einer Sandbank saßen sie ab, Mei und Chufu elegant, Jules und Alabima steifbeinig, Alina mit einem mutigen Sprung, bevor ihr Mei helfen konnte. Die Tiere banden sie unter ein paar Bäumen fest, setzten sich im Schatten einiger Felsen und Büsche nieder. Alabima begann das aus der Stadt mitgebrachte Picknick zu verteilen und wenig später biss die Familie von gebratenen Hühnerschenkeln ab, mampfte dazu Maisbrot und spülte alles mit Wasser hinunter.
Nach der Mahlzeit ging Alina sogleich wieder zu den Pferden, strich ständig um sie herum, redete mit jedem einzelnen, klopfte Schenkel und Flanken, streichelte Nüstern. Alabima warf immer wieder einen besorgten Blick zur Tochter hinüber, wirkte doch das kleine Mädchen zwischen den riesigen Tieren wie ein Gnom, der leicht übersehen und unabsichtlich getreten werden konnte.
»Mach dir keine Sorgen, Alabima.«
Mei hatte den Blick der Äthiopierin richtig gedeutet.
»Die Gäule sind lammfromm und passen zudem sehr gut auf. Schau, wie sie ihre Köpfe beständig drehen und wenden, um Alina ständig im Auge zu behalten. Und sie spitzen ihre Ohren, hören ihr aufmerksam zu. Sie schlagen noch nicht einmal mehr mit ihren Schweifen nach den Fliegen, nur um die Kleine ja nicht zu streifen.«
Alabima nickte der Chinesin verstehend und dankbar zu.
»Ist das nicht ein herrliches Leben?«, stellte Jules zufrieden fest, nachdem er den dritten Hühnerknochen in den Abfallsack geworfen, die Finger geleckt und an der Papierserviette abgewischt hatte. Danach legte er sich unter der Krone eines Baumes nieder, verschränkte die Arme hinter seinem Nacken, zupfte sich den Stetson über das Gesicht zurecht und war Sekunden später bereits eingenickt, wie seine regelmäßigen Atemzüge den anderen verrieten.
Alabima, Mei und Chufu unterhielten sich weiter im Flüsterton.
»Und wie stets mit eurem Studium? Irgendwelche anstehenden Semesterarbeiten?«
Mei seufzte und Chufu verdrehte theatralisch die Augen.
»Ja, in zwei Monaten ist ein Essay über die Psychoanalyse fällig. Es soll über die Traumdeutungen von Freud handeln und muss sie mit modernen Erkenntnissen verbinden oder von ihnen abgrenzen.«
»Der Titel der Arbeit lautet: Freud versus Hobson, Gegensätze und/oder Gemeinsamkeiten«, pflichtete Mei ihrem Freund bei und fügte seufzend an, »schon Generationen von Studenten mussten über genau dieses Thema ihre Aufsätze schreiben. Und so findest du mehrere hundert Abhandlungen in der Uni-Bibliothek. Was soll einem da noch Neues einfallen?«, schloss sie ihren Ärger mit einer hilflosen Frage ab.
»Jede Zeit kann doch aus ihrem spezifischen Blickwinkel heraus immer wieder dieselben Tatsachen und Ereignisse neu betrachten?«, meinte Alabima augenzwinkernd, »immerhin schreiten Wissenschaft und Forschung laufend voran und so verschieben sich die Ausgangspunkte ständig. Oder sehe ich da etwas falsch?«
Chufu pflichtete seiner Adoptivmutter zu.
»Ja, da liegst du bestimmt richtig. Doch wir sind achtzig Studenten im selben Kurs und jeder soll sich was Anderes aus seinen Fingern saugen.«
»Ist vielleicht nicht das Thema, sondern ihr Beiden das wirkliche Problem?«, fragte die Äthiopierin keck zurück.
»Wie meinst du das, Alabima?«
Mei schien irritiert und interessiert zugleich.
»Na, ihr zwei hockt doch beständig aufeinander und tauscht euch über alles und jedes miteinander aus. Kein Wunder, dass euch nur das einfällt, womit sich bereits der Partner beschäftigt. Ihr blockiert euch wahrscheinlich gegenseitig.«
Chufu und Mei schauten einander zwei Sekunden lang an. Dann prusteten sie beide so laut los, dass Jules aus seinem Nickerchen aufschreckte.
»Was is?«, fragte er verwirrt in die Runde.
Chufu beruhigte sich früher als Mei.
»Deine Ehefrau ist der Meinung, Mei und ich würden beständig aufeinander hocken und uns dabei austauschen.«
Noch verwirrter blickte Jules fragend zu Alabima hinüber.
