Malte Kersten

Nach dem Eis


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durch Linien verbunden waren und ich den Fortschritt der Ermittlungen sofort erkennen konnte. Die Wände des etwas engen Büros waren mit Regalen voller Aktenordnern zugestellt. Der Schreibtisch war übervoll mit Papieren, Heftern und Akten. Irgendwelche Hinweise auf den Fall Oster konnte ich nicht erkennen.

      Sie nahm mir den Briefumschlag ab, tastete nach der Speicherkarte und fragte leicht missbilligend, wie viele Menschen die Karte schon in der Hand gehabt hätten.

      Ich fand meine Idee mit dem Briefumschlag eigentlich schon ganz gut, musste mir aber eingestehen, dass ich an Fingerabdrücke gar nicht gedacht hatte.

      „Vielleicht drei verschiedene Personen.“

      „Na, mal sehen, ob die Spurensicherung da noch etwas machen kann. Haben Sie sich die Bilder angesehen?“

      „Ja, es sind Bilder aus Holland, von Herrn Oster aufgenommen, kurz vor seinem Tod.“

      Gespannt erwartete ich eine Reaktion von ihr.

      „Holland“, sagte sie und schaute einen Moment nachdenklich geradeaus. Eine Strähne aus ihrem Pferdeschwanz hatte sich gelöst und fiel ihr ins Gesicht. Nachdenklich strich sie sich diese hinter das Ohr.

      „Was ist auf den Bildern zu sehen? Ich muss erst die Spurensicherung abwarten, bevor ich mir die Bilder ansehen kann“, erläuterte sie und musterte mich wieder in ihrer mir schon bekannten, intensiven Art. Etwas ernster vielleicht noch als das letzte Mal.

      „Ich konnte nichts Interessantes entdecken. Es sind Bilder von Straßenzügen in Holland. Häuser, Straßen, Autos, Menschen. Aber niemanden, den ich erkennen würde.“

      Frau Lund nickte und sah wieder etwas nachdenklich aus.

      „Ist es sicher, dass die Bilder von Herrn Oster sind?“

      „Eigentlich ja, er hatte sich die Kamera in unserem Institut ausgeliehen. Zumindest sind die Bilder mit der Kamera aufgenommen. Aber theoretisch hätte die natürlich auch jemand anderes machen können.“

      „Wer zum Beispiel?“

      „Keine Ahnung, ich wollte damit nur sagen, dass Herr Oster die Kamera ausgeliehen hatte, mit denen die Bilder gemacht wurden. Ob er es selbst war, kann ich natürlich nicht sagen, ich nehme es aber an.“

      Ich hatte von Hans noch keine Nachricht erhalten und überlegte angestrengt, in welcher Serie eine Kommissarin Lund mitspielte.

      Sie stand auf und öffnete das Fenster. Hinter ihrem Sitzplatz an der Wand konnte ich einige Postkarten entdecken, die teils mit Palmen, teils mit Bergen an vergangene Urlaube der Kollegen oder Freunde erinnern sollten.

      „Was wissen Sie inzwischen über die Umstände von Professor Osters Tod?“

      „Darüber werde ich natürlich jetzt nichts sagen“, erwiderte sie. „Sicher ist, dass uns noch einige Details zum Ablauf der letzten achtundvierzig Stunden fehlen. Daher könnten die Bilder aus Holland ein interessanter Hinweis sein. Was könnte Herr Oster denn in Holland gemacht haben?“

      Sie setzte sich wieder.

      „Ich weiß es nicht. Eine Tagung war dort meines Wissens nicht. Vielleicht hat er den Kollegen getroffen. Ich muss noch mal den Namen heraussuchen. Er arbeitet an der Uni in Leiden. Den müsste ich finden können.“

      „Ja, machen Sie das. Vielleicht hilft uns das weiter.“

      Sie machte sich Notizen auf einem Blatt Papier, welches sie aus einem Stapel hervorgezogen hatte. Ich entdeckte einen kleinen Bilderrahmen auf ihrem Schreibtisch, konnte aber nicht erkennen, was oder wer dort abgebildet war, da der Rahmen mit dem Bild nach unten auf der Tischplatte lag. Der Rahmen war sehr bunt und sah selbst gebastelt aus.

