Hugo von Velocia

Ein Lindwurm unter Wölfen


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folgte der Lindwurm nun eben nur noch Slykurs Spur. Der würde es noch bereuen, dem Lindwurm in die Quere gekommen zu sein. „Niemand nimmt mir ungestraft meine Beute weg“, grummelte er. Zwar war er nicht mehr hungrig, doch er konnte es trotzdem nicht ertragen, sich diese Jungdrachen einfach so von Slykur wegnehmen zu lassen.

      Slykur lief noch immer was seine Lungen so hergaben. Noch nie in seinem Leben war er so lange und so weit gelaufen, doch durch den ständigen Drang verfolgt zu werden, blieb seine Ausdauer konstant hoch. Hin und wieder wechselte er auch spontan die Richtung um den Lindwurm eventuell zu täuschen. „Gerade Wege sind ab jetzt zu gefährlich“, murmelte er. Nach einigem Laufen kam der Drache wieder bei dem Fluss an. Doch hier war er ein ganzes Stück weiter flussaufwärts, und sicher weit genug von der Stelle entfernt, an der er vorhin noch mit dem Jungdrachen absichtlich so viele falsche Spuren hinterlassen hatte. Er stieg ins Wasser und lief ein Stück flussaufwärts. Da der Fluss hier keine nennenswerte Strömung hatte, war es nicht schwer, sich auch Flussaufwärts zu bewegen. Flussabwärts wäre zwar weniger anstrengend gewesen, doch es war ja möglich, dass er dort irgendwo durch Zufall auf den Lindwurm treffen konnte. Vielleicht suchte der ja noch immer nach den richtigen Spuren, dachte sich Slykur. Da war es auf alle Fälle besser, sich möglichst fern zu halten.

      Langsam verlor der Lindwurm die Geduld. Er ärgerte sich, dass er diesen Slykur einfach nicht erwischen konnte. Er fragte sich, ob sich dieser Aufwand überhaupt lohnte, oder ob er sich besser mit den drei Jungdrachen zufrieden geben sollte. Denn diese drei Jungdrachen waren ziemlich schwer und der Lindwurm hätte sich am liebsten einfach irgendwo in die Sonne gelegt, um sie in Ruhe verdauen zu können. Doch seine Gier und seine Rachegelüste waren größer und so blieb er hartnäckig weiter auf Slykurs Spur. „Der muss doch irgendwann mal müde werden“, dachte er sich. Der Lindwurm hatte das Gefühl, dass Slykurs Vorsprung immer größer wurde und er dachte inzwischen schon ernsthaft daran, aufzugeben und sich endlich ein wenig zu entspannen, wie er es am liebsten nach einer Mahlzeit tat.

      Slykur war jedoch noch voller Energie und Kraft. Er hatte zusehen müssen, wie der Lindwurm einen seiner Drachenkameraden lebendig verschluckt hatte. Dieser Schock hatte ihm einen gewaltigen Adrenalinstoß gegeben, der durch Angst und Hoffnung auf weitere Jungdrachen, die entkommen konnten, aufrecht erhalten wurde. Er verließ den Fluss und lief noch weiter. Wenn er in diese Richtung weitermarschierte, würde er wahrscheinlich irgendwann wieder das Lager erreichen. Der Lindwurm rechnete sicher nicht damit, dass Slykur ausgerechnet dorthin gehen würde.

      Der Lindwurm war jedoch nicht dumm. Und schon bald merkte er, dass Slykur keinesfalls geradeaus lief. Wenn er es geschickt anstellte, würde er sicher einiges an Wegstrecke einsparen können. Am Fluss hatte der Lindwurm wieder Zeit verloren, doch es war ihm einigermaßen schnell gelungen, die Stelle zu entdecken, an der Slykur den Fluss verlassen hatte. „Will er etwa zu dem Drachennest zurück?“ fragte er sich, als er die Richtung der Spuren sah. Doch auch hier verliefen die Spuren alles andere, als auf dem kürzesten Weg. Slykur legte einen ziemlichen Zickzackkurs hin. Glaubte er etwa, sich dadurch einen Vorteil verschaffen zu können? Der Lindwurm war sich ziemlich sicher, dass der Gründrache zurück zum Drachennest wollte und er beschloss, das Risiko einzugehen und nicht mehr Slykurs Spur zu folgen, sondern auf direktem Weg dorthin zu kriechen, in der Hoffnung, vielleicht sogar vor Slykur dort einzutreffen.

      Ob einer von den beiden letzten Opfern entkommen konnte? fragte sich Slykur dauernd. Schließlich konnte er das Lager schon erkennen. Slykur ging äußerst vorsichtig vor und kroch langsam in Richtung Drachennest. Außerdem befand er sich in einem dichten Dickicht was seine Tarnung verbesserte. Als grüner Drache war er hier recht gut getarnt. Slykur bewegte sich immer weiter fort ohne Geräusche zu erzeugen oder Äste knicken zu lassen. Doch als er an dem Punkt ankam, wo er das Nest überblicken konnte, traute er seinen Augen kaum. Er sah den Lindwurm, wie er sich gerade in das Nest legte. Er scheint ziemlich verärgert und verschwitzt zu sein, dachte sich Slykur. Er war sich sicher, dass der Lindwurm sie verfolgt hatte, jedoch wie es schien ohne Erfolg. Slykur grinste und beobachtet vorsichtig das Verhalten des Lindwurms.

