Kathleen Christochowitz

Ein Engel auf der Couch


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bräuchte ich doch gar nicht wirklich zu ihr hin, oder?

      In der letzten Zeit passierte nämlich sehr viel. Ich besuchte ein spirituelles Selbsterfahrungsseminar in der Pampa von Mecklenburg-Vorpommern, in Berghausen am Schillersee. Was erwarte ich vom Leben? Das habe ich mich dort fünf Tage lang gefragt und was ich erlebte, sprengte alle meine Vorstellungen von der Realität. Ich habe gesehen, dass es noch viel mehr gibt, dass noch eine andere Welt, eine andere Bewusstseinsebene, existiert. Eine Welt, die für uns gar nicht mehr sichtbar ist, oder die wir bereits seit der Kindheit verdrängt haben. Wenn ich das Frau Hirte erzähle, sperrt sie mich doch gleich in die Klapse. Das kann ich ihr unmöglich mitteilen. Alles musste wieder so kompliziert sein. Mir fiel es schon schwer meinem Freund Aaron zu beichten und selbst der sah mich ungläubig und belächelnd an.

      Aber egal, jetzt habe ich ich zum ersten Mal meine offizielle und von der Krankenkasse genehmigte Stunde bei ihr. Wer weiß, wie das überhaupt abläuft! Ich kannte niemanden aus meinem Bekannten- und Freundeskreis, der schon mal eine Psychoanlayse gemacht hat und den ich darüber hätte fragen können. Selbst wenn, wer erzählt schon darüber, dass er zum Seelenklempner geht. Das Thema ist noch immer nicht gesellschaftsfähig, auch wenn weit über die Hälfte der Deutschen unter psychischen Belastungen leiden. Es ist wie mit den Geschlechtskrankheiten. Jeder hat mindestens einmal eine in seinem Leben, aber keiner erzählt darüber.

      Welche Sorgen mache ich mir überhaupt? Ich fühle mich, als hätte ich gleich eine Unterrichtsstunde vor mir, bei der ich etwas Neues lerne. Tja, vielleicht lerne ich mich ja neu kennen? Irgendwie spannend. Ich sollte aber lieber zusehen, endlich einen Parkplatz in der engen Flöterstraße zu finden, damit ich rechtzeitig zu meiner ersten Therapiestunde komme. Vielleicht nehme ich das nächste Mal lieber die Straßenbahn. Wenn ich hier vor jeder Stunde erst ewig einen Parkplatz suchen muss, werde ich irre.

      Super, vor mir wird eine Lücke frei. Es sind nur circa fünfzehn Meter zu laufen bis zum Hauseingang von Frau Hirte. Ich parke rückwärts ein, was nicht unbedingt meine Stärke ist, zumal die Autos in den Gassen eng und dicht beieinander stehen. Wie war das noch in der Fahrschule? In drei Zügen rückwärts einparken? Erst in einer Höhe zum vorparkenden Auto stehen, dann Rückwärtsgang ein und zurückfahren. Lenken, lenken und noch mal nach vorne. Kann ich noch weiter vorfahren oder stoße ich an? Oh, das ging gut.

      Leider hat das jetzt wieder keiner gesehen, wie toll ich das hingekriegt habe. Sitzt neben mir ein Beifahrer im Auto, stelle ich mich immer wie der erste Mensch an. Obwohl ich besser einparke als Aaron. Und das will was heißen! Er als Kfz-Ingenieur hat dabei mehr Schwierigkeiten als ich. Manchmal frage ich ihn sogar, ob ich das machen soll. Das wurmt ihn jedes Mal und er quittiert es mir mit einem bösen Blick.

      Oh, es war gleich zehn nach drei! Was ist das überhaupt für eine krumme Zeit? Eine Therapiestunde dauert nur 50 Minuten. Ich mache mein Handy aus, damit mich keiner stört. Gut, dass ich nach dieser Stunde nicht mehr ins Büro gehe. In meinem Dienstkalender habe ich diese Zeit für einen »externen Termin« gebucht. Fragt ein Kollege nach, bin ich halt geschäftlich unterwegs. Punkt. Da sollen die mal was sagen. Ich arbeite im Moment sowieso nur 20 Stunden die Woche. Ein tolles Leben. Ich will gar nicht vierzig Stunden die Woche oder noch mehr arbeiten. Wozu?

      Ich stehe wieder vor der großen, weißen Eichentür. Mein Atem muss sich noch beruhigen. Mit großen Schritten ging ich schnell zur Tür und war nun aus der Puste. Nach meinem Klingeln und einigen Sekunden Wartezeit schrillt der Türsummer. Ich stemme mich mit meinem Körper gegen die wuchtige Pforte. Mit einem Auge werfe ich einen Blick nach draußen auf die Straße. Ich will mich vergewissern, dass auch kein Bekannter von mir hier in der Nähe ist und sieht, in welche Haustür ich meinen Fuß hineinsetze. Das wär's ja noch! Ich gehe die Treppen hinauf, lockere dabei meinen Schal und öffne meine lange Herbstjacke. Wegen der Kälte bin ich dick eingepackt.

