Hätte wohl 1,5 Millionen Pfund rausschlagen können.«
»Und wie bist du dahintergekommen?«
Reginald fragte dies, weil sein Vater kaum mehr Bedfort Castle verließ und die verschiedenen Firmensitze ihrer Unternehmen in London seit mehreren Jahren nicht mehr besucht hatte. Die Frage schien den Alten zu amüsieren, denn er lachte kurz und trocken auf.
»Ha. Der Dummkopf bot eines der Bilder doch tatsächlich Edward an, Edward Healing. Der hat es erkannt und mich unverzüglich unterrichtet. Ich hab dann Patrick hierher befohlen und ihn ein wenig ausgequetscht. Er hat auch sofort alles gestanden, das Weichei, hat mich danach angefleht, ihm zu verzeihen und ihn nicht rauszuwerfen, der Idiot.«
Und dann fügte Oldman etwas an, das selbst seine beiden abgebrühten Söhne zusammenzucken ließ.
»Patrick war wie sein Vater. Derselbe Schwächling.«
Reginald und Silver wussten einigermaßen Bescheid darüber, was Rupert McPhearsen in all den Jahren für den Familienkonzern auf sein Gewissen genommen hatte, wie viele Unfälle er in die Wege leiten ließ, um Konkurrenten zu schädigen, wie viele Unglücksfälle über die Angehörigen von geschäftlichen Widersachern durch seine Hand hereinbrachen. Ollie Oldman McPhearsen saß in all der Zeit wie die Spinne in ihrem Netz und spannte weitere Fäden, wartete ab, was sich darin verfing, stürzte sich auf jede Beute. Für die eigentliche Drecksarbeit hatte er jedoch seinen jüngeren Bruder Rupert vorgesehen, hatte ihn zeitlebens benutzt und ausgenutzt, bis diesem die Nerven und die Seele vollends verbrannt waren und er sich eine Kugel in den Schädel jagte.
Als damals der Oldman vom Selbstmord seines jüngeren Bruders erfuhr, hatte er bloß kurz die Nase gerümpft, zwei Sekunden lang nachgedacht und dann die Verschleierung der Todesursache befohlen. Denn ein McPhearsen beging keinen Selbstmord. Nicht mal zur Beerdigung seines Bruders war er gegangen, hatte an diesem Nachmittag Wichtigeres zu tun.
Silver spürte einen Schauder über seinen Rücken kriechen, angesichts eines Vaters, der völlig gefühllos und unversöhnlich am Tisch hockte, ähnlich einem Geier, der auf ein verletztes Tier starrte, das sich am Boden im Todeskampf windete, sich aber bald einmal strecken musste und für ihn die nächste Mahlzeit abgab.
»Wirft der Mord nicht zu viel Staub auf?«
Reginalds nüchterne Frage bewies Silver einmal mehr, wer der härtere von ihnen beiden war.
Der Alte schüttelte verneinend den Kopf.
»Alles diskret über del Mato organisiert, so wie immer. Hat dafür einen Spezialisten aus Moskau einfliegen lassen.«
Lawrence del Mato stammte aus Frankreich, lebte jedoch seit Jahrzehnten in London, betrieb eine kleine, verschwiegene Kanzlei, organisierte für seine reichen Klienten alles, was sich diese nur wünschten und ihm angemessen bezahlten. Rupert McPhearsen war sein wichtigster Klient gewesen. Nach dessen Tod hatte ihn jedoch Ollie Oldman McPhearsen übernommen.
Reginald schien über die Antwort seines Vaters zufrieden und beruhigt, während sich Silver fragte, wie gut er den eigenen Bruder eigentlich kannte. Sie lagen bloß drei Lebensjahre auseinander, hatten in ihrer Kindheit und auch als Jugendliche jedoch wenig miteinander anzufangen gewusst, wurden von den Eltern die ersten Jahre mehrheitlich getrennt aufgezogen, Reginald vom Vater, er von der Mutter. Vielleicht war darum sein älterer Bruder skrupelloser, war vom Oldman besser auf sein künftiges Leben hin gedrillt worden.
Nicht selten bewunderte Silver den Bruder für seine augenscheinliche Gewissenlosigkeit. Dort, wo er, der jüngere, zurückschrak, übernahm Reginald die Führung ohne Zögern, sorgte für Ordnung, löste alle Probleme. Wie kürzlich bei diesem Streik in der Werft in Glasgow. Silver wollte mit der Gewerkschaft verhandeln, Reginald ließ dagegen ein paar Familienmitglieder der Anführer bedrohen und verprügeln, drohte mit weiteren Konsequenzen, machte gleichzeitig ein Angebot, mit der die Gewerkschaft ihr Gesicht wahren konnte.
