Kathleen Christochowitz

Ein Engel auf der Couch


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Unterstrichen wohlgemerkt. Sie hat also vor mitzuschreiben. Sie wäre damit die erste, die sich etwas notiert. Bei den anderen zwei Berufskolleginnen vor ihr ging es in ein Ohr rein und aus dem anderen wieder raus. Und sie hier will alles festhalten. Das gefällt mir. Ich fühle mich gut aufgehoben.

      »Ich habe so viel erlebt, dass ich es jemandem erzählen muss«, entgegne ich nur.

      »Na, dann fangen Sie mal an.«

      Sie stützt ihr Kinn auf ihren linken Arm und wirkt hoch konzentriert. Wo soll ich nur anfangen, denke ich angestrengt. Die Antwort steckt ja eigentlich schon drin: Am Anfang. Ich grüble dennoch.

      »Es war ja ganz schön schwierig hier einen Parkplatz zu finden«, sage ich.

      Mensch, dass interessiert sie ja wohl überhaupt nicht! Sie schaut mich prüfend an:

      »Es hat Sie aber nicht abgeschreckt herzukommen, wie ich sehe. Oder was bedeutet das für Sie, dass Sie keinen Parkplatz gefunden haben?«

      Wie bitte? Was soll denn diese Frage? Das habe ich doch nur so gesagt. Wird das etwa gleich analysiert? Da muss ich höllisch aufpassen, was ich erzähle, wenn jedes Wort sofort auf die Goldwaage gelegt wird. Ach, du meine Güte! Na gut, dann werde ich erstmal die seichten Fakten auf dem Tablett liefern.

      »Ich bin 28 Jahre alt, wohne derzeit wieder bei meinen Eltern, weil ich vor über einem halben Jahr aus Frankfurt am Main zurückgekommen bin. Ursprünglich bin ich aus der hiesigen Gegend.« Ich mache eine kurze Pause. Sie guckt mich weiter an.

      »Ich habe hier in Rostock mit meinem Umzug auch eine neue Arbeitsstelle angefangen.«

      »Sind Sie wegen der Arbeit hier hergezogen?«, fragt sie mich. Schön, dass sie mir Fragen stellt, die anderen wollten nie etwas wissen.

      »Nicht nur, ich bin hauptsächlich hergekommen, weil ich mich in Frankfurt nicht mehr wohlfühlte.«

      »Was machen Sie denn beruflich?«

      »Ich arbeite im Marketing und in der Werbung und bin jetzt hier in der QBits GmbH tätig. Das ist ein IT-Unternehmen. In Frankfurt habe ich in einer großen Werbeagentur gearbeitet.«

      »Was macht man denn so im Marketing? Ich kann mir darunter gar nichts vorstellen. Es hört sich aber interessant an.«

      Schon wieder so eine Frage zu meinem Job. Wie mich das nervt! Immer muss ich alles erklären. Alle denken, dass Marketing sonst wie interessant ist. Dabei ist das überhaupt nichts Besonderes. Ein Job wie jeder andere auch. Ich spule die übliche Antwort herunter.

      »Flyer und Internetseiten erstellen, Veranstaltungen bewerben, Konzepte entwickeln, Broschüren gestalten, Werbeaktivitäten planen. Alles, was mit der Produktdarstellung eines Unternehmens zu tun hat.«

      »Das hört sich für mich spannend an«, sagt Frau Hirte. »Da müssen Sie ja auch sehr kommunikativ sein, nicht wahr?«

      Ich nicke nur. So viel zum Thema kommunikativ. Der Job ist mir doch piepegal, um ihn geht es doch gar nicht.

      »Haben Sie Probleme in der Arbeit? Werden Sie gemobbt?«

      Sonst noch was, denke ich verwundert.

      »Nein, überhaupt nicht«, sage ich deshalb. »Meine Arbeit hat gar nichts damit zu tun.«

      »Worum geht es Ihnen dann?«

      »Um mich, um mein Privatleben. Mein Leben ist außer Kontrolle geraten. Ich weiß selbst nicht mehr, wo hinten und vorne ist. Es ist so, als müsste ich eine Bestandsaufnahme machen, sonst geht es nicht weiter. Wie eine Inventur, verstehen Sie. Ich schaffe das nicht alleine, ich brauche dabei Hilfe.«

      Habe ich das gerade gesagt? Noch nie habe ich jemanden um Hilfe gebeten und schon gar nicht eine völlig fremde Person. Bisher machte ich alles mit mir alleine aus.

      »Haben Sie keine Freunde, denen Sie das erzählen können?«, fragt sie mich doch glatt.

      »Ich habe viele Freunde, sehr viele Freunde. Doch es gibt keinen Menschen, der mich wirklich kennt. Noch nie habe ich mich jemandem anvertraut. Ich meine richtig anvertraut. Ich treffe mich mit Freunden, um Spaß zu haben, eine nette Zeit zu verbringen. Probleme wälzen wir in der gemeinsamen Zeit eher weniger.« Ich benutze meine Hände beim Sprechen, damit sie mich besser versteht.