      Frau Hirte öffnet mir die Tür, während ich noch fünf Stufen zu erklimmen habe. Ich versuche mich zu beeilen und konzentriere mich auf die Treppenabsätze, damit ich nicht stolpere.

      »Hallo, Frau Schön!« Sie hält mir ihre Hand schon entgegen.

      Ich ergreife sie hastig, nicke und sage etwas aufgeregt »Hallo, guten Tag«. Dabei ziehe ich meine Hand auch gleich wieder zurück, weil sie eiskalt ist und ich sie noch wärmen wollte. Das bleibt ihr wohl nicht unbemerkt.

      »Ihre Hand ist ja eisig, scheint draußen wirklich frostig zu sein«, sagt Frau Hirte.

      Ich bestätige das mit einem Nicken.

      »Kommen Sie bitte gleich ins Zimmer, sobald Sie Ihre Jacke abgelegt haben.«

      Ich ziehe sie aus und hänge alles auf einen Bügel, die Jacke und meinen langen schwarzen Schal. Eigentlich ist es eine Baumwoll-Stola, doch ich benutze sie als Schal. Ich hasse normale Wollschals, die kratzen immer so fürchterlich am Hals. So etwas machte mich wahnsinnig. Ich stehe in der Praxistür und sie sitzt bereits auf ihrem Stuhl.

      »Setzen Sie sich bitte zuerst, damit wir einige organisatorische Dinge besprechen können.«

      Mit ihrer Hand zeigt sie auf den Stuhl gegenüber, zu dem ich mich nun hinbewege. Ich versinke schon wieder so komisch in diesem Korbsessel. Kein Wunder, dass ich so angespannt bei unserem ersten Treffen aussah. Wer soll denn hier drin bitte schön auch bequem sitzen können, ohne einen Haltungsschaden zu kriegen? Das soll sie mir mal vormachen! Wenn ich versuche mich anzulehnen, dann liege ich fast lümmelhaft in dem Sessel und wenn ich mich bemühe gerade zu sitzen, sehe ich aus wie eine brave, beichtende Klosterschülerin. Ich versuche, ein Bein über das andere zu schlagen und merke, wie ich dabei den Halt verliere. Es ist zum Verzweifeln. Ich entscheide mich für das Sitzmodell »Klosterschülerin« und sitze ihr kerzengerade und ordentlich gegenüber.

      »Bevor Sie sich auf die Couch legen, möchte ich Ihnen noch etwas zum Ablauf sagen.«

      Ich nicke gespannt.

      »Bei der Analysearbeit geht es nicht nur um das, was Sie täglich erleben und in die Stunde mit einbringen, sondern auch um das, was in Ihnen unterbewusst vorgeht, was sich in ihrem Unterbewusstsein manifestiert hat. Das bedeutet, dass Sie alles zur Sprache bringen können, was Ihnen in den Sinn kommt. Wie verrückt oder bedeutungslos es auch für Sie sein mag! Sie bekommen hier den Raum nur für sich. Sie können über alles reden und sich ausprobieren. Es gibt in diesem Zimmer keine Tabus. Es ist Ihre Stunde und Sie bestimmen das Thema. Sie allein entscheiden, worüber Sie reden wollen.« Sie sieht mich eindringlich und irgendwie auch verschwörerisch an.

      »Und womit fangen wir an? Erst die Kindheit, Eltern, Geschwister und dann zum jetzigen Alltag? Wie kann ich mir das denn vorstellen? Wie sieht denn der Ablaufplan aus für diese Therapie?«, frage ich ehrgeizig.

      »Es gibt keinen Ablaufplan«, sagt sie belustigt.

      »Wie bitte?« Ich habe das wohl eben nicht verstanden.

      »Es gibt keinen Plan für diese Stunden. Sie erzählen und ich höre zu.«

      Wie bitte? Und das soll mir helfen? »Das verstehe ich nicht ganz. Sie befragen mich also, damit ich weiß, was ich erzählen soll?« Meine Gesichtsmimik wirft reichlich Fragefalten auf.

      »Ich werde ab und zu sicher ein paar Fragen stellen, wenn ich etwas nicht genau verstehe. Doch eigentlich werde ich kaum etwas sagen. Sie werden reden. Ich höre nur zu. Es ist Ihre Stunde, Ihre Zeit. Die Zeit und die Therapiestunde gehören Ihnen ganz allein.«

      »Sagen Sie mir dann, was ich machen soll?«

      »Nein, natürlich nicht. Wieso sollte ich das? Kennen Sie das etwa so, dass Ihnen einer sagt, was Sie tun sollen?« Sie zückt gleich ihren Stift und schreibt sich etwas auf.

      »Na ja, wie soll ich denn lernen, ohne Tipps oder Ratschläge zu kriegen? Ich muss doch wissen, was ich hier sagen soll, was Sie an Informationen benötigen. Hier muss es doch so was wie einen roten Faden geben für die Therapie. So etwas wie eine Zielstellung, keine Ahnung, wie ich das sonst bezeichnen soll. Einen Anfang, die Mitte und den Schluss«, sage ich mit den Händen gestikulierend.

      Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Wie soll das denn funktionieren? Das scheint völlig planlos. Ich hätte gerne eine Bedienungsanleitung für das