Malte Kersten

Nach dem Eis


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wirkte jetzt deutlich ruhiger. Offensichtlich konnte er alles bestens regeln.

      „Das ist unser Schiff, kein Traumschiff. Willst du wirklich an Bord? Noch kannst du es dir überlegen. Wir legen erst in drei Monaten wieder in der Zivilisation an.“

      „Genau richtig. Der Südpol ist das Mindeste, was ich jetzt brauche.“

      Bernd lachte. „So etwas der Art habe ich gehört. Wir werden lange Abende an Bord haben, ich bin gespannt auf die ganze Geschichte.“

      Ich winkte vorsichtig ab. Eigentlich war ich hier, um zu dieser Geschichte einen möglichst großen Abstand zu gewinnen. Ein Aufwärmen lag nicht unbedingt in meinem Interesse.

      „Aber komm erst einmal an Bord. Ich zeige dir deine Kammer.“

      Es ging los. Kammer heißt es hier, konnte ich lernen. Bernd griff sich meinen Kamerakoffer und wir stiegen über die schwankende Gangway auf das Schiff. Den Fuß auf ein Schiff zu setzten, war für mich immer etwas Besonderes. Auch wenn das Schiff groß war und nicht unter meinen Tritt nachgab, spürte man doch ganz zart aber unmissverständlich, dass das ein schwimmendes Gebilde war. Eine ganz leichte Bewegung war es, die einen daran erinnerte, dass man ab jetzt von Wasser umgeben war. Es ist dieser Schritt vom festen Land auf das Schiff, ab jetzt als ein Fremdkörper umgeben vom Ozean.

      An Deck stieß Bernd eine schwere Metalltür auf und verschwand im Schiff. Mit meiner großen Tasche hatte ich ein bisschen Mühe, ihm zu folgen. An der Treppe hatte ich ihn eingeholt.

      „Wir wohnen etwas weiter unten.“ Bernd grinste.

      Im Maschinenraum? Noch zwei Decks tiefer hielt Bernd vor der Tür mit der Nummer fünfundvierzig. Der Gang war eng und das gut gewischte Linoleum glänzte im nackten Deckenlicht. Viele gleiche Türen reihten sich aneinander. Bernd stieß die Tür auf und ließ mich eintreten. Ich zwängte mich vorbei und warf meine Tasche auf das Bett. Als Bernd auch den Raum betrat, war die Kammer voll.

      „Nett hier, oder? Alles was man braucht ist da. Auch wenn es etwas kleiner ist. Hier ist das Badezimmer.“

      Bernd öffnete eine schmale Tür zu einem noch schmaleren Badezimmer.

      „Ja, ich glaube, hier kann ich es aushalten.“

      Ich ging zum Fenster und zog das Rollo hinauf. Die Sonne schien herein. Es sah alles gemütlich aus. Tosende Schneestürme würde ich hier mit einem guten Buch gut abwarten können.

      „Das wirst du noch brauchen. Das Rollo meine ich. Wenn wir im Süden sind, wird es nicht mehr richtig dunkel. Dann wirst du dich darüber freuen. Ich muss jetzt noch ein paar Geräte auspacken, die eben an Bord gekommen sind. Sehen, ob alles ganz geblieben ist. Vielleicht schaust du dich selber schon einmal um. Ich werde dich dann nachher herum führen und dir alles zeigen. Und dem Kapitän vorstellen. Wir werden bald ablegen. Hast du alles dabei? Noch kannst du an Land gehen. Zahnbürste?“ Er grinste.

      Hatte ich. Aber wie viel Zahncreme würde ich in drei Monaten brauchen?

      „Okay, dann würde ich sagen, wir treffen uns in zwei Stunden auf dem Achterdeck. Hinten im Schiff“, fügte er hinzu.

      „Bernd, ich komme aus Kiel. Werde ich finden. Alles klar.“

      Bernd war gegangen und ich schmiss mich mit Schwung auf das Bett. Was ich gleich bereute. Das Bett war ziemlich hart. Ich rollte mich auf den Rücken, um die schmerzende Schulter zu entlasten, und starrte an die Decke. Dämmplatten bildeten ein geometrisches Muster. Die Aussicht für die nächsten drei Monate. Nicht unbedingt. Ich hatte auch das Fenster. Davor stand ein kleiner Tisch, daran ein Stuhl. Zusammen mit dem Nachttisch am Bett die einzigen Einrichtungsgegenstände. Mehr hätte nicht hineingepasst. Ich musste mich ein wenig bücken, um die dunklen Berge vor dem unruhigen Wasser sehen zu können. Das kleine Fenster war niedrig angebracht. Nicht rund, aber mit abgerundeten Ecken. Die Sonne glitzerte auf den Wellen. Am Tisch sitzend konnte ich ausgezeichnet nach draußen sehen. Jetzt einen Kaffee. Ob ich hier auf dem Schiff einen finden würde? Bestimmt, doch wo? Oder es noch schaffen könnte, an Land mir einen zu kaufen? Ein ganz feines Vibrieren durchlief das Schiff und endete an der Tischplatte und meinen Fingerkuppen. Kurzfristig verstärkte es sich, ein Zeichen für das baldige Ablegemanöver. Ich griff mir meine Daunenjacke sowie meine Kamera und suchte den Aufstieg nach oben. Bis zum verabredeten Treffpunkt auf dem Achterdeck war noch reichlich Zeit, aber ich wollte den Abschied von der Zivilisation nicht verpassen. Der letzte Außenposten würde bald am Horizont verblassen.

