Stefan Mitrenga

Schwarzer Seehas


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nickte nur und griff nach der angebotenen Hand. Hatte der Mann gerade „Gärtner und Kapitän“ gesagt? Dann kann man hier sicher mal zum Angeln rausfahren. Ein Kapitän hatte bestimmt auch ein Boot.

      „Ah – und da kommt mein Maschinist!“, rief der Gärtner und zeigte auf einen Mann, der aus einem Anbau heraustrat.

      „Freut mich sehr“, sagte er kurz darauf und schüttelte Barnsteiners Hand. „Ich bin Schmidt – Verwalter und Maschinist.“

      Die beiden Männer machten einen sympathischen Eindruck, doch Barnsteiner war viel zu überwältigt, um ihre Begrüßung zu erwidern. Sein Blick schweifte über die Villa, die ihm jetzt nicht mehr so riesig vorkam. Die Eingangsseite schätzte Barnsteiner auf eine Breite von vielleicht fünfzehn Metern, die Fassade reichte zwei Etagen in die Höhe, bevor das Dach anfing. Auf der rechten Seite schmiegte sich ein fensterloser einstöckiger Anbau an das Haus, der mit seinem Flachdach nicht zu dem Anwesen passte. Er schien nach hinten länger zu sein als das eigentliche Gebäude und bis ans Wasser zu reichen.

      „Kommen Sie doch herein“, forderte Brugger sie auf. „Es ist schön, wieder jemanden im Haus zu haben. Seit Ummenhofer vor zwei Jahren gestorben ist, stand das Wohnhaus leer.“

      Barnsteiner folgte den anderen in die Eingangshalle. Dunkle Holzvertäfelungen ließen den Raum kleiner wirken als er war, schwere Teppiche dämpften ihre Schritte. An den Wänden hingen Portraits von Menschen, die er nicht kannte. Zahlreiche Türen führten in angrenzende Räume, eine geschwungene Steintreppe in den ersten Stock.

      „Kleine Führung gefällig?“, bot Schmidt an.

      Barnsteiner schaute ratlos zu Notar Kuschel, der ihm auffordernd zunickte.

      „Gehen Sie nur. Ich warte hier.“

      Schmidt führte ihn in die einzelnen Räume und erklärte, wofür sie benutzt wurden. Barnsteiner stellte erfreut fest, dass die Zimmer im ersten Stock eher modern eingerichtet waren. Im Wohnzimmer gab es sogar einen riesigen Fernseher, der eine ganze Wand einnahm. In einem kleineren Raum, laut Schmidt das Büro, standen zwei Apple-Computer und ein großer Laserdrucker. Auf einem Regal zeigten fünf Monitore Bilder von Überwachungskameras: das große Tor, das jetzt wieder geschlossen war, die Eingangstür, zwei Wege im Gartenbereich und ein verschlossenes Tor am Wasser.

      Schmidt führte ihn noch in die Küche, die fünf Gästezimmer und die drei Badezimmer. Auf den Dachboden, der als Abstellplatz diente, verzichtete er.

      „Und? Wie gefällt es Ihnen?“, fragte der Notar, als sie sich in der Eingangshalle wiedertrafen.

      „Wenn ich ehrlich bin, kann ich es kaum glauben“, antwortete Barnsteiner. „Das gehört jetzt wirklich alles mir?“

      Der Notar, Brugger und Schmidt nickten synchron.

      „Und es gibt noch eine Überraschung“, sagte Notar Kuschel und zog einen Umschlag aus seiner Manteltasche. Das Kuvert war mit einem altmodischen Wachssiegel versehen und von Hand beschriftet.

      „Für Bernd Barnsteiner“

      Mit feuchten Fingern brach er das Siegel und nahm den Brief heraus.

      Lieber Bernd,

      es tut mir leid, dass wir uns nie wirklich kennengelernt haben. Tatsächlich habe ich dich nur ein einziges Mal gesehen, als du zwei Jahre alt warst. Aus der Ferne habe ich dich und deine zweifelhafte Karriere über die Jahre verfolgt und bin zu dem Entschluss gekommen, dass du als Einziger aus unserer dümmlich biederen Verwandtschaft als Erbe in Frage kommst. Wenn du diesen Brief liest, hast du das Erbe bereits angenommen und befindest dich in deinem neuen Haus. Mach dir um den Unterhalt der Villa und der Anlagen keine Sorgen – ich habe für alles gesorgt. Auch Brugger und Schmidt stehen dir weiter zur Seite. Du wirst sie brauchen. Um ihre Gehälter brauchst du dich ebenfalls nicht zu kümmern. Zusätzlich zu meinem Anwesen erhältst du etwas Geld, so dass du dir in Zukunft keine Sorgen mehr machen musst. Notar Kuschel wird das mit dir besprechen. Du kannst ihm uneingeschränkt vertrauen.

