Henriette - Angela Richter

Der Genesis


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auf dem mehrere Felldecken liegen oder was davon noch übrig geblieben ist. Tief unten in einer öden kalten Höhle, mit fast so gut wie kein Licht und ausreichendem trinkbaren Wasser Ich wagte kaum daran zu denken was er vielleicht zu Essen bekommen hat, Abfälle? Welche unmenschlichen Erniedrigungen musste Chaos über sich ergehen lassen, Folter, Demütigung oder sogar sexuelle Gewalt. Und dann noch diese große Lache uralten, vertrockneten Blutes, das immer noch seine intensive ungewöhnliche Farbe hatte. Was war hier bloß geschehen! Ich musste mein neu erworbenes Gedankengut jemanden mitteilen, wo ist mein Professorchen? Er muss alle mein Illusionen erfahren! Ich kreischte lauthals nach ihm und Tsatsiki eilte herbei. Während ich in der Grube aufgeregt umher lief, ihm alles Wissenswerte zeigte und nebenbei noch zutextete, saß Tsatsiki fünf Meter höher auf dem Rand des Loches und hörte meine ausschweifenden Darstellungen aufmerksam zu. Nur hin und wieder huschte ein Schmunzeln über sein Gesicht, wenn meine wilden Fantasien mit mir durchgingen. Benny benötigte noch etwas Zeit für die Fertigstellung des Ergebnisses, das nutzten wir um weiteres zu entdecken. Ich suchte eifrig und der Herr Anweiser, hoch über mir, gab Anweisungen. Viel gab es nicht zu finden, es scheint als ob der Gefangene seinen Kerker, so gut es eben ging, sauber gehalten hatte. Nur ein vergammelter Holzbottich mit Deckel stand in einer Ecke, ich schaute neugierig hinein. Eine schwarze vertrocknete ekelige Masse befand sich darin und ein paar Knochenreste. „Was ist das!“ fragte ich Benny. Er fing an hämisch zu grinsen. „Das sind Köperausscheidungen und die Reste einer Mahlzeit.“ „Antike Schei ….. !“ Ich sprach es nicht voll aus. Entsetzt machte ich ganz schnell den Deckel wieder zu. Das Gelächter der beiden Männer, über mein entsetztes Gesicht hallte durch die Höhle. Lukas, Rasputin und Nasir tauchten neben Professor Tsatsiki auf. Nach einer kurzen Erklärung und Pantomime von Benny, grinsten auch sie über das ganze Gesicht, wie oberpeinlich! Plötzlich erspähten meine Augen ein merkwürdiges Objekt, das in einer schmalen Bodenspalte feststeckte, in Mitten des vertrockneten Blutes. Es erregte mein Interesse, meine zierlichen langen Finger passten in diesen Riss hinein, ich spürte das Ding, bekam es aber nicht heraus. Benjamin holte eine lange Pinzette, mit ihr konnte ich das Ding vorsichtig drehen und es heraus ziehen. Das Objekt hatte die Form eines halbrunden Messers ohne Stiel, umgeben von einer steinharten Masse, aus der pinkfarbenen Körperflüssigkeit und dem Dreck des Bodens. Nach der vorsichtigen Reinigung, entpuppte sich das Schneidewerkzeug, als Teil eines extrem stabilen Tierbeckenknochens, der zu einer sehr scharfen Klinge geschliffen wurde. Bruder Lukas wirkte sichtlich nervöser, dringend verlangte er nach dem Ergebnis der Blutanalyse. Die Bestätigung kam, es ist General Chaos Blut. Obwohl Benny es mir ja bereits voraus sagte, lief mir bei dieser Nachricht ein eiskalter Schauer über den Rücken. Nach einigen schweigenden Minuten der Besinnung, rief Lukas die Mönche zusammen, um ihnen etwas mitzuteilen. „Verzweifelt nicht Brüder, unsere Suche nach ihm war nicht vergebens. Der Genesis ist entkommen, da bin ich mir sicher. Hört dazu meine Version der Geschichte und urteilt dann selbst, ob es sich so abgespielt haben könnte. Die schwarze Kette, Lukas zeigte auf sie, wurde wahrscheinlich um eines seiner Fußgelenke geschmiedet. Sie ist aus Zokunit, das auf einer reinen kohlenstoffähnliche Materie basiert, aus dem Membranenstaub, einer besonderen Flügelart die nur wenige seiner Geschwister besaßen, einschließlich des Genesis. Die puderige Absonderung, gemixt mit dem Blut von Seth Ammon Ra, dem Genesis, ergab dann die lebende Materie Zokunit. Durch sein Blut kann er es mit seinen psychischen Kräften verflüssigen, pulverisieren, programmieren und es in jede nur erdenkliche Form bringen. Normalerweise hätte das metallähnliche Material, den General nicht festgehalten, es wurde absichtlich mit Titan vermischt, damit Chaos es nicht mehr beeinflussen konnte. Bennys wachsame Augen haben einige Spuren von Titan an der Kette entdeckt. Wer für diesen verräterischen Hinweis verantwortlich ist könnt ihr euch wohl denken, … Apophis! Durch das neueste Fundstück von Tamashi, habe ich nun eine wage Vorstellung von dem, was sich hier zugetragen hat. Die Gefangenschaft des General Chaos dauerte in etwa siebzig lange Jahre. Die Richtigkeit für diese Zeitspanne, sehe ich bestätigt, durch den Fund der datierten Tontafeln, die Professor Tsansikodos aus China erhalten hat und durch die archäologischen Erkenntnisse der russischen Frühgeschichte, die eindeutig belegen, wann Fürst Atoshas blutige Schrecksherrschaft ein Ende hatte. Wie oder von wem und mit welchen Methoden der Wolfs-Fürst es geschafft hatte, an das gut gehütete Geheimnis des chinesischen Ministers Lao Chen heran zu kommen, warum der General für ihn so wertvoll war, bleibt unklar. Der grausame, skrupellose Schlächterfürst beanspruchte nun, das Ewige Leben für sich. Nur gut dass er nicht die ganze Wahrheit kannte, sonst wäre die Weltgeschichte anders verlaufen und die Lykaner würden die Erde bevölkern.

