Stefan Mitrenga

Schwarzer Seehas


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zwei Bier waren eine gut gemeinte Geste des Vermieters gewesen, doch schon in der Halbzeitpause war Beller in die Tankstelle im Nachbardorf gefahren, um Nachschub zu holen. So hatte er den Samstagabend gut überstanden, den Sonntag hatte er auf dem Sofa verbracht. Er hatte mit GoogleMaps die Umgebung nach bekannten Orten abgesucht, aber erst mit Ulm und Stuttgart vertraute Namen gefunden. Nur ein weiterer Ort in der Nähe kam ihm bekannt vor – Bad Schussenried – doch er konnte sich nicht erinnern, woher er den Namen kannte. Auf der Suche nach Anhaltspunkten gab er den Ort bei Wikipedia ein und wühlte sich durch die Stadtgeschichte. Plötzlich fiel es ihm wieder ein: in Bad Schussenried gab es ein Zentrum für Psychiatrie. Daher kannte er den Namen. Vor einiger Zeit hatte einer seiner Psychologiedozenten das Handtuch geworfen und hatte sich in psychiatrische Behandlung begeben. In Bad Schussenried. Damals hatte Beller sich gefragt, wo zum Teufel dieser Ort war. Nun wusste er es. Professor Dr. Dr. Wollenweber. Ob er noch dort war? Damals war er für ihn mehr als nur ein Dozent gewesen. Sie hatten sich angefreundet und Wollenweber war sein Mentor geworden. Beller nahm sich vor herauszufinden, ob sein Freund noch in Bad Schussenried war. Vielleicht konnte er ihn ja besuchen. Der Professor war der beste Psychoanalytiker gewesen, den er je gekannt hatte. Von ihm hatte er fast alles gelernt, was er heute über das sogenannte „Profiling“ wusste. Seine vier Bücher standen bei ihm zu Hause im Regal. Er würde ihn gern wiedersehen und die Gelegenheit würde so schnell nicht wiederkommen.

      Zu der Besprechung am Montag kam Beller fast eine halbe Stunde zu spät. Er hatte den Berufsverkehr auf dem Land unterschätzt. Dank fehlender Klimaanlage in dem alten Passat hatte er bereits Schweißränder unter den Achseln.

      „Entschuldigen Sie die Verspätung“, keuchte er und ließ sich auf einen freien Stuhl fallen. „Wusste nicht, dass der Berufsverkehr auf dem Land fast so schlimm ist wie in Berlin.“

      „Kein Problem, Kollege, wir haben eben erst angefangen. Vielleicht stellen wir uns erst mal kurz vor: ich bin Kriminalhauptkommissar Hoffmann, aber du kannst mich gerne Hoffi nennen … das machen alle hier.“

      Beller streckte seine Hand über den Tisch. „Freut mich, Hoffi. Ich bin Beller.“

      „Einfach nur Beller?“

      „Einfach nur Beller!“

      Hoffi zeigte auf die anderen Anwesenden. „Das sind die Jungs, die ebenfalls fürs Seehasenfest eingeteilt sind: Ludwig Meier, Axel Rabe, Manuel Neuer und Kevin Klein.“

      Alle erhoben sich kurz und man schüttelte sich die Hände. Bei Neuer musste Beller grinsen.

      „Spielst du Fußball?“

      Neuer schüttelte den Kopf und zog eine Grimasse. „Kein bisschen! Ich muss bei den Bayernspielen selber immer lachen, wenn mein Name vorgelesen wird. Ich kann mit Bällen nichts anfangen. Kampfsport ist mein Ding. Tae Kwon Do. Kennst du?“

      Beller nickte. Er hatte während seiner Ausbildung mehrere Kampfsportarten ausprobiert. Er hatte Talent gehabt, aber irgendwann die Lust verloren.

      „Und unseren Schorschi kennst du ja schon. Er ist sowas wie unsere gute Seele“, lobte Kriminalhauptkommissar Hoffmann den übergewichtigen Schulz, der mit einem großen Tablett Butterbrezeln hereinkam.

      „Und? Zufrieden mit dem Grünen?“, fragte er augenzwinkernd und hielt Beller das Tablett hin.

      „Er fährt. Das muss wohl reichen …“

      „Dann wollen wir mal“, leitete Hoffi über und rollte an der Wand eine Karte von der Friedrichshafener Innenstadt ab. Die Bereiche, die zum Seehasenfest gehörten, waren farblich markiert, genauso wie die Zufahrtswege. Beller stellte überrascht fest, dass seine neuen Kollegen sehr professionell vorgingen. Die Gefahrenanalyse und die entsprechenden Gegenmaßnahmen hätten aus dem Lehrbuch kommen können. Wobei die Rahmenbedingungen vieles erleichterten. Die Stadt wurde im Süden vom Bodensee begrenzt, wodurch im Vergleich zu anderen Städten schon mal die Hälfte an Zufahrtmöglichkeiten wegfiel. Außerdem spielte sich das Fest selbst fast ausschließlich im Uferbereich ab, auf der sogenannten Uferpromenade, so dass mit kleinem Aufwand nahezu alle Straßen zum Fest gesperrt werden konnten und die Stadt selbst trotzdem noch erreichbar blieb. Der einzige Platz, der ihm etwas Sorgen bereitete, war der Seeparkplatz auf dem die Fahrgeschäfte für die Kinder und Jugendlichen stehen würden. Der Platz lag sehr dicht an einer breiten Straße, die auch während des Festes befahrbar sein würde, doch Hoffi versicherte ihm, dass massive Absperrungen aufgebaut würden.

