Malte Kersten

Nach dem Eis


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sich arrangieren. Dir ist doch klar, dass die meisten Informationen auf den Beerdigungen zu haben sind, oder? Ich wette mit dir, dass auch deine Freundin von der Kripo dort sein wird.“

      „Ich habe keine Freundin bei der Kripo“, erwiderte ich. „Und soll das heißen, dass du zur Beerdigung gehen willst?“

      „Na klar gehe ich, das versteht sich doch von selbst. Du allein bist mit der Situation doch völlig überfordert. Doch was ziehe ich an?“

      Er schaute sich suchend um, als erwartete er, einen schwarzen Anzug irgendwo hängen zu sehen.

      „Aber du bist doch gar nicht eingeladen. Anderseits, wem sollte das auffallen. Wahrscheinlich werden ziemlich viele Leute vom Institut dort sein. Und wenn jemand fragt, bist du der neue Doktorand von Professor XY.“

      „So in der Art hatte ich mir das auch gedacht. Ich werde mich umhören, die Augen offenhalten, alle Hinweise aufsaugen, die Verdächtigen befragen und“, nach den dramatischen Gesten eine bedeutungsvolle Pause, „mal sehen wie deine Kripo Freundin aussieht.“

      „Ach komm, hör auf, ich kenne sie doch gar nicht. Aber denkst du, ich sollte ihr von der Beerdigung berichten?“, fragte ich nach einer Weile.

      „Na klar“, sagte er augenzwinkernd. „Obwohl du da wahrscheinlich etwas spät dran bist. Sie weiß es bestimmt schon.“

      Johann brachte mir seinen Anzug zweiter Wahl morgens mit ins Büro. Da der Friedhof und die Kapelle nur wenige Minuten vom Institut entfernt lagen, wollten wir zusammen eine halbe Stunde vorher losgehen. Bis dahin tippte Katja unermüdlich und ich nahm mir vor, den Professor aus Leiden für die Kommissarin herauszusuchen. Ich glaubte, mich dunkel zu erinnern, dass Oster einmal in einer E-Mail den Namen erwähnt hatte. Daher nahm ich mir mein E-Mail-Fach vor. Nach etlichen Filterfunktionen hatte ich den Namen gefunden: Prof. van Basten. Um diese Angelegenheit vom Tisch zu haben, schrieb ich kurz eine Mail an die Kommissarin.

      Um elf Uhr zog ich mich um. Der Anzug sah wirklich ganz gut aus. Auch wenn es jetzt die zweite Wahl war. Passend kam unsere hübsche studentische Hilfskraft herein und lachte laut, als sie mich in Unterhose am Arbeitsplatz sah. Sicher aus Verlegenheit, denn zufällig hatte ich meine coolsten Boxershorts an.

      Katja zog die Stirn in Falten, als sie meine etwas zu kurze Hose sah. Beim Überziehen der Jacke wurde es nicht besser. Auch die Ärmel waren für ihren Geschmack etwas zu kurz. Doch mit meinem Mantel darüber, der zwar nicht schwarz, sondern grau war, dachte ich, dass ich einigermaßen passabel gekleidet war. Katja hatte einen schwarzen Hosenanzug an und sah wie immer angemessen gekleidet aus. Die Tür ging auf und Johann platzte herein.

      „Hey, passt ja perfekt, sieht gut aus!“ Er klopfte mir auf die Schulter. Seine Ärmel- und Hosenbeinlänge entsprach der allgemeinen Norm. Er bewegte sich lässig und ungezwungen. Bei seiner Großgrund-Herkunft war es durchaus denkbar, dass der eine oder andere Anlass eine solche Garderobe erforderte.

      Unglaubliche Schneemassen sind die ganze Nacht hindurch vom Himmel gefallen. Zusammen mit einem starken Nord-West Wind häufte sich der Schnee an den Straßenecken zu hohen Wehen auf. Wir machten uns auf den Weg. In einiger Entfernung arbeitete sich eine weitere Gruppe festlich in Schwarz gekleidet wie Pinguine durch den Schnee. Bereits nach dem zweiten Schritt fühlte ich die feinen Eiskristalle an den zu kurzen Hosenbeinen in meine Schuhe eindringen. Mit nassen Füssen in der Kapelle stehen, super Aussichten. Auch Frau Hubertus sah nicht glücklich aus mit ihren feinen, schwarzen Schuhen.

      „Wir hätten Schneestiefel anziehen sollen“, murmelte sie, verbissen durch den Schnee und gegen den Wind gehend. Neben uns kam ein Räumfahrzeug vorbei. Mit viel Krach beförderte es den Schnee der Straße auf den Radweg und wir mussten weiter auf den Fußweg ausweichen.

      Wir kamen sehr pünktlich bei der Kapelle an, mussten jedoch vor der Tür warten, da eine andere Trauerfeier noch nicht beendet war. Viele Grüppchen dunkel gekleideter Menschen standen im Schnee herum und unterhielten sich. Die Pinguinkolonie. Der auffälligste Pinguin, quasi der Kaiserpinguin, war Hans. Er unterhielt sich angeregt mit einem Professor aus der Bewässerungstechnik. Weitere Doktoranden standen im Halbkreis um beide herum. Als Hans mich näher kommen sah, entschuldigte er sich und kam mir entgegen.

