Kathleen Christochowitz

Ein Engel auf der Couch


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sie sich wohl überlegt? Ob ich hier bei ihr richtig bin? Oder ob ich nur ihre Zeit verschwende? Sie hat bestimmt ein tolles Leben. Einen tollen Mann, zwei tolle Kinder. Alles toll eben!

      »Wie war Ihre Kindheit?«, fragt sie mit ihrem Stift in der Hand plötzlich weiter.

      »Gut. Ich hatte eine ganz normale Kindheit, wie jeder andere auch. Es ist äußerlich nichts Weltbewegendes passiert. Es ist keiner gestorben oder so, meine Eltern haben sich nicht scheiden lassen, ich wurde nicht geschlagen. Es war alles ganz normal«, sage ich. »Sie war schön meine Kindheit«, schließe ich die Frage zusammenfassend ab und muss wegen meines Namens grinsen und wegen eines so hohlen Satzes.

      Ja, ich bin schön. Schön unscheinbar. Elisa Schön. Mit einer schönen, zierlichen Stimme. Und ich hatte eine schöne Kindheit.

      »Wie schön«, sagt sie.

      Wir gucken uns beide an und lachen. Sie lacht, sie hört mir zu, sie ist konzentriert. Sie nimmt mich wahr. Endlich löst sich hier irgendwas im Raum. Ich glaube, es ist die angespannte Atmosphäre. Puh, wird auch Zeit!

      »Waren Sie eigentlich ein aufmüpfiges Kind oder ein ruhiges?«

      »Ich war ziemlich ruhig, eigentlich war ich immer artig. Artig und brav«, melde ich zu Wort.

      Das war ich wirklich, ich war immer ordentlich. Na ja, ab und zu sind da vielleicht ein paar Vorkommnisse gewesen, die meine Eltern zur Verzweiflung brachten. Plötzlich habe ich eine Szene aus meiner Kindheit vor meinem Auge, die ich ihr unbedingt erzählen möchte.

      »Ich habe mal etwas getan, worüber meine Eltern not amused waren.« Ich muss dabei lächeln. Es fällt mir tatsächlich gerade jetzt wieder ein. »Ich weiß nicht mehr genau, wie alt ich da war. Doch, ich glaube, ich war so um die vier oder fünf Jahre. Wir haben bereits in unserem neu gebauten Haus gewohnt. Eines Tages betonierte mein Vater hinter unserem Haus auf dem Hof eine steile Auffahrt. In mühevoller und zeitaufwändiger Arbeit legte er Schicht für Schicht Zement darüber und achtete akribisch darauf, dass auch alles passte und stimmte. Mit seiner Wasserwaage, die er immer dabei hatte, kontrollierte er ständig, ob alles genau und gerade war. Nach getaner Arbeit wollten meine Eltern zum Einkaufen fahren und sagten zu mir, dass ich nicht auf den frischen Boden laufen darf, weil der Zement erst hart werden müsse. Ich nickte und sie fuhren los. Als sie weg waren, kam mir plötzlich eine tolle Idee; nämlich in den frischen Beton Fußspuren zu hinterlassen.«

      Frau Hirte hört gespannt zu und blickt mich mit ihren großen Augen an.

      »Ich also rein ins Haus, suchte mir die höchsten Pumps meiner Mutter aus dem Regal heraus, es war ein rotes Paar mit ganz hohem Hacken, zog die an und stiefelte dann die frisch betonierte Auffahrt hoch- und runter.«

      Frau Hirte brüllt los vor Lachen. Sie schüttelt sich auf ihrem Stuhl und kriegt sich gar nicht mehr ein. Ich muss auch lachen. Sie steckt mich an. Die Geschichte hatte ich fast wieder vergessen.

      »Ich stelle mir gerade vor, wie Sie als kleine, junge Dame in den Schuhen ihrer Mutter hoch und runter laufen. Das ist ein sehr lebendiges und schönes Bild!« Sie blickt mich prüfend an. »Wie haben Sie sich dabei gefühlt? Wissen Sie das überhaupt noch?«

      »Es ist ja nun schon eine Ewigkeit her. Doch ich fand das total cool, es hat mir echt Spaß gemacht. Ich fand das irre aufregend und ich wusste auch, dass es verboten war.«

      »Aber Sie haben es trotzdem gemacht.«

      »Meine Eltern waren danach ziemlich wütend.«

      »Wurden Sie bestraft?«

      »Ich weiß es nicht mehr. Ich wurde auf jeden Fall ordentlich ausgeschimpft. Und mein Vater musste die Auffahrt noch mal neu machen. Die Schuhe meiner Mutter waren danach übrigens völlig unbrauchbar.«

      »Wie reagierte Ihre Mutter?«

      »Das weiß ich nicht mehr«, antworte ich schulterzuckend.

      Frau Hirtes Augen leuchten. Sie fängt schon wieder an zu lachen und schüttelt dabei mit dem Kopf.

