Stefan Mitrenga

Schwarzer Seehas


Скачать книгу

und des Maschinisten war ein anderer: sie sollten zum ersten Mal einen Torpedo einsetzen.

      2 Vorbereitungen

      „Eine Bahnfahrt, die ist lustig, eine Bahnfahrt, die ist schön …“, sang es in Bellers Gehirn spöttisch. Ging es in dem Lied nicht um eine Seefahrt? Egal. Seit fast sechs Stunden ertrug er das monotone Rattern des Zuges. Früher hatte es von Berlin aus Direktflüge nach Friedrichshafen gegeben, doch die zuständige Airline hatte vor kurzem Pleite gemacht. Also Zugfahren. Trotz Klimaanlage war sein Hemd durchgeschwitzt und er klebte mit den Unterarmen an der Lehne fest. Als er die attraktive Zugbegleiterin nach einem Bier fragte, entschuldigte sie sich: der Speisewagen sei wegen der Hitze ausgefallen. Beller glaubte, es könne nicht mehr schlimmer kommen, musste aber nach dem Umsteigen in Ulm eingestehen, dass er sich geirrt hatte. Mit einem Interregioexpress ging es weiter Richtung Süden, bis in einem Kaff namens Aulendorf eine dialektgeschwängerte Ansage monoton verkündete, dass der Rest der Strecke wegen Bauarbeiten gesperrt sei. Die Stimme wünschte eine gute Weiterreise mit dem Schienenersatzverkehr.

      Zwei Busse standen bereit und Beller wählte den etwas Leereren. Kaum hatte er in der hintersten Reihe Platz genommen, stürmte eine kreischende Schar Kinder in den Bus, angeführt von ihrer wild gestikulierenden Lehrerin.

      „Ist bei Ihnen noch frei?“, fragte sie schnaufend. „Ich sitze gern ganz hinten, damit ich die ganze Meute im Blick habe.“

      Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ sie sich auf den Sitz fallen und holte eine Flasche Wasser aus ihrem Rucksack.

      „Geschäftsreise?“, fragte sie und zeigte auf Bellers Trolli.

      „Hmmm“, antwortete er und zog sein Bein zurück, als sich ihre Knie berührten.

      „Singen Sie ein Lied mit uns?“, fragte ein rothaariger Zwerg zwei Reihen weiter vorne seine Lehrerin.

      „Aber natürlich. Kommt macht alle mit: Auf der schwäbschen Eisenbahne isch a mohl a Bähnle gfahra …“

      Beller stopfte sich seine Kopfhörer in die Ohren und stellte die Lautstärke auf Anschlag. Er beobachtete die Kinder, die an den Lippen ihrer Lehrerin klebten, um den Text abzuschauen. Beller interessierte ihr Mund nicht. Er fand die Brüste der jungen Frau viel interessanter: ohne den ordnenden Einfluss eines BHs hüpften sie fröhlich im Takt mit. Vielleicht sollte er sie ansprechen? Doch er fand keine Gelegenheit. War ein Lied zu Ende, wurde sofort das nächste angestimmt. Irgendwann schien aber auch ihr Repertoire erschöpft und sie begann von vorne: „Auf der schwäbschen Eisenbahne isch a mohl a Bähnle gfahra …“

      „Jetzt waren Sie aber tapfer“, lächelte ihn die Lehrerin an, als sie den Friedrichshafener Stadtbahnhof erreichten. Sie winkte Beller kurz zu und sortierte ihre Klasse für einen geordneten Ausstieg aus dem Bus. Als die Kinder sich draußen paarweise an den Händen hielten, kam sie noch einmal zurück.

      „Sind Sie länger hier?“

      Beller nahm die Kopfhörer ab und nickte. „Eine gute Woche, denke ich. Nach dem Seepferdchenfest haue ich wieder ab.“

      „Es heißt „Seehasenfest“ – nicht „Seepferdchenfest““, korrigierte sie, während sie etwas auf einen Zettel kritzelte. „Hier meine Nummer. Falls Ihnen mal langweilig wird.“

      Beller nahm den Zettel und steckte ihn in die Tasche.

      „Ich bin Biggi“, sagte die Lehrerin und streckte ihm die Hand hin.

      Beller nickte und ergriff ihre Hand. „Freut mich – Biggi. Ich bin Beller.“

      „Einfach nur Beller?“

      „Einfach nur Beller!“

      „Okay, Beller“, sagte Biggi und ging zum Ausgang. „Ich hoffe, wir sehen uns.“

      Beller hatte eine Viertelstunde lang die Busfahrpläne studiert, bevor entnervt in ein Taxi stieg.

