Kathleen Christochowitz

Ein Engel auf der Couch


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sollen irgendwas erzählen und sie hört einfach zu. Das gibt es doch nicht.

      »Wie wär's, wenn Sie sich jetzt erst einmal auf die Couch legen und wir einfach anfangen. Ich habe das Gefühl, dass uns das ganze Theoretische nicht weiterbringt. Wir fangen einfach an. Was meinen Sie?«

      »Ja, meinetwegen.«

      »Gut, dann bitte.« Sie zeigt in Richtung rotes Sofa. »Die Couch gehört ganz Ihnen.«

      Ich stehe gedanklich überfordert auf und zögere, bevor ich mich auf die Couch lege. »Soll ich meine Schuhe ausziehen?«

      »Wie Sie wollen. Sie entscheiden«, kommt es nur von ihr zurück.

      Ich entscheide sie anzulassen, dann kann ich schneller hinaus laufen, wenn mir das hier zu bunt wird. Ich dachte bisher immer, dass mit der roten Couch von Sigmund Freud war nur ein Witz, aber das hier ist kein Witz. Ich kann nämlich gar nicht darüber lachen.

      Meine Güte! Elisa Schön liegt auf einer roten Couch bei einer Psychotante, das glaubt mir doch kein Mensch. Ich starre an die weiße und schlecht gespachtelte Decke und dann auf die gegenüberliegende weiße Bürotür. Nur drei Schritte und ich wäre draußen, könnte flink meine Jacke greifen und mich vom Acker machen. Über der Tür hängt eine tickende Uhr, die den gemütlichen Charme einer Bahnhofsuhr verströmt. Das macht mich wahnsinnig. Wie soll ich mich denn da konzentrieren? Tick, tack. Der Sekundenzeiger hetzt voran und die Stunde wird immer kürzer. Wir haben noch genau achtundzwanzig Minuten. Na super, wie soll ich mich unter diesem Zeitdruck entspannen? Ich atme tief durch. Das funktioniert deutlich besser als im Sitzen auf dem unbequemen Korbsessel.

      Frau Hirte sagt gar nichts. Ich atme noch einmal durch. Meine Hände lege ich ineinander gefaltet auf meinen Bauch ab. Bestimmt sehe ich wie eine Tote im Sarg aus, aber ich weiß nicht, wo ich sonst mit ihnen hin soll. Neben meine Hüfte legen geht nicht, da fühle ich mich so ungeschützt, so nackig. Ich möchte mit meinen Händen meinen Bauch schützen. Keine Ahnung warum.

      Was soll ich denn jetzt sagen? Nochmal durchatmen tut mir gut. Ich merke, wie mein Körper langsam in diese rote Couch einsinkt. Es ist schön hier zu liegen, ich könnte glatt einschlafen. Aber das geht ja nicht. Doch was ist, wenn hier wirklich mal einer einschläft? Weckt Frau Hirte den dann auf? Ob das schon mal vorgekommen ist? Vielleicht schläft sie ja selber nachher ein? Ich kann sie ja schließlich nicht sehen!

      »Tja«, fange ich an, »ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.« Das ist doch wenigstens mal ehrlich.

      »Was geht denn gerade in Ihrem Kopf vor?«, fragt Frau Hirte.

      »Viele Sachen. Am meisten überlege ich, was ich jetzt sagen soll.«

      »Ist diese Situation für Sie unbehaglich?«

      »Ja, schon. Ich versuche mir gerade etwas aus dem Ärmel zu schütteln, was ich Ihnen erzählen kann.«

      »Glauben Sie, dass Sie mich unterhalten müssen? Dass Sie etwas leisten müssen, um hier sein zu dürfen?«

      Meine Stirn legt sich gleich in Falten. Ich verstehe nur Bahnhof und merke wie mir die anfängliche Lust auf die Psychosache vergeht. Das ist mir alles zu anstrengend! Zehn Minuten sind erst vergangen, seitdem ich hier liege. Es bleiben also immer noch achtzehn. Achtzehn geschlagene Minuten, die rumzukriegen sind. Meine Güte, wenn das jede Stunde so geht, dann prost Mahlzeit.

      Frau Hirte meint: »Ich kann mir schon vorstellen, dass es eine komische und neue Situation für Sie ist. Wir müssen uns beide ja auch erst noch kennen lernen, uns annähern. Da kann ich Sie sehr gut verstehen. Ich bin eine völlig Fremde für Sie und da ist es doch verständlich, dass Sie abwarten.«

      »Ja, das stimmt. Abgesehen davon, dass ich wirklich noch nie eine Therapiestunde hatte, geschweige denn auf einer Praxiscouch lag, dauert es bei mir immer ein bisschen länger, bis ich mit Leuten warm werde. Es braucht eine gewisse Zeit, bis ich etwas Persönliches von mir erzähle.«

      »Das ist absolut okay«, erwidert sie nur.