      Da der Lindwurm bei seinem Eintreffen noch keine Spur von Slykur gefunden hatte, machte er es sich erst mal in dem Drachennest bequem. Er wollte etwas Kraft tanken und in Ruhe seine drei Opfer verdauen, während er auf Slykur wartete. Dabei beobachtete er aufmerksam seine Umgebung, weil er Slykur auch rechtzeitig bemerken wollte. Das Slykur ihn schon gesehen hatte, hatte er noch nicht bemerkt.

      Slykur sah gespannt zu und merkte, dass der Lindwurm sich ausruhte. Er konnte drei Ausbeulungen am Bauch des Lindwurms erkennen. Das hieß dann wohl, dass keiner der beiden letzten Opfer dem gierigen Lindwurm entkommen konnte, dachte er sich traurig. Enttäuscht drehte er sich um und machte sich leise auf den Weg zurück zu der Stelle, an der er sich von dem Kleinen getrennt hatte. „Wie erkläre ich das nur dem Kleinen?", flüsterte er ganz leise während er langsam und traurig weiter ging. Inzwischen hatte ihm sein Gewissen schon so gequält das eine einzelne Träne über sein Gesicht lief. „Es ist alles meine Schuld“, schniefte er.

      langsam wurde der Lindwurm unruhig. Wo blieb der nur so lange? Ob er mich schon bemerkt hat und heimlich abgehauen ist, dachte er sich und verließ das Drachennest. Er kroch auf ein Gebüsch in der Nähe zu. Dort konnte er riechen, dass Slykur ganz in der Nähe sein musste. Doch diesmal hatte er keine Lust noch einmal hinter ihm herzulaufen. Er rief nur laut nach ihm. „Slykur, ich weiß dass du ganz in der Nähe bist. Komm raus, damit ich mit dir reden kann. Ich schlage dir einen Waffenstillstand vor.“

      Slykur wurde in diesem Moment komplett bange. Der Lindwurm wusste, dass er hier war. Auch wenn er ihn anscheinend noch nicht gesehen hatte. Ich werde nicht antworten, dachte er sich. Lindwürmer sind nie ehrlich und nach den Aktionen die ich in letzter Zeit geliefert habe, will er sicher keinen Waffenstillstand, darauf würde ich wetten. Er begann sich immer schneller fortzubewegen aber versuchte dennoch dabei möglichst kein Geräusch zu verursachen.

      „Du kannst ruhig rauskommen. Ich wollte dir nur sagen, dass ich selten einen Gegner hatte, der mich so auf Trab gehalten hat. Du bist wirklich gut. Aber nicht gut genug, um mir entkommen zu können. Aber ich will mal nicht so sein. Mir reichen vorerst diese drei Jungdrachen. Du musst dir also keine Sorgen mehr machen.“ Der Lindwurm war sich sicher, dass Slykur ihn hören konnte, doch er rechnete nicht wirklich damit, dass er ihm auch antwortete.

      Er hat also doch alle Drei erwischt, dachte sich Slykur. Jetzt habe ich wenigstens Gewissheit. Aber er wollte auf keinen Fall antworten. Den Worten eines Lindwurms durfte man keinen Glauben schenken. Er wollte nicht noch einmal den heißen, gierigen Atem des Lindwurms im Nacken spüren. Dieses kaltblütige Monster hätte gewiss auch mich verschlungen, wenn es die Gelegenheit dazu gehabt hätte. „Bevor ich einem Lindwurm noch mal etwas glaube, ernähre ich mich nur noch von Pflanzen", grummelte er leise.

      Der Lindwurm hatte das leise grummeln allerdings gehört und kroch sofort in diese Richtung. „Aha, da bist du also. Ich habe es doch gewusst. Wie kommst du eigentlich dazu, mir meine leckeren Jungdrachen zu stehlen? Du hattest mir fünf versprochen.“

      Slykur war jedoch bereits ein Stück entfernt und somit außerhalb der Reichweite des Lindwurms. Slykur ergriff sofort wieder die Flucht „Ha! Du hast dich nicht an die Abmachung gehalten und ich hab es auch nicht. Wir sind quitt, mein Freund“, schnauzte Slykur während er schnell losrannte.

      Der Lindwurm fluchte laut vor sich hin, denn er hatte nicht die geringste Lust, erneut den Drachen verfolgen zu müssen. Durch die lange Verfolgung von eben, war es nun der Lindwurm, der ziemlich müde war. Zudem bewegte sich der Lindwurm ohnehin nicht so gerne, wenn er vollgefressen war und drei so Jungdrachen hatten schon ein ziemliches Gewicht. „Bleib stehen. Du könntest mir wenigstens sagen wo du die kleinen Drachen hingebracht hast. Dann lasse ich dich auch in Ruhe.“

      Diese Aussage des Lindwurms erweckte den Sarkasmus in Slykur. „Ja klar, sonst noch irgendwelche Extrawünsche? Soll ich mich dann vielleicht auch noch dazulegen oder was?“ „Du hast mich verraten, und du hast drei Jungdrachen... das muss dir reichen!“ Slykur merkte, dass der Lindwurm durch seinen vollen Bauch nicht so schnell laufen konnte. Der wird mich niemals einholen können, dachte er.

      Der Lindwurm wusste, dass er Slykur nicht mehr folgen konnte und er ärgerte sich ungemein darüber, so einen Drachen entkommen lassen zu müssen.