Stefan Mitrenga

Schwarzer Seehas


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Menü des alten Navis quälte und sich mehrfach vertippte. Endlich lächelte er und wischte den Schweiß von der Stirn.

      „Passt. Du kannst jetzt los.“

      „Und wann soll ich wieder hier sein?“

      „Wie gesagt: wir haben erst Montag mit dir gerechnet. Um neun Uhr ist ein Meeting angesetzt. Es reicht wohl, wenn du dann kommst.“

      Prima, dachte Beller. Ein Wochenende in der Provinz. Die Hertha spielt im Stadion und hier gibt es wahrscheinlich nirgends Sky. Gibt es hier überhaupt Strom?

      „Was macht man denn hier so am Wochenende?“

      Schorsch lächelte. „Ich geh Angeln. Du kannst auch wandern, oder am See spazieren gehen … ist echt schön … aber wie gesagt: ich geh Angeln. Willst du mit? Ich geh morgen früh um sechs runter an die Rotachmündung.“

      „Nein!“ Beller hatte auf nichts weniger Lust, als mit einem dicken Kripo-Beamten sonntagmorgens um sechs an einem Fluss zu sitzen.

      „Ich finde schon was, danke! Wir sehen uns Montag um neun!“

      Beller wusste nicht, ob er Schorsch enttäuscht hatte, es war ihm aber egal. Man konnte nicht alles haben.

      Barnsteiner beobachtete das Eintreffen der Gäste vom Fenster aus. Die Limousine mit abgedunkelten Scheiben fuhr in die Einfahrt zur Villa und parkte direkt vor der Tür. Jeweils zwei der vier Kunden wurden von Brugger und Schmidt ins Haus geführt. Sie trugen Augenbinden. Eine von Barnsteiners Bedingungen. Niemand durfte wissen, wo sie zu finden waren. Als alle im Haus waren, ging er ins Büro und schaltete den Überwachungsmonitor für das Besprechungszimmer ein, den er extra installiert hatte. Das Bild war gestochen scharf, wie bei einem Blockbuster im TV. Er sah die Gäste in den Raum kommen, jedoch nur von hinten, bis sie sich an den Konferenztisch in der Mitte des Raumes setzten. Als ihnen die Augenbinden abgenommen wurden, entfuhr Barnsteiner ein leiser Schrei. Einer der vier Männer war sein alter Zellengenosse Juri.

      Er hatte sich im Vorfeld geweigert, mehr über diese Aktion zu erfahren als unbedingt notwendig. Sie brauchten nur sein U-Boot, nicht ihn. Für die Fahrt reichten Brugger und Schmidt. Doch nun war er neugierig. Er hatte Juri seit über zwanzig Jahren nicht gesehen, erinnerte sich aber gut. Wenn der Russe dabei war, lag Gefahr in der Luft. Dass diese Aktion anders sein würde als alles, was sie bisher mit dem U-Boot auf die Beine gestellt hatten, war ihm klar gewesen, doch mit Juri nahm das Unternehmen eine neue Dimension an. Er kannte seinen alten Zellengenossen und wusste, dass er vor nichts zurückschrecken würde – auch nicht davor jemanden zu töten. Doch das stand im Widerspruch zu der Vereinbarung, die Notar Kuschel mit dem Auftraggeber geschlossen hatte. Niemand sollte verletzt werden und schon gar nicht getötet. Gewalt war nur im absoluten Notfall vorgesehen. Barnsteiner hatte die Befürchtung, dass Juri das etwas anders sah.

      „Hey Barney – was machst du denn hier?“, rief Juri erfreut, als sein alter Zellengenosse durch die Tür kam. Brugger und Schmidt drehten sich überrascht um.

      „Ich wollte dir nur kurz hallo sagen, alter Freund!“

      Barnsteiner studierte Juris Gesicht, dessen ledrige Haut von zahlreichen Falten durchzogen war. Er hatte einiges abgenommen und machte einen durchtrainierten Eindruck. Seine Augen zeigten echte Freude.

      „Mit dir hätte ich hier nicht gerechnet. Gehörst du auch zum Team?“

      Barnsteiner hob abwehrend die Hände. „Gott bewahre. Das ist nicht meine Welt. Ich war als Einbrecher schon eine Null, für eine Aktion wie diese bin ich nicht der Richtige.“

      Juri spürte, dass Barnsteiner nicht mehr erzählen wollte und hakte nicht nach.

      „Und du? Immer noch in der Autobranche?“

      Juri lachte herzlich. „Das habe ich schon vor langer Zeit aufgegeben. Das läuft heute im großen Stil ab. Da brauche ich nicht mehr mitmischen. Ich bin jetzt im Personenschutz.“

      Barnsteiner zog die Stirn kraus. Schützt du irgendwen oder sorgst du dafür, dass jemand Schutz braucht? Er konnte sich Juri beim besten Willen nicht als aufopferungsvollen Beschützer vorstellen. Juri sah ihm seine Bedenken an und zog ihn zur Seite.

