Dennis Herzog

Profan


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Edelmann und Grewe waren dafür eingeteilt worden. Jeglichen Bestechungsversuch hatten beide mit wissendem Grinsen abgelehnt. Keine Kiste Bier, kein Playboy-Abo hätte sie zum Tausch dieser normalerweise eher undankbaren Aufgabe bewogen.

      Der Grund warum es sich hier anders verhielt und die Beamten sich gegenseitig beneideten, die Räumlichkeiten für eine Autopsie besuchen zu dürfen, die man doch eigentlich lieber mied, war so offensichtlich wie unverschämt. Die Untersuchungsräume befanden sich im Kellergeschoss des Krankenhauses. Etwa drei Kilometer von der Polizeistation entfernt, die lediglich in einem Trakt des Rathauses integriert war.

      Der wahre Grund?

      Ein allzu klarer Nachweis dafür, wie einfach doch die Männerwelt gestrickt war. Sie hieß Ariane Förster, war einundvierzig Jahre alt, und sah keinen Tag älter aus als dreißig. Die Frau, die im gefliesten Keller auf sterilen Aluminiumtischen tote Körper aufschnitt, deren Organe entnahm, jede Hautfalte und Körperöffnung untersuchte und das zumeist sehr erfolgreich, sah nicht im Entferntesten so aus, wie man sich einen solchen Menschen vielleicht vorstellte.

      Ihre kurzgeschnittenen schwarzen Haare waren stets gut frisiert und glänzten als hätte sie die Zeit sie stündlich zu waschen. Sie war 1,72 m groß und hatte nach jedermanns Meinung die perfekte Figur: Ihr etwas zu breites Becken über einem Apfel-Hintern schmeichelte ihrem trainierten Bauch, der in enger Kleidung ein Sixpack erahnen ließ.

      Sie hatte Brüste, die der Chirurg wahrscheinlich als seine beste Referenz ausgab. Eines ihrer Augen war strahlend blau mit einem leichten Schimmer wie Edelstein, das andere suchte den Vergleich irgendwo zwischen Bernstein und Gold. Diese, erst verstörenden, dann betörenden, Augen lenkten den Betrachter so lange ab, dass einem erst auf den zweiten Blick auffiel wie absolut symmetrisch, nahezu perfekt geformt sich ihre schlanke, aztekisch anmutende Nase präsentierte. Dass sich eine solch auffallend schöne Frau nicht draußen im Leben zeigte, sondern sich beruflich so orientiert hatte, dass sie in einem fensterlosen Raum versteckt mit den Menschen zusammentraf, die ihre Schönheit nicht mehr betrachten konnten, mochte einen Grund haben. Doch falls es den gab, so war er bisher niemandem bei der Polizei bekannt.

      Auch im Psychologischen suchte man vergebens nach einer Erklärung für ihre ungewöhnliche Berufswahl, jeder kannte Ariane als freundlich, höflich, zuvorkommend. Keineswegs verschlossen oder eigenbrötlerisch kam sie daher. Sie war eine gute Zuhörerin und war selbst recht redegewandt. Ihre angenehme Stimme klang auch elektronisch verfälscht noch gut, wenn sie während der Autopsien ihre Eindrücke mittels eines kleinen Tonbandgerät auf-sprach. Und! - Sie war, soweit Frank wusste, Single!

      Frank Riepe war achtunddreißig, drei Jahre jünger als Ariane. Er hatte mit einundzwanzig geheiratet, war mit siebenundzwanzig geschieden worden, Kinderlos. Schon bevor er Ariane in Natura begegnet war, hatte er sich in das einfache Porträtfoto verliebt, das sie von ihrer Bewerbung in den Personalakten der Dienststelle von ihr hatten.

      Edelmann und Grewe waren beide Anfang fünfzig, verheiratet. Grewe hatte für Kinder nichts übrig und irgendwie die richtige Frau gefunden, die diese seltene Meinung teilte. Edelmann hatten drei Kinder, zwei davon erwachsen und schon aus dem Haus, die Jüngste mit siebzehn Jahren kurz davor dem elterlichen Nest zu entfliehen. Es war allgemein bekannt, dass er nicht der treueste Mann war.

      Er verspielte einen Teil seines Gehalts in Automatencasinos und einen noch größeren trug er zu Prostituierten. Seiner Frau schien das egal, sie hatte es offenbar längst aufgegeben sich ein anderes Leben zu wünschen und ertrug, oder besser duldete das ausschweifende, Rückradlose Verhalten ihres Mannes, solange dieser einfach nur die lebensnotwendige Kohle mit Heim brachte.

      Beinahe Alle waren verschossen in die Pathologin. Die Ausnahme bildete Hans Bergmann. Was aber nach Franks Vermutung daran lag, dass dieser erst vor wenigen Monaten geschieden worden war. Angeblich war es eine rein einseitige Entscheidung seiner Ex-Frau gewesen und Hans habe noch immer schwer daran zu schlucken. Keiner wusste darüber Genaueres; ging sie ja im Grunde auch nichts an.

