Kathrin Noreikat

Das Kombiticket


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das Wochenende war ihr jüngerer Bruder mit seiner Frau in einem Wellness-Hotel ins Allgäu gefahren. Sie nahmen sich so eine kleine Auszeit von ihren Kindern. Seit Freitagabend waren der neunjährige Conrad und sein zwei Jahre jüngere Bruder Theodor bei ihrer Tante. Ruth Jakoby war im April 41 Jahre alt geworden, vor zwei Jahren hatte sie sich von ihrem langjährigen Freund getrennt und war kinderlos geblieben.

      Sie verdiente ihr Geld als Floristin in einem Blumenladen in der Stuttgarter Innenstadt. Ihr Traum war es, eines Tages einen eigenen Blumenladen zu führen.

      Die Tante gähnte, sie hätte gerne noch länger geschlafen. Jetzt war sie wach und konnte somit auch gleich das Frühstück vorbereiten. In der Küche kochte sie Kaffee und stellte Brettchen und Tassen auf den Tisch. Die Kinder wollten nur Toastbrot mit Nutella essen. Dabei hatte Ruth extra ein teures Schokoladenmüsli ohne Zuckerzusatz im Bioladen gekauft

      “Was machen wir heute?”, wollte Conrad wissen und strich sich daumendick die braune Nussnougatcreme auf eine Toastscheibe. Genüsslich biss er hinein. Ruth schaute aus dem Fenster. Es war immer noch regnerisch und grau. Gestern waren sie schon bei Nieselregen in der Wilhelma, dem Stuttgarter Zoo, gewesen. Einen Ausflug zum Waldspielplatz wollte die Tante bei diesem Schmuddelwetter nicht vorschlagen. Nachdenklich rührte die Floristin in ihrer Schüssel mit Waldbeeren-Porridge. “Wie wäre es mit einem Besuch im Völkerkundemuseum? So weit ich weiß, gibt es dort eine Sonderausstellung zu den Azteken. Sie haben eine Hochkultur geschaffen und lebten zwischen dem 14. und dem frühen 16. Jahrhundert in Mexiko und ....”

      Theodor, der einen Milchbart um seinen Mund trug, unterbrach seine Tante: “Wir wissen was die Azteken sind. Das wurde neulich in der `Sendung mit der Maus’ erklärt.”

      “Aha. Habt ihr Interesse an der Ausstellung?”

      Die Kinder schüttelten synchron die Köpfe. “Wir mögen Dinosaurier”, erklärte Conrad und nahm sich eine weitere Toastscheibe aus dem Brotkorb.

      Ruth nickte und schlug deshalb einen Besuch im paläontologische Museum vor.

      Diese Idee fanden die Kinder “sehr cool”.

      Der Vorschlag, vor dem Museumsbesuch noch das Wohnzimmer aufzuräumen, wurde von den Jungs strikt abgelehnt.

      An diesem regnerischen Sonntagvormittag hatten mehrere Familien die Idee ins Dinomuseum zu gehen. Die Schlange vor der Kasse war dementsprechend lang. Endlich stand Ruth mit ihren Neffen vor dem Ticketschalter.

      “Grüß Gott. Ein Erwachsener und zwei Kinder, sieben und neun Jahre alt”, sagte Ruth.

      “Wollen Sie normale Eintrittskarten oder drei Kombitickets?”, wollte die Kassiererin wissen.

      “Kombiticket? Was ist das?”, erkundigte sich Ruth.

      “Das Kombiticket beinhaltet den Eintrittspreis unseres paläontologischen Museums und zusätzlich noch das vom Planetarium. Sie sparen damit sagenhafte 20%.”

      Die Kinder hörten aufmerksam zu. “Planetarium, au ja!”, jubelten sie.

      Die Kassierin sprach weiter: “Die Vorstellung im Planetarium beginnt um 14.30 Uhr und heißt `Gibt es Leben im All?’. Sie ist wirklich sehenswert und wie gesagt, Sie sparen 20%.”

      Ruth schaute in zwei verzückte Kindergesichter.

      “Drei Kombitickets, bitte”, beschloss sie.

      In der Ausstellung waren hauptsächlich ausgestorbene Lebewesen Baden-Württembergs ausgestellt. Dinosaurier aus der Triaszeit und Fisch- und Flugsaurier aus der Jurazeit. Die Kinder waren begeistert und rannten von Vitrine zu Vitrine. Eifrig füllten sie das Quiz aus, das ihnen die Kassiererin noch mitgegeben hatte. Sie beantworteten sämtliche Fragen richtig und erhielten jeder daraufhin einen kleinen Schokoladendinosaurier von einer Museumswärterin geschenkt.