      Und dann habe ich noch eine kleine Überraschung für dich. Ein Geschenk. Brugger und Schmidt werden es dir zeigen. Du kannst damit machen, was du willst. Du kannst der Welt davon erzählen, wenn du möchtest oder du kannst klug handeln und es für dich behalten. Es liegt bei dir. Ich vertraue deiner Kreativität und hoffe, dass du etwas aus meinem Erbe machst.

      Ich wünsche dir für die Zukunft alles Gute!

      Herzlichst

      Georg Ummenhofer

      Barnsteiner las den Brief ein zweites Mal und störte sich an der Formulierung „deine zweifelhafte Karriere“. Machte dieser Ummenhofer sich über ihn lustig? Wenigstens schien er zu wissen, wem er sein Erbe hinterlassen hatte, so dass es im Nachhinein nicht zu irgendwelchen Problemen kommen würde.

      „Dann kommt jetzt die Überraschung?“, fragte er Brugger, der freundlich nickte.

      „Wenn Sie mir bitte einfach folgen …“

      Brugger ging quer durch die Eingangshalle und blieb vor einer unscheinbaren Tür stehen. Barnsteiner hätte sie gar nicht als Tür erkannt, so perfekt war sie in die Holzvertäfelung eingearbeitet. Muss ja eine verdammt wichtige Überraschung sein, dachte er, als Brugger auf einem Tastenfeld, das hinter einer Klappe verborgen gewesen war, eine Zahlenfolge tippte. Mit einem leisen Klacken öffnete sich die Tür einen Spalt und Brugger schob sie weiter auf. Modrige, kühle Luft schlug ihnen entgegen, die schwache Beleuchtung schaltete sich von selbst ein. Je weiter sie den Gang entlangliefen, desto stärker wurde der Geruch nach Seetang und Fisch. Barnsteiner versuchte sich zu orientieren und vermutete, dass sie sich in dem Anbau mit Flachdach befanden, der bis ans Wasser zu reichen schien. Das würde auch den Gestank erklären.

      Brugger öffnete eine weitere Tür und sie betraten einen großen Raum. Er war dunkel, doch Barnsteiner hörte das leise Klatschen von Wasser gegen Beton. Der Hall ließ vermuten, dass es sich um einen riesigen Raum handelte. Das spärliche Licht kam von irgendwoher an der gegenüberliegenden Wand und Barnsteiners Augen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit. Da war irgendetwas Großes vor ihm, doch es war zu dunkel, um es zu erkennen. Eine Yacht, dachte Barnsteiner plötzlich, die Überraschung ist eine eigene Yacht. Das Wasser, die Größe … das würde passen.

      „Sind Sie bereit“, fragte Brugger, wartete die Antwort aber nicht ab. „Drei … zwei … eins …“

      Mit einem Mal flammten mehrere Scheinwerfer auf, die auf das große Objekt in der Mitte der Halle gerichtet waren. Barnsteiner versuchte zu begreifen, was er da vor sich sah. Benommen ging er ein paar Schritte vor und blieb an der Kante zum Wasser stehen.

      Konnte das wahr sein? Er streckte eine Hand aus und berührte den kalten Stahl. Kein Traum also. Dies hier war die Wirklichkeit. Er schüttelte den Kopf. „Das ist doch Wahnsinn!“ So unglaublich es war: er besaß nun ein U-Boot.

       1 Weichenstellungen

      Beller wartete seit einer halben Stunde darauf hineingebeten zu werden. Er hatte das Magazin der Polizeigewerkschaft bereits zweimal durchgeblättert, wobei er sich vor allem die Fotos angesehen hatte. Überall lachende Menschen in Uniform, die zu irgendwelchen Anlässen für die Kameras posierten. Entnervt schleuderte er die Zeitschrift auf den kleinen Tisch und sah auf seine Armbanduhr. Bis vor drei Monaten hatte er hier nie warten müssen. Wann immer er wollte, war er unter einem Vorwand an der Sekretärin vorbei in das Büro seiner Chefin gegangen. Meist erhielt die Sekretärin dann die Anweisung, niemanden reinzulassen und auch keine Anrufe durchzustellen, damit sie ungestört vögeln konnten. Fast ein Jahr waren sie zusammen gewesen, ohne dass jemand etwas mitbekam. Doch dann verschwanden ein paar Akten aus dem Büro und seine Chefin kontrollierte die Aufzeichnungen der Überwachungskameras. Als sie darauf ihren Freund entdeckte, der ihre Sekretärin auf ihrem Schreibtisch nahm, beendete sie die Affäre sofort. Die Sekretärin wurde versetzt, Beller strafte sie mit Nichtbeachtung. Weitere Konsequenzen blieben aus, da seine Chefin verheiratet war und zwei Kinder hatte.

      „Sie können jetzt rein“, sagte der junge Mann, der die Stelle der versetzten Sekretärin übernommen hatte. Ob sie jetzt wohl mit ihm vögelt, überlegte Beller, hielt es aber für wenig wahrscheinlich.

      „Kriminaloberkommissar