»Hab ich was verpasst?«
»Nein, nein. Die Kinder reden bloß Unsinn. War dein Power-Napping erholsam?«
»Etwas gar kurz. Aber was soll’s.«
Jules setzte sich auf.
»Ist noch ein Hühnerschlegel da oder haben wir alle verputzt?«, fragte er Alabima.
»Du wirst noch zum Vielfraß, Jules«, wehrte sie erst lächelnd ab. Doch Jules deutete auf seinen nicht vorhandenen Bauch. Die überwundene Krebserkrankung, die Chemotherapien und Bestrahlungen hatten ihm über Monate den Appetit verdorben und er verlor über ein Dutzend Kilogramm an Körpergewicht. Fünfundsiebzig Kilogramm waren sein Idealgewicht. Immer noch schwankte er zwischen fünfundsechzig und siebzig.
»Da, Hasso, fass«, rief seine Ehefrau fröhlich lachend und warf ihm ein Hühnerbein zu. Geschickt fing sich Jules die Beute mit der rechten Hand aus der Luft, brachte gar das Kunststück fertig, sich den wirbelnden Schlegel mit zwei Fingern am dünnen Ende zu packen. Triumphierend hielt Jules seine Beute hoch. Mei war von dieser Geschicklichkeit sichtlich fasziniert und auch Chufu spendete verhaltenen Applaus.
»Du kannst jederzeit als Jongleur im Flohzirkus auftreten«, meinte der gebürtige Philippine betont gönnerhaft zu seinem Adoptivvater.
»Während du im selben Zirkus höchstens als Kutscher taugst«, gab Jules gespielt bissig zurück, »auch dir würde wieder etwas mehr Training der Reflexe guttun. Treibst du noch Kampfsport?«
»Nein, nicht mehr«, beeilte sich Chufu klar zu stellen, und fügte mit einem schelmischen Seitenblick auf seine Freundin hinzu »höchsten noch mit Mei. Aber Spaß beiseite. Das Surfen auf dem Meer und die Ausritte mit Mei genügen vollkommen, um fit zu bleiben. Ich will dir nicht zu nahetreten, Jules, doch schau dir einmal deine Hände an.«
Der Schweizer blickte auf seine Finger hinunter, sah die dicken, knorpeligen Gelenke, wie sie das jahrelange Teak-Wan-Do Training an den harten Holzpflöcken hinterlassen hatte. Kräftig waren sie ohne Frage, seine Hände und Finger. Aber sie sahen auch irgendwie alt und verbraucht aus. Insgeheim fürchtete sich Jules schon seit Jahren vor der immer stärker spürbaren Arthrose. Sie würde ihm mit zunehmendem Alter bestimmt zu schaffen machen, darüber war er sich spätestens seit seinem Besuch bei einem Rheuma-Spezialisten im vergangenen Jahr gewiss. Vielleicht war das der eigentliche Grund, warum der Schweizer seinem Adoptivsohn keine spitze Antwort zurückgab, sondern bloß mehr zu sich als zu ihm meinte: »Ja, vielleicht hast du Recht, Chufu.«
Alabima beobachtete ihren Ehemann während diesen Sekunden des gegenseitigen Foppens sehr genau, musterte seine Gesichtszüge, behielt auch seine Körperhaltung und seine Gestik in Erinnerung. Ja, Jules war noch immer nicht gesund, sondern erst auf dem Weg zur Genesung, erschien ihr ungewohnt verletzlich und verunsichert. Vielleicht war es aber auch einfach das Alter, das wohl jeden Menschen veränderte, ihn in seinen Gedanken langsamer machte, ihn mehr abwägen und weniger spontan handeln ließ. Sie hoffte zumindest, dass dies bei Jules so war.
*
»Der Idiot hatte uns bestohlen«, sagte Ollie Oldman McPhearsen mit kalter, harter Stimme, fügte dann in einem unversöhnlichen Ton hinzu, »uns!«, wobei er wohl eher mich meinte.
Seine beiden Söhne saßen mit ihrem alten Vater am Mittagstisch, waren aus der Hauptstadt zum Oldman geeilt, als sie heute Morgen von der Ermordung ihres Vetters Patrick aus der Zeitung erfahren mussten.
»Dann hast du...?«, meinte Silver erschüttert.
»Er hat uns bestohlen. Hast du nicht zugehört?«, blieb sein Vater bei seiner Begründung.
»Und wie hat er das angestellt?«, fragte nun Reginald kühl. Der ältere der beiden Brüder schien interessiert zu sein. Einen Moment lang sah es jedoch so aus, als ob ihm der Oldman nicht antworten wollte. Doch dann hob er kurz seine rechte Hand, ließ sie wieder auf das Tischtuch fallen.
»Er ließ aus den Büroräumen