      »Im Grunde genommen weiß niemand, was wirklich in mir vorgeht. Niemand. Kein Mensch. Ich habe immer alles mit mir selbst ausgemacht. Die Ergebnisse teilte ich anderen zwar mit, aber was in mir ablief oder wie ich mich fühlte, nie. So etwas wie hier ist wirklich das erste Mal. Und selbst hier …«, ich stocke. Wenn ich ihr sage, dass ich selbst hier nicht alles erzählen will, schickt sie mich bestimmt weg, weil es dann keinen Sinn macht, mit mir zu arbeiten.

      »Selbst hier müssen Sie erst gucken, was Sie zeigen dürfen und was nicht?«

      Kann die gute Frau etwa Gedanken lesen? Meine Güte, das ist ja beängstigend..

      »Ja«, sage ich deshalb nur. Denn es stimmt. Selbst hier bin ich mir nicht sicher, ob ich alles, wirklich alles, sagen kann. Ob sie es überhaupt versteht und verstehen würde. Ich habe Angst davor und ich kenne das Gefühl nur zu gut, verurteilt zu werden, nicht ernst genommen und belächelt, nicht gesehen und vergessen zu werden.

      Und jetzt liege ich hier. Ich bin auf dieser Couch nicht zu übersehen. Und Frau Hirte ist nur wegen mir hier. Jedenfalls im Moment. Ich bin ihre Patientin, ihre Stunde, ihre Arbeit. Ihr Schäfchen. Ihr Schäfchen in der Herde der Bekloppten. Wieso kann ich nicht einfach sagen, was ich denke? Wieso nicht? Die Gedanken waren immer das einzige, was nur mir gehörte. Die habe ich immer nur für mich behalten. In meinen Gedanken war ich frei. Sie waren meine eigene kleine Welt, mein eigener Kosmos, zu dem kein anderer Zutritt besaß. Tolle Erkenntnis, Lieschen.

      »Sie machen auch jetzt gerade wieder alles alleine mit sich ab, oder?«, fragt Frau Hirte leise.

      Sie sitzt hinter mir und ich habe sie bei meiner Gedankenorgie fast vergessen. Nebenbei starre ich immer auf die laute Uhr. Noch zehn Minuten, dann ist die Stunde um. Eine schwere Geburt! Was soll ich denn jetzt noch erzählen, wenigstens für den Rest der Zeit?

      Von meinem spirituellen Selbsterfahrungsseminar brauche ich wohl nichts mitteilen, dann kann ich sicher gleich gehen. Obwohl, wir hatten ja beide für diese Therapie unterschrieben, da dürfte sie mich auch nicht so ohne Weiteres vor die Tür setzen. Doch wenn sie wollte, würde sie bestimmt Gründe finden, diese Vereinbarung aufzuheben.

      Himmel, woran ich jetzt schon wieder denke! Ich habe noch nicht mal richtig angefangen und mache mir schon Sorgen darüber, ob sie die Therapie mit mir abbrechen würde. Lieschen, deine Sorgen sollten mal andere haben. Ich komme mir wie ein kleines Mädchen vor, das nicht weiß, was es machen soll, von dem aber viel erwartet wird. Ich spüre es förmlich in der Luft, das ich etwas machen soll, nämlich Reden. Doch ich weiß nicht, worüber und das macht mich wütend. Ich bin wütend auf mich selbst. Ich fühle mich als Versagerin.

      Schön, Frau Schön, wirklich schön. In der Agentur, in der ich früher in Frankfurt arbeitete, fanden die den Spruch immer witzig. Und dann haben sie über ihren, ach so tollen, Witz gelacht. Echt dämlich. Ich fand diesen geistigen Dünnpfiff überhaupt nicht lustig.

      »Ich lese jetzt gerade noch mal Ihren Namen auf der Vereinbarung. Er ist ja schon außergewöhnlich. Hatten Sie damit eigentlich Schwierigkeiten als Kind oder vielleicht jetzt noch als Erwachsene?«, fragt Frau Hirte plötzlich.

      Jetzt kommt die auch noch mit meinem Namen an. Komisch, gerade dachte ich daran und jetzt befragt sie mich dazu. Was geht denn hier vor? Langsam wird mir das unheimlich.

      »Schon immer haben die Leute meinen Namen belächelt und Witze dazu gemacht. Das ist mir aber inzwischen ziemlich Wurst. Früher sagten die Jungs oft: Elisa Schön – schön, wenn's mal so wär«, sage ich zu ihr von der Couch.

      »Oh, das tat bestimmt weh zu hören, oder?«

      »Ach, das waren Idioten.«

      »Fühlen Sie sich denn nicht schön?«

      »Ich war eher immer schön unscheinbar. Ich bin keine Schönheit auf den ersten Blick, das war ich noch nie. Ich bin immer die, die erst beim zweiten Mal gesehen wird oder noch später«, sage ich frustriert.

      »Und was ist das für ein Gefühl?«

      »Hm.« Ich überlege kurz. »Daran habe ich mich längst gewöhnt.