      Grewe und Edelmann hätten das niemals öffentlich zugegeben, allenfalls im Vier-Augen-Gespräch und unter Alkoholeinfluss gaben sie ihre “Schwärmerei” preis.

      Franks Zuneigung zu Ariane war wiederum allgemein bekannt, auch ihr. Seit acht Jahren war er jetzt hier stationiert. Ganze zwei Morde hatte es seither in dieser kleinen Gemeinde gegeben.

      Ariane hatte er trotzdem schon im ersten Jahr, nachdem sie von ihrer Heimatstadt auf eigenen Wunsch hierher versetzt worden war, knapp über ein dutzend Mal getroffen. Eigentlich eine verschwindend geringe Anzahl an Begegnungen. Schließlich wurden nicht nur Mordopfer, sondern vor allem Opfer von Verkehrsunfällen und auch viele „normale“ Verstorbene aus Krankenhäusern und Altenheimen auf deren Todesursachen untersucht. Und letztgenannte gab es in diesem “Luftkurort” wie Bäume im Wald.

      Bäume wie der, hinter dem sich vor vielen Jahren einmal Stewart versteckt hatte, der nun nackt auf Arianes “Arbeitsplatz” lag.

      Nur einmal war es vor einigen Jahren vorgekommen, dass eine vermeintlich nicht kriminaltechnische Untersuchung einer Leiche in eine eben solche verwandelt hatte. Riepe hatte damals aus noch immer ungeklärten Gründen die „genaue“ Todesursache einer alten Frau verlangt.

      Er hatte damals nicht ahnen können, dass ihr Bericht ein wenig „frisiert“ ausfiel. Zudem wurde Riepe ordentlich das Fell über die Ohren gezogen. Vom Bürgermeister persönlich. Er habe sich da wohl übereifrig verhalten.

      Markus Edelmann und Rene Grewe hatten drei Leichensäcke abgeliefert. Ariane war wie immer äußerst amüsiert gewesen wie “kauzig” sich die beiden mal wieder verhalten hatten. Edelmann, der mindestens dreißig Kilo zu viel auf den Rippen hatte versuchte so angestrengt seinen Bauch einzuziehen, dass er vom langen Luft-anhalten schon eine rote Visage bekam. Dabei erschien sein Versuch ein charmantes Lächeln aufrecht zu erhalten umso grotesker. Grewe sah für sein Alter eigentlich recht knackig aus, seine leicht ergrauten Haare und die gefurchte Stirn verliehen ihm eine gewisse Autorität, die er als Polizist sicherlich gut einzusetzen vermochte. Aber, dass ein verheirateter Mann sich in Arianes Gegenwart so schnell zum Halbstarken zurück entwickelte erschreckte sie eher, als dass es ihr schmeichelte, was vermutlich sein Ziel sein mochte. Er hatte seine Hemdärmel hochgekrempelt, um beim Schieben der Krankentragen, auf denen sie die Toten reinbrachten, seinen absichtlich übertrieben angespannten Bizeps zu präsentieren.

      Als kämen die beiden nicht beruflich zu ihr, sondern zu einem “Speed-Dating” schmissen sie gewöhnlich, wenn sie hier herunter kamen mit plumpen Komplimenten um sich, wobei sie sich an “Nicht-Kreativität” gegenseitig zu überbieten versuchten. Natürlich war es auch heute nicht anders:

      “Ist heute im Himmel ein Engel als vermisst gemeldet worden?”

      Begann Rene, und sie hatten sich anscheinend tatsächlich abgesprochen, denn Markus sprach weiter:

      “Dann haben wir ihn gefunden! Gibt es einen Finderlohn?”

      Beide glotzten sie an, als erwarteten sie von ihr Applaus. Wie Hunde, die Männchen machten, um eine kleine Belohnung zu erhaschen, verhielten sich zwei „erwachsene“ Männer. Fehlte nur noch das Schwanzwedeln, - auch davon schienen sie nicht weit entfernt.

      Um nicht die Stimmung in den Keller zu ziehen, wo sie sich ohnehin schon körperlich befanden, drückte Ariane ein herzhaftes Lachen heraus, beschränkte aber ihre Dankesrede auf ein knappes:

      “Schön gesagt, danke Jungs.”

      Als wäre sie aber tatsächlich in wilde Begeisterungstürme ausgebrochen, wechselten die Beiden einen Blick, der dem jeweils anderen zu einem gelungenen Auftakt zu gratulieren schien. Sie hätte sich nicht gewundert, wenn sie wie Schuljungen als nächstes mit erhobenen Händen abgeklatscht hätten. Fünfzehn Minuten, die sich wie Stunden anfühlten, später, nach weiteren überflüssigen Komplimenten und wohlwollenden Bekundungen, Arianes Äußerlichkeiten betreffend, war sie endlich wieder die einzige (lebendige) Person im weißen Neonlicht.

      Wenig später hatte sie alle notwendigen Utensilien parat liegen. Zum Glück hatten die beiden “Möchtegern-Don-Juans