      »Wo ist das lebendige Mädchen geblieben?«, fragt sie mich nach einer kurzen Weile.

      Tränen schießen mir in die Augen. Ich blicke aus dem Fenster. Mist, ich will nicht heulen. Reiß dich zusammen, Lieschen, herrsche ich mich innerlich an. Fang hier bloß nicht an zu flennen!

      »Was mag wohl passiert sein, dass aus dem kleinen verrückten Mädchen so ein angepasstes Kind wurde. Ja, eigentlich eine erstarrte Puppe wurde?«

      Sie stellt die Frage in den Raum. Denn ich will darauf nicht antworten. Ich weiß darauf gar keine Antwort

      Stille. Keiner von uns sagt etwas.

      »Auf jeden Fall haben Sie mich mit dieser Geschichte herumgekriegt«, spricht sie plötzlich heiter.

      »Wie meinen Sie das?«

      »Ihre Geschichte hat mich eben so fasziniert, dass ich mit Ihnen zusammenarbeiten möchte. Ich möchte gern hinter Ihre Fassade schauen, wenn Sie mich lassen. Natürlich nur, wenn es auch für Sie stimmig ist. Denn wir müssen beide miteinander können. Sonst macht es keinen Sinn und wir verschwenden nur unsere Zeit. Sie brauchen es auch nicht jetzt entscheiden«, sagt sie entschlossen. »Außerdem muss ich ihnen noch sagen, dass ich in einer Zusatzausbildung stecke. Ich bin zwar bereits diplomierte Psychologin, doch ich mache gerade noch eine weitere Fachausbildung und habe daher auch eine Supervisorin. Das ist sozusagen eine Mentorin, zu der ich gehe und mit der ich auch über die Belange meiner Patienten spreche und darüber, wie ich weiter vorgehen soll mit der Therapie. Das ist insofern wichtig Ihnen mitzuteilen, weil ich mit einer weiteren Person über Sie sprechen werde. Es bleibt jedoch völlig anonym und diskret. Hätten Sie damit ein Problem?«

      »Nein und ich weiß meine Antwort auch jetzt schon. Ich möchte gerne bei Ihnen bleiben.« Ja, das will ich. Definitiv. Zum Glück war mir diese Geschichte aus meiner Kindheit eingefallen, sonst hätte sie mich womöglich wieder fortgeschickt! Test also bestanden.

      »Okay. Ich werde für Sie einen Therapieplatz beantragen. Wenn alles Bürokratische geklärt ist, rufe ich Sie in einigen Wochen an, damit wir unseren nächsten Termin vereinbaren. In welcher Form die Therapie dann ablaufen wird, werde ich mir noch überlegen«, fährt sie fort.

      Wie, welche Form? Sie bemerkt meinen fragenden Blick.

      »Na, ob wir die Gespräche im Sitzen führen oder ob Sie auf der Couch liegen werden. Ich glaube, es ist sogar besser, wenn Sie auf der Couch liegen. Sie wirken auf dem Stuhl so angespannt, finden Sie nicht?«

      Wer säße nicht auf diesem knochigen und knarzenden Korbstuhl hier angespannt? Das liegt doch nicht an mir, sondern an der unbequemen Sitzmöglichkeit! Ich auf dem merkwürdigen Sofa dort? Das wäre ja wie in einem schlechten Psycho-Film.

      »Tja, die Zeit ist zu Ende.« Sie springt motiviert auf. »Wir hören uns in den nächsten Wochen.«

      Wir stehen uns gegenüber und blicken uns in die Augen. Irgendwie mag ich sie. Sie hat echt was! Ich schätze sie auf Ende dreißig. Ich habe das Gefühl, dass ich bei ihr in guten Händen sein werde. Als Dank drücke ich ihre Hand beim Abschied noch einmal kräftig. Zwar kurz nur, aber kräftig. Sie soll nicht denken, dass sie ein Stück Kotelett hält. Ihre Hand fühlt sich sehr weich an. Komisch, sie wirkt gar nicht so weich wie ihr Händedruck. Sie bringt mich bis zur Zimmertür, sagt noch einmal fröhlich »Tschüss« und schließt schnell hinter sich zu.

      Ich stehe wieder im Treppenhaus und merke wie erleichtert ich bin.

      Ab auf die Couch

      Endlich. Nach vier Wochen meldete sich Frau Hirte bei mir. Am Telefon besprachen wir unsere Arbeitsweise. Arbeiten hört sich gut für mich an. Es klingt eher nach einer Geschäftsbeziehung. Es scheint nicht so offensichtlich, dass ich die Bekloppte bin und sie die Psychotante. Die Rollen sind nicht allzu transparent. Wie ich dieses Wort hasse! Jetzt benutze ich es selber. Ein typischer Marketingsatz: Das müssen wir den Leuten transparent machen. Es ist der Lieblingssatz von meinem Chef.

      Was soll ich Frau Hirte denn nur