Dennis Herzog

Profan


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sich immer Utensilien, die schwer, oder überhaupt nicht zurück zu verfolgen waren. Erst jetzt zog sie sich Einweg-Latex-Handschuhe über. Gründlich wischte sie, im Obergeschoss beginnend, sämtliche Türen, Türklinken und alle Wände die sie berührt hatte, Fensterrahmen und das Treppengeländer ab. Das Buch, die Fernbedienung.

      Meckis Brillengestell, Reinholds Kissen. Mit viel Sorgfalt widmete sie sich Reinholds Handflächen und reinigte auch die Unterseiten seiner Fingernägel mit einer mitgebrachten Feile.

      Jede Kleinigkeit, die sie angefasst hatte musste „lupenrein“ sein.

      Sie schrubbte den Beistelltisch, die Tischfläche, auf der ihr Aktenkoffer gelegen hatte.

      Die Halbautomatik drückte sie einmal in Stewarts Hand und schob sie dann unter das Sofa. Ein halbherziges Versteck, aber das Spiel würde nicht spannend sein, wenn sie den Ermittlern nicht wenigstens ein kleines Erfolgserlebnis gönnte. Zunächst würde die zweite Waffe ohnehin nur für mehr Verwirrung sorgen, als Hinweise liefern.

      Allerdings ließ sie es sich nicht nehmen, Stewarts Portemonnaie zu entleeren und sich die Scheine in den BH zu stopfen. Eine nebensächliche Angewohnheit, da sie ja anderweitig entlohnt wurde.

      Wie am Vorabend, dachte sie auch daran die ausgestoßenen Patronenhülsen der abgefeuerten Waffe aufzusammeln und mitzunehmen. An den Projektilen selbst konnte niemand Fingerabdrücke feststellen, da sie niemals die Spitzen der Munition berührte.

      Zuletzt entriss sie Stewart noch die SIG, säuberte den Griff sowie den Abzug, entfernte den Schalldämpfer und gab sie ihm wieder zurück. Das Wort Leichenstarre machte sich gerade über sich selbst lustig - Stewarts Erektion war wiedergekehrt. Sie wusste, dass sie das Geschlechtsteil ebenfalls säubern musste, er ist immerhin beinahe in sie eingedrungen. Eine bessere DNA-Probe konnte man wohl kaum finden.

      Als sie dieser etwas absurden Aufgabe nachkam, versuchte sich ein abwegiger, schmutziger Gedanke gerade einen Weg in ihr Bewusstsein zu bahnen, als das Telefon der Beckers klingelte. Sie fühlte sich ermahnt besser schnell zu verschwinden, denn sie war keineswegs neugierig zu erfahren, wer um 21.15 Uhr abends bei diesem kinderlosen Ehepaar anrief. Es könnten wirklich besorgte Nachbarn sein, die vielleicht am Vorabend so was wie Schüsse wahrgenommen hatten. Vielleicht hatten sie sogar ein wenig Klugheit bewiesen und sich gefragt wieso den gesamten Tag über die Rollläden nicht hochgezogen worden waren. Hatten sie eventuell schon mehrfach angerufen oder waren gar herüber gekommen und hatten geklingelt?

      In einem kleinen Ort wie diesem musste man tatsächlich mit so etwas nicht-alltäglichem wie Zivilcourage rechnen.

      Sie stopfte sämtliche Erfrischungstücher in mitgebrachte Gefrierbeutel, diese wiederum in ihren Rucksack. Diese würde sie später in irgendeinen öffentlichen Mülleimer an einer Bushaltestelle werfen.

      Giselle machte sich mit leisem Bedauern auf den Heimweg.

      5- Vier -

      “Wir haben eine zweite Waffe gefunden!”

      Bergmann holte eine weitere der kleinen Beweismitteltütchen aus durchsichtigen Plastik hervor und ließ die Pistole hinein gleiten, die er mit behandschuhten Händen unter dem Sofa hervorgeholt hatte. Eine gerade erst angezündete Zigarette schob er währenddessen von einem zum anderen Mundwinkel.

      “Aha. Was sagten Sie doch gleich, was das an seinem Hals dort ist?”

      “Das ist eine Art Verbrennung – ausgelöst durch einen hoch frequentierten Elektroschocker.”

      Gab Frank Riepe nun schon zum dritten mal Auskunft.

      Der Kommissar war nach eigener Meinung “bloß erkältet”, doch Bernhard Schiermeyer gehörte nach Franks Meinung mit Antibiotika ins Bett, oder noch besser – gleich in Rente.