      An Deck sah es tatsächlich so aus, als würden wir in Kürze ablegen. Vereinzelt wurden Kommandos durch die Lautsprecheranlage geschickt und die Hafenarbeiter auf der Pier liefen erst hin und her, bevor sie dann ruhig das Manöver betrachteten. Unser Schiff ließ noch einmal und mit beeindruckender Lautstärke sein Horn hören. War es ein Abschiedsgruß oder das Zeichen, dass die Maschinen rückwärts liefen? Da kein anderes Schiff zu sehen war, welches auf das Manöver aufmerksam gemacht werden musste, war es wohl eher ein Abschiedsgruß. Nicht gerade lautlos glitt das große Schiff von der Hafenmole weg. Die Hafenarbeiter standen in einer kleinen Gruppe zusammen, rauchten und sahen dem Schiff hinterher. Ich winkte noch einmal dem Festland zu. Keiner der Arbeiter reagierte, sie hatten mich nicht gesehen. Der Lieferwagen fuhr zurück auf die Straße, ein Stück die Uferstraße entlang und verschwand dann zwischen den Häusern. Dort auf der Uferstraße, nahe dem Museum, hielt ein Reisebus und die Reisenden begannen auszusteigen. Bei genügend großem Abstand zum Ufer drehte unser Schiff. Langsam glitt der Hafen aus meinem Blickfeld. Daher suchte ich das Achterdeck auf. Was zugegebener Maßen nicht ganz leicht war. Nach etlichen Treppen und schmalen Gängen stand ich an der Reling und machte Fotos von Ushuaia in der Mittagssonne. Immer wieder brachen imposante Strahlen durch die Wolken und platzierten Spots auf den sonst dunklen Bergen und dem aufgewühlten Wasser. Vereinzelte Schaumkronen leuchteten hell auf. Die Bilder sahen kälter aus, als es eigentlich war. Anfangs war. Der Wind frischte immer weiter auf, je weiter wir von der Küste wegfuhren. Meine Polarkleidung würde ich brauchen, da war ich mir jetzt ganz sicher. Nach dem zehnten oder zwanzigsten Bild ließ ich die Kamera am Hals baumeln und schaute zurück auf das aufgeschäumte Heckwasser unseres Schiffes. Wir hatten jetzt Fahrt aufgenommen und fuhren durch die Inselwelt dem offenen Ozean entgegen.

      Meine subpolare Naturbetrachtung wurde jäh durch das hier ziemlich fremde Geräusch meines Handys unterbrochen. Dieses Geräusch katapultierte mich augenblicklich zurück nach Kiel: Regenwetter, Dunkelheit, Doktorarbeit, versäumte oder zu lange schleifen gelassene Abgabetermine. Mit ungutem Gefühl fischte ich das Gerät aus meiner Jackentasche. Ich hätte es ausschalten sollen und holte erleichtert Luft.

      „Hallo Mama.“

      Wo ich denn ständig nur wäre. An den Festnetzanschluss würde ich nicht gehen und der Handyempfang jetzt wäre ja wirklich schlecht. Ob ich nicht mal kurz nach draußen gehen könne.

      Ich musste lachen. Obwohl ich jetzt komprimiert meinen veränderten Lebensweg nicht nur darlegen, sondern auch noch verteidigen müsste. Vielleicht käme ich wegen eines nur kurzen Telefonats um die Rechtfertigung herum.

      „Ich bin draußen“, begann ich ganz am Anfang. „Aber ich bin am anderen Ende der Welt, in Argentinien. Beziehungsweise jetzt auf einem Schiff mit Richtung Südpol. Grobe Richtung“, ergänzte ich.

      Sie fragte, wo ich wäre. Der Empfang wäre schlecht, sie könne mich nicht verstehen. Nein, sie hatte nicht Südpol verstanden.

      Ich wiederholte meine Ortsangaben.

      „Mama?“

      Sie war noch dran. Wie weit reichten die Funkmasten von Ushuaia? Ich hatte das Gefühl, dass ich die wichtigen Dinge schnell klären müsste. Bald würde der Handyempfang gänzlich abreißen. Einer von der Besatzung deutete an, dass er genau dorthin musste, wo ich gerade stand. Ich machte an der Reling Platz und er begann ein Arm dickes Seil einzuziehen.

      Ob die Reise für meine Forschungen wäre. Forschung war ja irgendwie richtig, das ließ ich mal so stehen. Aber meine Forschungen waren es nicht. Ich hatte hier an Bord andere Aufgaben. Es war eigentlich ein Job. Vielleicht nicht in ganz gewohnter Umgebung. Aber irgendwie ein Job. Ob ich mir mit der Reise eine Pause von meiner Doktorarbeit leisten könne,