»Eine Hand wäscht nicht die andere, das ist Nonsens«, hatte Reginald später lachend zu ihm gesagt, »die Hand, die härter und konsequenter zuschlägt, die gewinnt in der Regel.«
Silver bewunderte die zumindest nach außen gezeigte Sicherheit und Entschlossenheit seines Bruders. Er würde einmal die Nachfolge vom Oldman antreten, wenn der Alte nicht mehr konnte. Und das war gut so, für das Unternehmen und für die Familie.
»Und wie lautet deine Antwort?«
Die Stimme des Oldman richtete sich an Silver, wie dieser nun instinktiv spürte. Doch er hatte die eigentliche Frage gar nicht gehört oder zumindest nicht verstanden, war zu sehr in Gedanken gewesen.
»Was meinst du, …Vater?«
Das Vater hatte er nur zögerlich und nach einer Pause ausgesprochen und so biss sich Silver auf die Unterlippe, hoffte, dass der Alte nichts bemerkt hatte.
»Ich fragte dich, ob du die beiden Posten von Patrik zusätzlich übernehmen kannst? Viel hat er eh nicht gearbeitet, der faule, versoffene Hund. Das sollte für dich doch kein Problem sein?«
Silver nickte: »Nein, natürlich nicht, Vater, ich mach das.«
Diesmal kam die Anrede flüssig und sicher über seine Lippen. Doch er bemerkte den leicht spöttischen Blick seines Bruders auf sich ruhen.
»Ich leite die Übergabe heute noch in die Wege, beauftrage unsere Anwälte mit der Übertragung der Unterschriften«, warf Reginald ein, »wäre aber bestimmt gut, wenn du dich in den nächsten Tagen mal persönlich in den Büros zeigst.«
Als Leiter der Rechtsabteilung saß Reginald im eigentlichen Zentrum der Macht, erfuhr alles, was das Familienunternehmen betraf, beeinflusste oder veränderte.
Beinahe wie bei Vater und Rupert, dachte Silver mit einigem Erschrecken, Reginald sitzt im Hintergrund, spannt seine Fäden und lässt in zunehmendem Masse mich die Drecksarbeit erledigen. Auch die Idee für den Schlägertrupp in Glasgow kam von Reginald. Doch mit deren Organisation war Silver betraut worden.
Der Rest des Essens verlief schweigend oder exakter ausgedrückt brütend. Oldman McPhearsen brauchte sich nicht mit seinen Söhnen geschäftlich abzustimmen, denn er hatte vor seinem Rücktritt aus den Aufsichtsräten und Vorständen genügend Stabsstellen in all seinen Unternehmen geschaffen, die parallel zu ihrer Tätigkeit für die Firma die Arbeit seiner Söhne überwachten und ihm darüber berichteten. Manchmal wusste der Oldman sogar rascher und genauer Bescheid über ein aufkommendes Problem als seine Söhne. Und das rieb er ihnen immer wieder und noch so gerne unter die Nase, wollte ihnen so klar machen, wo sie sich noch zu verbessern hatten.
Nach dem Kaffee verabschiedeten sich Reginald und Silver wortkarg vom Vater. Der hob bloß seine rechte Hand zum Abschied, als würde er Lakaien entlassen.
Die beiden Brüder gingen den langen Flur entlang, nebeneinander, im Gleichschritt, sprachen nicht miteinander, blickten nur geradeaus und fixierten die breiten Türflügel des Portals, durch das sie endlich wieder aus dem auf Bedfort Castle überall spürbaren Zwang und eisernen Willen ihres harten Vaters entkommen konnten. Als sie die breite Sandsteintreppe hinunterstiegen, atmeten sie beide befreit auf, schüttelten sich an ihrem Ende kurz die Hände, wandten sich ihren Fahrzeugen zu.
Reginald hatte sich in einem Bentley herbringen lassen und sein Fahrer öffnete für ihn bereitwillig die Hintertür, drückte sie hinter ihm sanft ins Schloss, stieg vorne ein und fuhr sogleich los.
Silver war bei seinem Jaguar stehen geblieben, hatte sich eine Zigarette aus dem vergoldeten Etui gezogen und angezündet, sog ihren Rauch tief in seine Lungen ein, stieß ihn nur langsam, aber nicht mit sichtlichem Genuss wieder aus. Sein Rauchen wirkte eher so, als wollte er einen schlechten Geschmack aus seinem Mund, dem Rachen, der Luftröhre und seinen Lungen vertreiben, vielleicht das Fluidum von Bedfort Castle. Die Zigarette war noch nicht einmal zur Hälfte geraucht, da warf er sie zu Boden und trat ihre Glut aus, setzte sich hinters Steuer und fuhr los. Hart drückte er das Gaspedal durch und die Kieselsteine stiebten hoch in die Luft und bis zu den untersten Stufen der Steintreppe hinüber. Der Milliarden-Erbe war noch nicht durch das schmiedeeiserne Tor auf die Landstraße gelangt, als bereits