      „Und was ist mit dem Flugplatz?“, warf Beller ein. Seit 9/11 wusste man, dass auch Flugzeuge als Waffe genutzt werden konnten.

      „Es gibt über das Fest ganz spezielle Sicherheitsprotokolle für jeden, der in Friedrichshafen startet oder landet“, erklärte Hoffi. „Die Flughafenpolizei dehnt außerdem die Kontrollen aus. Im Normalfall kann da nichts passieren.“

      Beller wusste, dass es sich bei terroristischen Anschlägen im Nachhinein nie um Normalfälle handelte. Auch die Terroristen hatten über die Jahre dazugelernt und neue Methoden gefunden, um ans Ziel zu kommen. Deshalb war es wichtig schon im Vorfeld das Unmögliche mit einzubeziehen.

      „Wie sieht es mit bewaffneten Schiffen auf dem Bodensee aus?“, fragte Beller. Die anderen sahen sich ratlos an. Nur der dicke Schultz räusperte sich und hob die Hand.

      „Die Schweizer haben ein paar Militärschiffe vom Typ Patrouillenboot 16. Die sind mit einem Maschinengewehr ausgestattet. Sie sind aber eher klein, damit sie sie leichter über Land transportieren können. Einen Krieg gewinnst du mit denen nicht.“

      „Und in Österreich?“, hakte Beller nach.

      Schultz schüttelte den Kopf. „Die haben gar nichts. Nur die übliche Wasserschutzpolizei wie bei uns auch.“

      Alle staunten über Schorschs Wissen und nickten anerkennend.

      „Dann hoffen wir mal, dass die Schweizer zum Seehasenfest keinen Angriff planen“, scherzte Beller, doch er erntete nur verständnislose Blicke.

      „Hör mal Beller“, setzte Hoffi an, „das Seehasenfest ist auch bei den Schweizern sehr beliebt. Die kommen zu Tausenden. Außerdem ist das ein sehr gemütliches Völkchen. Glaub mir: von Seiten der Eidgenossen droht keine Gefahr.“

      Beller zuckte mit den Schultern. „Du wirst wohl Recht haben. Ich will nur nichts übersehen.“

      Sie diskutierten noch fast zwei Stunden über verschiedene Zugänge, die eventuell gesperrt werden müssten, doch unterm Strich fragte Beller sich, warum sie ihn angefordert hatten. Die Kollegen hatten alles im Griff und er konnte nur wenig beisteuern.

      Als Hoffi die Sitzung beendete, atmete Schorsch tief durch.

      „Ich hasse diese langen Meetings. Dafür bin ich nicht zur Kripo gegangen. Mir ist es lieber, ich habe ein bisschen Action.“

      Beller sah den Kommissar skeptisch an. Er hatte bestimmt dreißig Kilo zu viel auf den Rippen und schwitzte bei jeder Bewegung. Sehnte Schorsch sich wirklich nach gefährlichen Außeneinsätzen?

      „Was für Action meinst du?“, hakte Beller nach.

      „Naja, jetzt nichts Wildes. Aber ein bisschen rauskommen, wäre schön. Wir könnten doch den Festbereich am Ufer mal ablaufen. Es ist immer etwas anderes, wenn man vor Ort ist.“

      Beller wollte schon widersprechen, fand die Idee eines Spaziergangs am See aber gar nicht so schlecht.

      „Ich kläre das mit Hoffi“, sagte er und ging Richtung Tür.

      „Warte“, hielt in Schorsch ihn zurück. „Frag, ob Kevin auch mit kann. Der war auch noch nicht dort. Glaube ich zumindest.“

      Beller zuckte mit den Schultern und ging ins Büro des Dienststellenleiters.

      „Wie kommt es, dass du auch noch nie hier warst, Kevin“, fragte Beller, nachdem sie das Auto auf dem Vorplatz des Graf-Zeppelin-Hauses abgestellt hatten.

      „Ich war schon mal hier“, widersprach Kevin verlegen. „Aber nur zwei oder drei Mal. Ist auch schon länger her.“

      Schorsch klopfte dem jungen Mann auf die Schulter. „Den Kevin haben uns die Ravensburger als Unterstützung geschickt. Er ist noch nicht lange dabei,