      Die Zeit verhalf dem General zur Flucht, denn Fürst Atosha wurde unvorsichtiger. Irgendwann bekam Chaos den stabilen Hüftknochen, eines Wildtieres in seine Hände. Theoretisch nehmen wir einmal an, der verärgerte, wutentbrannte Barbaren Fürst schmiss mit seiner halbverzehrten Bärenoberkeule, nach dem General, der ihn wieder einmal mit kecken Sprüchen, bis aufs Äußerste provoziert hatte. Mühselig kratzte er sich aus der oberen Knochenschale, ein einigermaßen scharfes Messer, nur mit Hilfe seiner harten Fingernägel und kleineren Steinchen, die er aus den Felswänden lockerte oder auf dem Boden finden konnte. Chaos versteckte sein Knochenmesser gut vor den Augen seines Peinigers und wartete geduldig auf die richtige Gelegenheit. Die Jahre verstrichen, der Genesis verhaarte in seinem steinigen Gefängnis.

      Endlich, in einer der eisigen langen Winternächte, das gemütliche Knacken und Knistern des Holzes der wärmenden Feuerstelle, schläferte den mächtigen Werwolf auf seinem Thron ein. Der Wächter verließ die Höhle und begab sich auf seinen abendlichen Patrouillegang. Nichts regte sich mehr, die Gelegenheit für eine Flucht schien günstig. Eine zweite Chance würde er nie wieder erhalten. Der General musste jetzt schnell handeln. Er nahm all seinen Mut zusammen und brach sich selbst, oberhalb des Fußgelenkes, den Knochen. Dann schnitt Chaos sich mit dem Knochenmesser den Fuß ab, der ihn mit der Kette der Gefangenschaft verband ohne auch nur den leisesten Aufschrei des Schmerzes von sich zu geben. Chaos verlor dabei eine Menge Blut, wie wir hier feststellen konnten. Lukas deutete auf den pinkfarbenen Fleck. Anschließend hielt und heilte er seinen abgetrennten Fuß wieder an das Bein, um nicht noch mehr Blut zu verlieren. Fleisch oder Organwunden eines Genesis verheilen sehr schnell, aber wie lang es bedarf, bis auch der Knochen sich wieder verbindet, dass wissen wir nicht. So nehme ich an, General Chaos schleifte den verletzten Fuß hinter sich her. Vorsichtig, ohne auch nur das geringste Geräusch zu verbreiten, zog er sich langsam nur mit der Kraft seiner Arme die Holzleiter empor. Ich kann mir gut vorstellen, dass der tyrannische Barbaren Fürst, den General nur sehr spärlich mit der für ihn, so lebenswichtigen Blutnahrung versorgte. Somit wollte Atosha verhindern, das Chaos seine volle körperliche Kraft wiedererlangte oder wohlmöglich seine geistigen Fähigkeiten zur Flucht einsetzen konnte. Aber irgendwer hatte ihn heimlich mit Blut versorgt, vielleicht waren es die misshandelten Frauen des Wolfsmenschen, Sklaven oder vielleicht sogar Kinder! Auch die schweren Riegel des massiven Gitters musste jemand geöffnet haben oder Chaos schob sie mit seiner Gedankenkraft auf. Der Drang nach Rache und die Sehnsucht nach Freiheit, nahmen ihm jeglichen Schmerz. Meter für Meter, leise zog der General seinen Körper über den kalten, felsigen Boden und näherte sich dem Thron. Unterwegs griff er nach einem richtigen Messer, dass auf dem Tisch lag, auf dem noch das Abendmahl des Werwolfes stand. Die Nerven waren angespannt, des Zerreißens nahe, dass mit Adrenalin stark angereicherte Blut schoss durch seine Adern, als sich Chaos lautlos hinter dem fürstlichen Stuhl, an der Wand hoch stemmte. Blitzschnell, ohne zu zögern, ergriff er Atoshas Kopf, schnitt und riss ihn von dessen Rumpf. Der völlig überraschte Lykaner-Fürst versuchte sich noch zu verwandeln, zu spät! Vollkommen erschöpft und mit dem blutverschmierten Kopf des Menschenwolfes in seiner Hand, machte der General sich auf den Weg in die Freiheit. Die fürstliche Trophäe diente ihm als Garantie dafür, dass die Wächter vor der Höhle und der schweren Holztür, ihn nun nicht mehr aufhalten würden! Hinkend, sich auf einem Speer des toten Barbaren abstützend, begab sich der General nach draußen. Wie erwartet, niemand wagte es ihn, den mächtigen Engel auf zu halten. Zielstrebig schleppte Chaos sich auf den zugeschneiten Versammlungsplatz. Erst dort, hatte der Genesis genug Raum für seine prächtigen Schwingen. Die lederartigen Membranen schoben sich langsam aus seinen Rücken und zerfetzten den oberen Teil der dürftigen Fellbekleidung. Sich in die Lüfte zu erheben wird ihm nicht leicht gefallen sein, schon viel zu lange war er nicht mehr geflogen und dann noch der hohe Bluterlust. Nur mit schwerfälligen kräftigen Flügelschlägen gewann der Genesis an Höhe. Das letzte, was das Werwolfsvolk Atoshas am