Hugo von Velocia

Ein Lindwurm unter Wölfen


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meine Gestalt wirst du nie annehmen können.“ Verzweifelt kratzte und biss er was seine Krallen und Zähne nur so hergaben. Doch er wurde schwächer und lange würde er sicher keinen Widerstand mehr leisten können.

      „Schluss damit, Kleiner. Hör auf dich zu wehren, sonst wird es nur noch unangenehmer für dich. Hast du schon vergessen, wie sich so ein Stromschlag anfühlt? Das war nur ein Vorgeschmack. Ich könnte es noch weit unangenehmer für dich werden lassen. Du wirst mir nie entkommen können, also gib endlich auf.“

      Slykur dachte sich, dass er lieber vorher schon aufgegeben hätte, bevor er gewusst hatte, dass der Lindwurm seine Gestalt annehmen würde können, wenn er ihn tatsächlich erfolgreich erbeuten würde. Aber er konnte und wollte nicht zulasen das sich irgendwer als sich selbst ausgab und dann vielleicht seine Freunde oder gar seinen Bruder fraß. Slykurs kleiner Bruder war zwar weit weg von hier, doch wer wusste schon, ob er nicht doch vielleicht irgendwann mal hierher kommen könnte. „Niemals, ihr verdammten Lindwürmer. Wir werden euch alle töten." Slykur versuchte erneut sich zu befreien. Er hatte noch immer einen Funken Hoffnung, dass ihm das auch gelingen konnte.

      „Leise fauchend öffnete der Lindwurm sein Maul und drückte seine Zähne in den Nacken des Drachen. Er biss allerdings nicht zu, sondern ritzte nur ganz leicht Slykurs Hautschuppen ein. "Akzeptiere dein Schicksal, Slykur. Du wirst mein Futter sein. Egal, was du tust, du wirst mir niemals entkommen können. Ich werde hinterher auch nicht versuchen, deine Gestalt anzunehmen, Kleiner.“

      Slykur wusste, dass der Lindwurm recht hatte, doch er hatte Angst es selber zuzugeben. Mit diesen Worten des Lindwurms war auch der letzte Funken Hoffnung in Slykur erloschen. Doch wahrscheinlich würde sich Slykur weiterhin lieber etwas vorlügen, als seine Niederlage einzugestehen. „Oh nein... es kann nicht vorbei sein. Nicht für mich.“ Slykur fiel es schwer zu verhindern, dass er in diesem Moment am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre. „So darf es eigentlich gar nicht enden.“ Slykur schwieg bevor er erneut anfing zu zappeln. Dies war wohl der Instinkt der Drachen, bis aufs letzte zu kämpfen.

      Der Lindwurm spürte die Verzweiflung des Drachen und egal, was man so über den Lindwurm sagte, er war nicht so böse, wie immer behauptet wurde. Um Slykur ein wenig zu trösten sagte er: „Ich werde versuchen, es völlig schmerzlos für dich zu erledigen. Es ist nicht so schlimm, wie du glaubst. Bisher hat sich noch keiner beschwert.“ Sabbernd öffnete der Lindwurm sein Maul. War dies der Moment, eine wirklich große Beute zu verschlingen?

      Slykur sah nur enttäuscht nach unten. Enttäuscht davon, ausgetrickst und besiegt worden zu sein. „Glaubst du nicht das jeder eine zweite Chance verdient hat? Wie willst du eigentlich Freunde finden, wenn du gleich alle frisst?“ Slykur versuchte ihn mit Worten zu überzeugen, denn körperlich war er dazu nicht mehr in der Lage.

      "Freunde? Wir Lindwürmer haben keine Freunde. Wir sind Einzelgänger. Wir sind unser ganzes Leben lang allein. Und wir brauchen auch gar keine Freunde“, erwiderte der Lindwurm lachend. Doch in Wahrheit hatte Slykur einen wunden Punkt getroffen, denn der Lindwurm fühlte sich bisweilen wirklich ziemlich einsam. Er hätte gerne Freunde gehabt, doch bis zum heutigen Tag hatte er noch nie auch nur einen einzigen Freund gefunden. Er wusste nicht einmal genau, was ein Freund eigentlich war. „Normalerweise würde ich dir bestimmt eine zweite Chance geben, aber ich habe Hunger. Es ist dein Pech, dass du mir begegnet bist und jetzt gefressen wirst."

      „Mein Schicksal kann doch nicht einfach von Pech geleitet werden. Du kannst dir doch alles schnappen was du willst. Dich kann keiner aufhalten... aber warum ausgerechnet ich?“ Der Blick war noch immer nach unten gerichtet. Slykur konnte den Lindwurm einfach nicht in die Augen sehen.

      „Weil du einfach ein hübscher und leckerer Drache bist und die fresse ich nun mal am liebsten. Und ich kann natürlich auch nicht allzu wählerisch sein, weil sich die meisten Tiere von meinem Revier fern halten. Dir ist ja selbst schon aufgefallen, dass es hier kaum Tiere gibt. Manchmal muss man eben nehmen, was man bekommen kann und ich wäre ein schlechter Jäger, wenn ich eine so fette Beute einfach ziehen lassen würde.“ Gierig starrte der Lindwurm den Drachen an. Er war entschlossen, sich nicht mehr erweichen zu lassen. Obwohl er ein Gefühl in sich spürte, dass er bislang noch gar nicht von sich kannte. Mitleid. Er hatte tatsächlich ein wenig Mitleid mit dem Drachen. Unter Lindwürmern war Mitleid eine sehr verachtenswerte Eigenschaft.