      »Ah.« Sie blickt mich kurz an und schreibt sofort etwas auf. Mit diesen Aussagen habe ich vielleicht ihr Interesse geweckt. Das Gespräch strengt mich an, ich schwitze.

      »Dann ist in Ihrem Leben also alles nur oberflächlich und Sie vermissen die Tiefe?«, fragt sie weiter.

      »Ja. Vieles ist oberflächlich.« Was soll das jetzt wieder, denke ich. Kommen wir hier bald mal auf den Punkt?

      »Wissen Sie, ich weiß noch immer nicht richtig, was Ihr Problem ist. Sie machen auf mich nicht den Eindruck, als wenn Sie überhaupt eins hätten. Sie wirken ganz souverän und erfolgreich, ehrlich gesagt. Sie haben einen guten Job, Freunde, also ein soziales Umfeld.«

      »Ich habe auch kein Problem, rein äußerlich betrachtet«, rede ich dazwischen. »Also es ist nicht so, dass ich mich nicht auf die Straße traue oder dass ich Angst habe, anderen Menschen zu begegnen von wegen Sozialphobie oder Ähnliches. Ich werde auch nicht gemobbt oder sonst was. Ich komme äußerlich gesehen sehr gut klar im Leben. Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll«, seufze ich. Es ist wirklich anstrengend für mich. Soll ich mir jetzt irgendeine psychische Krankheit ausdenken?

      »Für mich ist es auch schwierig«, sagt Frau Hirte distanziert. »Ich muss schauen, ob wir beide überhaupt miteinander arbeiten können. Doch dafür muss ich natürlich erst einmal wissen, was Ihr Problem ist. Und dann muss ich einen Bericht schreiben und bei der Krankenkasse einen Antrag einreichen. Die genehmigen einen Therapieplatz oder nicht. So läuft das Ganze ab. Das bedeutet natürlich, dass ich ungefähr wissen muss, woran Sie leiden. Vielleicht fangen wir damit an, dass Sie mir sagen, was Sie sich von einer Therapie überhaupt erhoffen.«

      So läuft also der Hase. Ich muss zuerst in eine Psycho-Schublade passen, für sie und für die Krankenkasse. Dann wird mir erst geholfen. Soll sie doch irgendwas schreiben, geht es durch meinen Kopf. Die wollen was ganz Bestimmtes hören und ich soll was ganz Bestimmtes sagen. Was sind denn hier bitte schön für Oberflächlichkeiten in diesem Raum? Ich komme mir vor wie bei einem Bewerbungsgespräch. Ich sage ihr, was sie hören will, was in ihr Schema passt und dann kriege ich den Job, beziehungsweise den Therapieplatz.

      »Es dauert in der Regel vier bis sechs Wochen, bis die Krankenkassen eine Psychotherapie genehmigen. Dann erst würde unsere Zusammenarbeit beginnen. Wir müssen beide also erst auf die Antwort warten.«

      Na super, da wäre ich ja dann schon das vierte Mal tot.

      »Haben Sie Schwierigkeiten mit Ihren Eltern?«, will Frau Hirte wissen.

      »Nein, da ist alles okay.« Langsam wünsche ich mir, ich hätte irgendeine Phobie oder ein offensichtliches Trauma.

      »Ich habe das Gefühl, dass ich nicht richtig ich bin oder nicht richtig ich war. Ich habe immer nur gemacht, was andere von mir wollten. So gesehen ist es mir nie schlecht gegangen. Ich war eine gute Schülerin, habe Abitur gemacht, bin brav studieren gegangen, habe in einem guten Job gearbeitet und bin jetzt wieder in einem guten Job gelandet. Doch ich selbst bin dabei die ganzen Jahre auf der Strecke geblieben.« Die Leiden der jungen E. denke ich im Stillen, in Anlehnung an mein Lieblingsbuch von Goethe.

      Sie horcht auf. Ich will nicht, dass sie mich wegschickt. Ich habe es satt, mir wieder eine andere Psychologin suchen zu müssen und mich beim Ersttermin seelisch nackig zu machen. Was für ein Alptraum! Ich wünsche mir so sehr, dass sie mich versteht.

      Mein Leben lang habe ich das Gefühl, dass mich einfach keiner versteht. Die Leute sehen immer nur die nette Außenfassade und denken, alles ist toll. Na ja, wir zeigen ja auch nur die Außenfassade. Wer weiß schon, wie es innen drin aussieht?

      Ich habe keine Lust mehr. Ja, ich gebe auf. Es hat wohl doch keinen Zweck, Hilfe zu suchen. Dabei fühle ich mich ganz wohl bei ihr. Wirklich. Der Raum ist nicht gerade gemütlich, aber Frau Hirte