      Beim Hinausgehen des Dinosauriermuseums, regnete es immer noch. Obwohl den Kindern der Besuch Spaß gemacht hatte, bemängelte Theodor, dass es keinen Tyrannosaurus in der Ausstellung gegeben hätte und Conrad beklagte das Fehlen eines Megalodon.

      Ruth verdrehte die Augen, schaute auf die Uhr, denn schließlich mussten sie pünktlich zur Vorstellung im Planetarium sein.

      “Wie wäre es, wenn wir jetzt zu McDonalds gehen?”, schlug sie vor.

      Das musste die Tante nicht zweimal sagen, denn die Jungs bekamen leuchtende Augen. Im Schnellrestaurant bestellte Ruth zweimal das Happy Meal Menü für die Neffen und für sich selbst einen Caesar Salat. Zum Nachtisch gab es noch ein McFlurry-Eis.

      Kapitel

      Schon von weitem sahen Tante und Neffen das schwarze, kugelförmige Gebäude. Es war das Planetarium der Stadt. An der Garderobe gaben sie ihre Jacken und Regenschirme ab. Sie gingen am Ticketschalter vorbei, direkt zur Eingangstür des Vorführraums. Dort stand eine Frau in einer dunkelblauen Uniform mit einem weißen Halstuch und kontrollierte den Einlass.

      “Grüß Gott! Henn Sie a Kombiticket oder a normales?”, erkundigte sie sich auf Schwäbisch.

      “Wir haben Kombitickets”, erwiderte Ruth und hielt die drei Eintrittskarten der Frau entgegen. Diese riß jeweils eine kleine Ecke von den Karten ab.

      “Viel Spaß bei unserer Show ‘Gibt es Leben im All?’”, sagte sie lächelnd.

      Da freie Platzwahl herrschte und der kuppelartige Raum noch fast leer war, rannten die Kinder gleich zur ersten Reihe und warfen sich in die drehbaren und bequemen Sessel. In der Mitte des Saals stand der Projektor, der eine löchrige, große Kugel auf Stelzen war.

      Ungeduldig warteten Ruth, Theodor und Conrad auf den Beginn der Vorführung. Endlich wurde das Licht gedimmt und eine Männerstimme aus einem Lautsprecher tönte: “Herzlich willkommen im Stuttgarter Planetarium! Kommen Sie mit auf eine Reise zu den Sternen. Erforschen Sie fremde Welten und entdecken Sie neues Leben in anderen Galaxien.”

      Musik spielte und auf der Leinwand oben an der Kuppel wurden die ersten Bilder projiziert. Hunderte, nein tausende von Lichtpunkten, die Sterne darstellten, leuchteten auf.

      “Wir werden uns zusammen auf die Suche nach Leben im unendlichen Universum machen und die Frage beantworten, ob auf erdähnlichen Planeten wie Proxima b, Kepler-1625b oder Kepler-186f oder auf Gliese- 581g Lebewesen existieren”, kam es aus dem Lautsprecher.

      An der Kuppel wurde nun ein Modell des Sonnensystems mit der großen gelb strahlenden Sonne, dem roten Mars, dem blauen Uranus und den anderen Planeten gezeigt. Mit offenem Mund betrachtete Ruth dies alles. Der Kauf des Kombitickets hatte sich gelohnt, dachte sie und verfolgte weiter gespannt die Show. Auf einmal zog jemand an ihrem Ärmel.

      “Ich habe Durst”, jammerte Theodor.

      “Pst”, machte die Tante und stöhnte innerlich auf.

      “Ich habe auch Durst”, meldete sich nun auch Conrad.

      Widerwillig kramte Ruth fünf Euro aus ihrem Geldbeutel.

      “Hier ist Geld, damit könnt ihr euch etwas zu Trinken kaufen”, flüsterte sie. “Und beeilt euch.”

      Die Kinder sprangen aus ihren Sesseln und verließen den Vorführraum. Draußen führte ein Gang um den runden Saal herum.

      “Wo ist der Getränkestand?”, fragte Theodor.

      “Keine Ahnung. Gehen wir mal nach links”, schlug Conrad vor. An den schwarz gestrichenen Korridorwänden hingen großformatige Fotos auf rahmenlosen Leinwänden. Sie zeigten Aufnahmen von der Milchstraße, einzelnen Planeten, Raumsonden und Raumschiffen. Immer wieder blieben die Jungs stehen und betrachteten interessiert die Fotos. Dass er durstig war, hatte Theodor fast schon wieder vergessen. Vor einem länglichen Foto, das fast bis auf den Boden reichte und einen Raketenstart mit einem Feuerstrahl abbildete, blieb der Junge stehen. Mit dem rechten Zeigefinger fuhr er immer wieder den Feuerstrahl nach. Daraufhin begann das Bild an zu wackeln. Letztendlich fiel es von der Wand. Gemeinsam versuchten die Brüder das Bild wieder