rede kenne ich schon. Die Ehrungen der Kollegen klingen immer gleich.“

      „Werden bei Ihnen häufiger Professoren beerdigt?“, erkundigte er sich sachlich.

      „Nein, natürlich nicht, aber irgendwelche Ehrungen finden zwischendurch doch schon mal statt.“

      „Aber was macht ihr denn alle hier draußen?“, fragte ich in die Runde, um einerseits von mir abzulenken und vor allem, um schnell zu erfahren, was die drei nun schon besprochen hatten. Dabei sah ich vor allem Hans an, der ein sehr unbekümmertes Gesicht machte. Auffallend unbekümmert.

      „Das möchte ich auch gern wissen“, erwiderte Herr Peters mit dem Blick zur Tür, wo gerade Johann herauskam, uns sah und eilig zu uns herüberkam.

      Zum Glück antwortete Johann ungewollt für uns alle auf die Frage.

      „Was für ein Gesülze! Das hält doch niemand aus!“ Voller Erleichterung sog er die kalte klare Luft ein und wandte sich an Herrn Peters.

      „Sie sind doch der Kommissar, der den Todesfall untersucht, wenn ich mich nicht irre, gibt es bei Ihnen auch solche Veranstaltungen?“

      „Und Sie sind?“

      „Johann Kiekbusch, wir hatten schon kurz das Vergnügen. Als Sie den Toten im Institut in Augenschein genommen hatten“, ergänzte er.

       Ich war verblüfft. Johann konnte auch ernsthaft reden. Im Mantel und seinem schwarzen Anzug sah er recht respektabel aus. Wohingegen der kalte Wind wieder um meine Knöchel herum pfiff.

      „Mit Ihnen würde ich mich gern kurz unterhalten“, sagte der Kommissar an den Halbwüchsigen gewandt. Dieser zuckte nur die Achseln und spuckte in den Schnee. Der Kommissar sah erwartungsvoll in die Runde bis wir begriffen und uns ein wenig entfernten. Mir war der Gang der Dinge mehr als recht. Ich musste unbedingt erfahren, was Hans schon alles angestellt hatte. Daher war dies auch meine erste Frage, als wir außer Hörweite waren.

      „Was hast du dem Kommissar gesagt? Warum bist du dem Halbwüchsigen nachgegangen und überhaupt, auffälliger konntest du dich nicht bewegen?“

      „Dem Kommissar habe ich nichts gesagt, dem Stiefsohn deines verstorbenen Professors, falls du den mit 'Halbwüchsiger' meinst, bin ich gefolgt, um in Ruhe mit ihm zu sprechen und auffällig – nun ja, das ist vielleicht Ansichtssache. Jedenfalls haben sich alle gern mit mir unterhalten.“

      Hans war ein wenig gekränkt. Ich versuchte durch einen Themenwechsel die Stimmung etwas aufzubessern.

      „Kennt Ihr euch? Hans, Johann – Johann, Hans.“

      „Hallo.“

      „Hallo. Bist du auch bei uns am Institut? Ich glaube, ich habe dich noch nie dort gesehen.“

      „Ich habe gerade bei Professor Schmid über den Radumfang von Mähdreschern angefangen zu promovieren.“

      „Professor Schmid?“

      „Lass sein, Hans, wir sind hier unter uns“, unterbrach ich, bevor es noch abenteuerlicher wurde. „Hans ist mein Mitbewohner. Er meint, hier auf der Beerdigung würde er noch etwas über den Tod von Oster herausbekommen.“

      „Hey, cool, dann ermittelst du undercover sozusagen?“

      „So etwas in der Richtung, ja.“

      „Aber was ist mit dem Fuß von Elster, hat er dir etwas gesagt?“ Ich unterbrach die beiden.

      „Ausgerutscht. Irgendwo war nicht gestreut und Elster hat sich einen Bänderriss oder so etwas zugezogen. Kompliziert, daher der Gipsverband. Denn eigentlich wird so etwas nicht mehr gegipst. Aber du kennst ja unseren Elster, es muss immer etwas Besonderes sein.“

      Das war es also, das war der Grund für die Verzögerung. Elster ist ausgerutscht. Ganz einfach.

      „Was hast du denn schon herausbekommen?“ Johann wollte von Hans einen kurzen Bericht.

      Hans holte tief Luft.

      „Also, Herr Oster war ständig im Büro, hat immer gearbeitet. Hier in Kiel oder in Dresden, wo er eben gerade war. Er war immer auf der Suche nach weiteren Geldgebern für irgendwelche Projekte, meist erfolgreich. Die Arbeit, die er durch solche Knallköpfe wie dich hatte“, damit sah er mich an, „konnte ihn rasend machen. 'Knallköpfe' war übrigens die Formulierung seiner Exfrau, die im Übrigen auch ihm gegenüber recht harte Worte benutzte. Also aus ihrer Sicht war der Professor ständig am Institut und hat gearbeitet. Und nun kommt es. Die meisten Exkollegen von Herrn Oster waren mehr oder weniger der Ansicht, dass er ziemlich wenig am Institut war und überhaupt eher faul. Obwohl seine Beziehungen zur Wirtschaft wohl wirklich gut waren. Aber darauf hat sich Herr Oster wohl mehr oder weniger ausgeruht. So jedenfalls die Meinungen der Kollegen, die ihn schon länger kannten. Vielleicht auch Neid? Der Halbwüchsige dort“, und damit deutete er auf den Stiefsohn, „hat eigentlich soweit die Meinung seiner Mutter gestützt: Herr Oster war kaum zu Hause und hat zumindest vorgegeben, ständig am Institut zu sein. Interessant ist vielleicht noch, dass er Golf gespielt hatte und in letzter Zeit offensichtlich Geldsorgen hatte.“

      „Geldsorgen?“

      „Ja, so jedenfalls die Aussage vom Halbwüchsigen. Er wollte im letzten Sommer gern noch mal mit der Familienyacht oder Ex-Familienyacht über die Ostsee schippern, ging aber nicht mehr, da sein Ex-Stief-Vater das Schiff verkaufen wollte. Warum, war auch gleich meine Frage. Der Halbwüchsige meinte, dass es Geldsorgen sein müssten, da Oster wohl das Schiff eigentlich liebte und nun, da er häufiger in Kiel war, auch häufiger nutzte. Und ein neues Schiff wollte er sich nicht zulegen.“

      Johann pfiff anerkennend.

      „Und was meinst du?“, fragte er mich. „Hat Oster nun gearbeitet oder war er faul und zu Hause?“

      „Kann ich nicht sagen. Ich habe ihn nur gesehen, wenn er hier war. Dann allerdings war er meist den ganzen Tag an meinem Arbeitsplatz. Und ich in