      „Ich bin hier für den Fall, dass etwas schief geht“, flüsterte er. „So wie ich dich damals im Knast beschützt habe, werde ich auch dieses Team beschützen. Glaub mir: wenn alles glatt geht, wird niemand verletzt.“

      Das hörte Barnsteiner gern, ahnte aber, dass er belogen worden war.

      „Wer sind die anderen? Seid ihr ein festes Team?“

      Juri lächelte schief. „Ich habe niemals ein festes Team. Der Boss hat uns zusammengebracht. Wir kennen uns erst ein halbes Jahr. Seitdem läuft die Planung. Der große da heißt David und der mit dem Schnauzer Jürgen. Sie behaupten, sie hätten zusammen schon über zwanzig Banken überfallen und seien nie erwischt worden. Ehrlich gesagt glaube ich, dass sie ein wenig dick auftragen. Und der dritte ist Werner. Der hat sich auf Betrug spezialisiert und kann dich zu allem überreden. Pass bloß auf, wenn du mit ihm redest, sonst hast du hinterher eine fiktive Finka auf Malle und die teuerste Lebensversicherung, die es gibt.“

      Barnsteiner fragte sich, wer der Boss im Hintergrund war, wusste aber, dass er das nie erfahren würde. Die anderen drei Teammitglieder machten einen vernünftigen Eindruck. Sie hatten Allerweltsgesichter und schienen nicht dumm zu sein. Sie unterhielten sich angeregt mit Brugger und Schmidt und stellten Fragen zum U-Boot. Natürlich wollten sie es sehen und Barnsteiner beantwortete Bruggers fragenden Blick mit einem Nicken. Sollten sie es sich doch anschauen. Dann wussten sie wenigstens, was sie erwartete.

      Aus einer Laune heraus hatte er noch einmal Rebecca angerufen. Sie hatten sich gut unterhalten und sich auf eine Weinschorle im „Tagblatt“ in der Konstanzer Innenstadt verabredet. Sven war erstaunt gewesen, wie gut es ihr ging. Nach dem üblichen Smalltalk hatten sie auch über ihre Beziehung gesprochen. Rebecca hatte betont, wie leid es ihr tat und dass sie die Zeit einfach gebraucht hätte. Ihr sei alles über den Kopf gewachsen: die vielen Termine, die Prüfungen, überhaupt das ganze Studium.

      Sie war wieder ganz die alte gewesen und sie hatten miteinander gelacht und sich dann sogar geküsst. Eilig hatten sie die Rechnung bezahlt und waren in Svens Wohnung gefahren.

      Rebecca schlief noch und Sven bewunderte ihren nackten Körper. Er hatte sie so sehr vermisst, dass es wehgetan hatte und nun lag sie wieder neben ihm. War das ein Neuanfang oder nur ein leidenschaftlicher One-Night-Stand der alten Zeiten wegen? Er seufzte und fuhr sanft mit den Fingern ihren Rücken hinunter. Rebecca schauderte unter seiner Berührung und drehte sich, ohne die Augen zu öffnen, auf den Rücken.

      „Wenn du jetzt aufhörst, bist du ein toter Mann“, flüsterte sie und schob ihre Hand zwischen seine Beine.

      Als sie eine Stunde später zusammen unter der Dusche standen, war Sven der glücklichste Mensch der Welt.

      „Ich liebe dich, Rebecca“, flüsterte er in ihr Ohr und überlegte, ob dies die Frau seines Lebens war. Sein Herz pochte wild in seiner Brust und er konnte sich nur mit Mühe zurückhalten. Nein. Nicht jetzt. Aber nach dem Seehasenfest werde ich sie fragen, ob sie mich heiratet.

      Beller hatte eine halbe Stunde bis zu seiner Unterkunft gebraucht. Das uralte Navi hatte sein letztes Update zu Gerhard Schröders Amtszeit bekommen und war daher mit den vielen neuen Kreisverkehren überfordert. Er hatte schon öfter dienstlich in Hotels übernachtet, in einer Ferienwohnung war er zum ersten Mal.

      „Willkommen im Haus Felicia“, hatte der Vermieter gesagt. Mehr hatte Beller nicht verstanden, da der Mann extremes Schwäbisch sprach. Bei einer kurzen Führung hatte er grinsend den kleinen Kühlschrank geöffnet und auf die zwei Flaschen Bier gezeigt.

      „A richtig guats Bier. Damit it glei wieder eikaufa musch.“

      Beller ahnte, was der Mann meinte und lächelte gezwungen.

      Die Wohnung war hübsch – schöner als seine eigenen vier Wände in Berlin. Sie hatte sogar einen kleinen Schwedenofen, doch Beller bezweifelte, dass er ihn benötigen würde: aktuell zeigte das Thermometer achtundzwanzig Grad.

      Sky gab es in der Wohnung natürlich nicht, aber immerhin Wlan. Also schaute