      „Hatten Sie mit Herrn Oster auch mal privat zu tun oder haben Sie sich nur am Institut gesehen?“

      „Gesehen haben wir uns sowieso nur selten. Aber privat, nein eigentlich nicht. Einmal waren wir zusammen bei einer Tagung in Berlin, das war zwar nicht richtig privat, aber doch etwas entspannter als sonst vielleicht.“

      „Haben Sie vielleicht eine Veränderung bei ihm gesehen, war er in letzter Zeit, also Wochen meine ich, war er da verändert, anders als sonst?“

      „Er war eigentlich immer anders als sonst“, sagte ich schmunzelnd. „Er war meist unberechenbar, oft aufbrausend über Kleinigkeiten. Ich habe immer versucht, nie in seine Schusslinie zu geraten. Er hatte zwar auch etwas Kumpelhaftes an sich, aber meist war er doch der aufbrausende Chef und hat auch diese Rolle sehr genossen, wie es mir schien.“

      Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich weitere Notizen machte. Sie schien zu verstehen, was ich meinte.

      Kopenhagen oder Stockholm, ging es mir wieder durch den Kopf, als eine kurze Pause eintrat und Frau Lund auf ihr Geschriebenes blickte.

      „Mal etwas ganz anderes …“, setzte ich an.

      Sie blickte auf.

      „Die ganze Zeit schon grübele ich darüber nach, Ihr Name …“

      In dem Moment klopfte es kurz an der Tür und Herr Peters kam herein.

      „Legen Sie mir die Unterlagen auf meinen Tisch, ich bin gleich da“, rief er in den Gang zurück, bevor er ganz eintrat.

      „Ah, da sind ja die Bilder, ja?“

      Er griff gleich zu meinem Briefumschlag, der vor uns auf dem Tisch lag.

      „Hallo“, sagte er knapp aber nicht unfreundlich in meine Richtung.

      „Hallo.“

      „Haben Sie schon einen Blick darauf geworfen?“, fragte er an Frau Lund gewandt. Woher wusste er, dass ich Bilder von Oster gebracht hatte? Und wie konnte er den Umschlag neben all den anderen Papieren erkennen?

      „Nein, die Spurensicherung soll erst einmal sehen, ob noch Fingerabdrücke zu erkennen sind. Allerdings haben schon einige Leute die Karte in den Händen gehabt.“

      „In Ordnung, ich nehme sie gleich mit.“

      Damit hob er den Umschlag als Gruß und verschwand. Draußen hörte ich ihn mit jemanden sprechen, bevor er die Tür ganz schloss und es wieder ruhig wurde.

      Ich selber griff den Faden unseres Gespräches nicht wieder auf, sondern brach bald auf. Mit einer lässigen Handbewegung verabschiedete sich Frau Lund von mir und war schon wieder in ihre Aufzeichnungen vertieft. Eine Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht.

      Draußen war es inzwischen dunkel geworden und der leichte Nieselregen hatte sich zu einem leichten Regen verdichtet. Es war ungemütlich. Daher beschloss ich, auf halber Strecke erst einmal in einem Café Unterschlupf zu suchen. Ich wählte das Café auf der Holtenauer Straße gleich neben dem Friseur. Dort gab es den besten Kaffee der Stadt, meinte Rolf. Der volle Laden, der intensive Kaffeeduft und die lauten Geräusche waren ein willkommener Kontrast zum nasskalten Wetter draußen. Ich sah kein bekanntes Gesicht und setzte mich mit meinem heißen Milchkaffee an einen Tisch, an dem bereits eine Frau in ein Buch vertieft saß.

      „Scheußliches Wetter“, sagte ich, als ich meinen Mantel über die Stuhllehne legte. Ich bekam eine knappe Antwort, ohne dass sie aufsah, und betrachtet dies als Aufforderung, keine weitere Unterhaltung zu versuchen. In Ordnung. In erster Linie wollte ich mich aufwärmen, in zweiter einmal gründlich über meine neue Situation und den Begebenheiten um Osters Tod nachsinnen. Beim Rühren im Kaffee wurde mir aber schnell klar, dass ich nur sehr wenig Fakten über die Begebenheiten hatte und diese ohne Zusammenhang nebeneinanderstanden.

      Was war geschehen? Herr Oster wurde getötet. Das schien sicher zu sein. Zumindest gehen alle davon aus. Auch die Polizei? Wie oder warum ist er zu Tode gekommen? Keine Ahnung. Kurz vor seinem Tod war er wahrscheinlich noch in Holland. Hatte dies etwas mit seinem Tod zu tun? Dann wurde er, wieder wahrscheinlich, denn sicher erkennen konnte ich ihn nicht, bei Hannover geblitzt, als er sich einen Pullover über den Kopf gezogen hatte. Wenn er es nicht war, hatte jemand seinen Wagen genommen. Seltsam, aber deutet das auf seinen Tod hin? Nein. Es deutet aber auf