      „In die Ehlerstraße fünfzehn, bitte.“

      Der dunkelhäutige Taxifahrer schaute ihn im Rückspiegel an. „Zur Kripo?“

      Beller nickte. „Und zwar auf dem direkten Weg.“

      Nur zehn Minuten später bezahlte Beller sieben Euro achtzig und ließ sich eine Quittung geben. Der Fahrer hatte wohl tatsächlich den schnellsten Weg gewählt – der Hinweis auf die Kripo holte aus vielen Menschen das Beste heraus.

      Das Gebäude der Kriminaldirektion Friedrichshafen sah genauso unmodern aus, wie man es sich vorstellte. Flachdach, zwei Etagen, eckig. Ein neuer Anstrich hätte nicht schaden können.

      „Was wollen Sie?“, schepperte eine unfreundliche Stimme aus dem kleinen Lautsprecher der Gegensprechanlage, nachdem Beller den Klingelknopf dreimal betätigt hatte.

      „Kriminalobermeister Beller. Ich soll mich hier melden.“

      Ein paar Sekunden geschah nichts, dann entriegelte der Summer die Tür. In dem kleinen Flur war es angenehm kühl. Für Beller der Beweis, dass die Tür heute noch nicht oft geöffnet worden war.

      „Entschuldige Kollege, wir hatten heute nicht mit dir gerechnet“, hechelte ein übergewichtiger Kommissar und zeigte auf eine der Türen. „Lass uns da rein gehen.“

      „Besucherzimmer“ stand auf dem Türschild. Beller rümpfte die Nase. Auf den Tischen standen leere Kaffeetassen und ein paar halb leere Wasserflaschen. Er fragte sich, wo sie das Bier versteckt hatten.

      „Sind wir alleine?“

      Der dicke Kommissar nickte. „Im Moment schon. Es ist Wochenende und das Team ist gerade raus zu einer Körperverletzung.“

      Der Mann sah Bellers fragenden Gesichtsausdruck und hielt im plötzlich die Hand hin.

      „Oh Mann, wie unhöflich von mir: ich bin Schulz, Georg Schulz. Du kannst auch Schorsch zu mir sagen.“

      Beller schüttelte ihm die fleischige Hand. „Ich bin Beller.“

      „Einfach nur Beller?“

      „Einfach nur Beller!“

      „Okay – Beller. Freut mich dich kennenzulernen. Aber was machst du schon hier? Deine Chefin hat gesagt, du kämst am Montag …“

      Miststück, knurrte Beller innerlich. Seine liebe Chefin gönnte ihm nur das Herthaspiel im Stadion nicht.

      „Dachte, ich schaue schon mal rein. Kann ja nicht schaden“, antwortete er ohne eine Miene zu verziehen. „Und vielleicht kannst du mir helfen … ich muss in meine Wohnung und habe keine Ahnung, welchen Bus ich nehmen muss.“

      Beller hatte nirgends S-Bahn-Schienen gesehen und hatte sich damit abgefunden den Bus zu nehmen.

      Schorsch lächelte verlegen. „Da muss ich dir gleich was gestehen: es war ein bisschen schwierig ein Zimmer für dich zu bekommen. Wegen dem Seehasenfest – da ist im weiten Umkreis alles ausgebucht.“

      „Und?“

      „Naja – wir haben was gefunden … aber … naja … da fährt kein Bus hin.“

      „Na prima“, seufzte Beller. „Und wie soll ich da hinkommen?“

      „Du kriegst einen Wagen von uns. Ist nicht das neueste Modell, aber es fährt.“

      Kurz darauf fuhr Schorsch mit einem uralten VW Passat vor die Eingangstür. Beller vermutete das Baujahr irgendwo Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. An einigen Stellen fraß sich der Rost durch den dunkelgrünen Lack.

      „Ich dachte, die Grünen sind alle schon längst ausgemustert?“, fragte Beller skeptisch, doch Schorsch zuckte nur mit den Schultern.

      „Eigentlich schon. Aber den haben wir als Ersatz für ein anderes Fahrzeug mit Getriebeschaden bekommen. Wenn du mich fragst, waren diese alten Kisten eh die besten. Der hier hat über vierhunderttausend Kilometer und schnurrt wie ein Kätzchen.“

      Schorsch kletterte auf der Beifahrerseite in den Passat und durchwühlte das Handschuhfach.

      „Wusste ich doch, dass es noch da ist“, sagte er kurz darauf schwitzend und hielt triumphierend ein Navi hoch. Er leckte über den Saugnapf und pappte es an die Windschutzscheibe.

      „Ich