      Schiermeyer, ließ wieder dieses entnervende Röcheln hören, dass sich nach zweimal tief Luft holen dann in bellenden, trockenen Husten verwandelte. Er fingerte sein vermutlich fünfzigstes Taschentuch aus einer Hemdtasche, die scheinbar bodenlos war und schnaubte es mit weißem Schleim voll, der ihm ohnehin die gesamte Zeit über aus der Nase rann.

      “Die zweite Waffe ist eine halbautomatische 9 mm, diese ist, nach ersten Meinungen von Hans ebenfalls nur einmal abgefeuert worden."

      Setzte Frank seinen Bericht der bisherigen Untersuchungsergebnisse fort, während er die Worte gleichzeitig in ein kleines Notizbuch schrieb.

      Hans Bergmann war der Ballistiker der Abteilung, er war vor etwa einer Stunde dazugekommen und hatte nach Sichtung der Leichen gleich angemerkt, die Kugel, die Frau Becker getroffen habe, könne nicht aus der Waffe stammen, die der Mann augenscheinlich gegen sich selbst gerichtet hatte. Er hatte oben im Schlafzimmer und hier unten mit so viel Leidenschaft Fotos von den Opfern geschossen, als würde er während eines Waldspaziergangs die umstehenden Bäume und flüchtende Eichhörnchen fotografieren.

      “Der Typ bricht hier ein, mit einem Werkzeug, mit dem man für gewöhnlich Reifen wechselt?”

      Darauf folgte vom Kommissar abermals ein Stakkato von Hustern, die mit einem Röcheln ihr Finale fanden und ein ritualisiert wirkendes Schnauben nach sich zogen. Frank war schon gespannt wie plump er seine Beobachtungen dieses Mal von sich geben würde. Der Mann war einfach alt geworden. War er vor wenigen Jahren noch eine Art Vorbild für andere Beamte gewesen, so machte er sich heutzutage bei vielen Einsätzen eher lächerlich.

      “Er erschießt die Frau...”

      Pause, Röcheln – Husten- Schnauben, Frank hätte kotzen können.

      „...mit der 9 mm. Er schockt den Mann, schleppt eine tote Frau und einen bewusstlosen Mann nach oben...”

      Röcheln – Husten - diesmal ohne Schnauben.

      ”Er legt die beiden so ins Bett, wie wir sie hier vorgefunden haben. Der Kerl geht wieder runter, schiebt sich eine andere Knarre zwischen die Zähne...“

      Schnauben-Röcheln- er unterdrückte das Husten,

      „...und nietet sich schlussendlich selbst um? Er ermordet zwei Personen, die er eventuell; - wir wissen es nicht;- kennt. Macht noch akribisch sauber. Und dann? - Er bringt sich anschließend selbst um? Aber Warum?“

      “Das ist es!”

      Der herausfordernde zynische Tonfall von Hans Bergmann bedarf keiner weiteren Erklärung – seine Stimme trieft gerade zu von verächtlicher Ironie.

      “Als wäre ich selbst dabei gewesen, so sonnenklar, genau so muss es gewesen sein!

       Oder?

       Nein. Eher nicht!

       Riepe? Versuchen Sie´s doch mal, unser leicht angeschlagener Kommissar scheint nicht ganz auf der Höhe.”

      Er hob seine Worte mit ausladenden Handbewegungen hervor, die wie die eines Priesters wirkten, der seine Worte von der Kanzel herunter an die Gläubigen sendete.

      Schiermeyer penetrierte ein weiteres Taschentuch und warf Bergmann einen Blick zu, der ihn wohl ermahnen sollte, sich weniger herablassend seinem Vorgesetzten gegenüber zu verhalten. Doch das blieb ohne Wirkung.

      Diesen Umgangston hätte sich sonst niemand heraus genommen. Weder Frank noch die anderen vier Kollegen der kleinen Dienststelle, neben dem Ballistiker und dem Kommissar hätten es je gewagt offen so eine herabwürdigende Rede im Beisein von Bernhard Schiermeyer von sich zu geben. Hans leistete sich das, weil er es konnte. Er war unkündbar, unersetzbar und er war stellvertretender Bürgermeister. Ein Wink von ihm in die richtige Richtung und Franks Wunsch, die überfällige Berentung des Kommissars betreffend, würde sich erfüllen.

       "Wenn er nicht vorher an den Viren stirbt, die anscheinend in seinen Bronchien eine wilde Techno-Schaumparty feiern.”