      „Aber...“ Slykur begann zu jammern und zu seufzen. „Ich könnte dir ein Gebiet zeigen wo mehrere jüngere Drachen als ich leben.“ Der Drache hätte nie gedacht, dass er sogar seine eigenen Bekannten für sein Leben opfern würde. Aber in solcher Verzweiflung taten Drachen alles um sich selbst zu schützen. Er blickte noch immer zu Boden und versuchte, seinen enttäuschten Gesichtsausdruck zu verbergen.

      „Tatsächlich? Das würdest du wirklich tun? Wenn ich das nur glauben könnte. Wenn du mir wirklich gleich mehrere Drachen zeigen könntest, dann würde ich es mir vielleicht noch mal überlegen, ob ich dich fresse. Also wo sind sie? Sag es mir.“ Der Lindwurm würde schon ganz gerne so ein paar jüngere Drachen fressen. Jungdrachen waren so ziemlich das Leckerste, was er sich vorstellen konnte. Doch er vertraute Slykur nicht, denn schon oft hatten Drachen versucht, ihm irgendwelche Lügengeschichten zu erzählen um sich selbst zu retten.

      Doch diesmal sprach Slykur die Wahrheit. Er hatte nun den Lindwurm schon mehrmals belogen und er wusste, wenn er es noch mal versuchen würde, würde der Lindwurm ihn ohne Gnade sofort fressen. „Ja, das ist diesmal die Wahrheit. Die Drachen sind an einem Ort, an dem ich vor kurzem noch gewohnt habe. Ich war dort nur für etwa zwei Wochen, also sind da auch keine Freunde und Verwandte von mir dabei." Slykur blickte traurig drein. „Es wird mir schwer fallen diese Drachen zu verraten, da sie auch kurzzeitig so was wie Freunde für mich waren. Aber ich will selbst nicht gefressen werden... und das ist meine letzte Chance.“

      „Ist das weit von hier? Ich bin nämlich nicht der schnellste zu Fuß. Und die Drachen sollten zumindest groß genug sein, um dich als Beute ersetzen zu können. Wenn das wieder so was wie dieser halb verhungerte Wolfswelpe ist, dann...“

      „Nein. Die Drachen sind groß genug für dich. Und es sind viele. Sie werden mich auf jeden Fall ersetzen können.“

      Gierig schleckte der Lindwurm über Slykurs Rücken. „Beschreibe mir ganz genau den Weg dorthin, damit ich die Drachen auch finden kann.“

      Slykur lief ein eiskalter Schauer über seinen Rücken, als der Lindwurm drüberschleckte. „Du lässt mich zuerst frei und dann kann ich dich dorthin begleiten, falls du mir nicht traust. Vorher kann ich es dir nicht sagen. Das musst du doch wohl verstehen. Weil wenn ich dir das jetzt erzähle, kann ich mir nicht sicher sein ob du mich dann trotzdem noch frisst oder nicht.“

      Der Lindwurm ärgerte sich ein wenig, weil Slykur genau erraten hatte, was er insgeheim vorgehabt hatte. Doch er ließ sich nichts anmerken und nach einem kurzen Moment lächelte er sogar. „Bist ein kluger Drache. Na gut. Aber du bleibst in meiner Nähe, verstanden? Nur ein Fluchtversuch, und dir wird es noch viel schlechter ergehen, als wenn ich dich hier und jetzt gleich fressen würde.“

      „Ich glaube viel schlechter kann es gar nicht mehr werden.“ Slykur wartete nur noch darauf, dass der Lindwurm seinen Griff lockerte und ihn damit endlich freigab.

      Der Lindwurm ließ Slykur jetzt tatsächlich los, doch er behielt ihn ganz genau im Auge, damit er gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen konnte. „So, und jetzt zeige mir den Weg. Ich hoffe für dich, dass es nicht zu weit ist, denn sonst könnte ich die Geduld mit dir verlieren und dich doch noch fressen.“

      „In Ordnung. Folge mir. Aber bitte versprich mir eines. Sie sind nicht besonders stark, also können sie auch nicht so großen Widerstand leisten, wie ich. Mach es kurz und schmerzlos, ich will sie nicht leiden sehen. Das könnte ich nicht ertragen.“ Slykur machte sich nun auf den Weg in das letzte Lager in dem er kurzzeitig gewohnt hatte.

      Der Lindwurm nickte einfach nur, doch er wusste nicht so wirklich, wie er es anstellen sollte, die kleinen Drachen schonender zu fressen, als jede andere Beute. Wenn sie nicht zu groß waren, könnte sie der Lindwurm sicher einfach lebend verschlingen. Das war im ersten Moment zwar nicht schmerzhaft, doch wenn die Jungdrachen erst einmal in seinem Magen angekommen waren, würden sie sicher ziemlich