      „Wie siehst du denn aus?“, raunte ich ihm zu, als er mit Verschwörermiene neben mir stand. Er lächelte geschmeichelt. Sein Outfit hatte bei mir die gewünschte Wirkung gezeigt.

      „Na, vielleicht ein wenig overdressed. Ich habe eine Bekannte beim Theater. Leider hatten sie keinen anderen Anzug mehr. Aber cool, oder?“

      Er trat einen Schritt zurück, damit ich ihn in voller Größe bewundern konnte. Ein schwarzer Frack, darunter weißes Hemd mit aufwendiger Rüschchenlösung als Kragen und sicher auch als Manschetten. Die waren aber nicht zu sehen. Weiter, offenstehender Mantel, trotz der Kälte. Mozarts Lieblingsoper vielleicht, ganz sicher nicht einundzwanzigstes Jahrhundert.

      „Mach doch wenigstens deinen Mantel zu, dann sieht man das Kostüm nicht so sehr.“

      „Geht nicht“, raunte er mir zu und deutete verstohlen auf den abgerissenen Knopf. „Macht aber nichts, es läuft prima. Alle wollen praktisch über deinen toten Professor reden. Ich muss weiter machen, da vorne steht die Witwe, wir sehen uns nachher.“

      „Geschiedene Witwe oder Ex-Witwe“, flüsterte ich ihm noch hinterher, aber er war schon wieder weg und mischte sich unter die Wartenden.

      Die geschiedene Ex-Witwe war eine unscheinbare Frau mittlere Größe, mittleren Alters. Neben ihr stand ein mürrisch schauender Halbwüchsiger, dessen auffälligen schwarzen Haare das halbe Gesicht verdeckten. Die Haarfarbe sah nicht echt aus, das Desinteresse schon. Weitere Menschen, meist ältere, gruppierten sich um die beiden. Ich selbst war der Familie des verstorbenen Professors vorher noch nie begegnet, daher sah ich es jetzt als übertrieben an, mich vorzustellen. Ich drückte mich und war mir sicher, dass Katja in meiner Situation ganz anders damit umgegangen wäre.

      Etwas abseits aller Wartenden erkannte ich Herrn Peters intensiven Blick. Hier war er aus dem gleichen Grund wie Hans. Hoffentlich benimmt sich Hans nicht zu auffällig. Der Schneesturm zerrte an seinem Mantel und ließ den barocken Kragen flattern wie die Trikolore beim Sturm auf die Bastille.

      Die Menschenmenge wurde dichter. Alle rückten wegen der Kälte enger zusammen. Da ich viele Gesichter nicht kannte, nahm ich an, dass hier mehrere Trauerfeiern stattfinden sollten. Ich sah den Pastor herauskommen, mit jemanden kurz reden und wieder im Gebäude verschwinden, wobei er einen großen Schritt über einen Schneeberg machen musste. Wie eine zerzauste Krähe. Johann machte eine spöttische Bemerkung, woraufhin Katja ihm ans Schienbein trat. Nur leicht, denn er klopfte sich zwar entrüstet den Schnee von seinem guten Anzug, scherzte jedoch gleich weiter.

      Der angegebene Zeitpunkt war langsam überschritten und immer noch war kein Beginn oder Einlass. Wir wurden ungeduldiger, die Kälte kroch unter die Mäntel. Immer noch hüpfte Hans von einer Gruppe zur anderen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man noch auffälliger sich hier bewegen konnte. Das wachsame Auge des Gesetzes lag einen Moment lang auf ihm.

      Zwischen dem Rauschen des Windes in den Tannen war eine einsame Glocke von der Kapelle zu hören. Die Gespräche verstummten und alle wandten sich erwartungsvoll dem Eingang zu, der tatsächlich weit geöffnet wurde.

      Trotz der Kälte beeilte sich niemand, in die Kapelle zu kommen. In angemessener Ruhe trippelten alle durch die Flügeltür. Katja, Frau Hubertus, Johann und ich blieben etwas im Hintergrund, sodass es noch eine Weile dauerte, bis wir in den beheizten Vorraum der Kapelle gelangten. Hans war weiter vor uns eingetreten und schnell aus meinem Blickfeld verschwunden. Auch Herrn Peters konnte ich nicht mehr ausmachen. Als wir die Kapelle erreichten, war der Raum schon weitgehend gefüllt. Wir fanden hinten noch einige freie Reihen, in denen wir uns niederließen. Dankbar für ein halbwegs warmes Plätzchen.

      Vorn war der Sarg aufgebahrt und über und über mit Blumenkränzen bedeckt.

      „Einer ist auch von uns, ein Kranz“, raunte mir Frau Hubertus zu, als sie meinen überraschten Blick sah. „Ich glaube, der Dekan hat sich sehr um die Beerdigung bemüht. Die geschiedene Frau von Herrn