R.J. Simon

Bis dass der Tod euch vereint


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Auto brach mit seinem Fahrer auf gerader Strecke durch die Begrenzungspfosten und stürzte über die Klippen in die Tiefe, wo es völlig ausbrannte. Eine Beteiligung eines weiteren Fahrzeugs wird mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen. Es gibt keine Bremsspuren oder Zeichen eines Unfalls mit einem weiteren Verkehrsteilnehmer. Der Fahrer war in dem Wrack eingeschlossen gewesen und hatte keine Chance zu entkommen. Die Leiche konnte danach nicht mehr identifiziert werden. Nur anhand des Nummernschilds des Wagens war es möglich gewesen den Halter zu ermitteln, der mit dem Fahrzeug selbst unterwegs war. Der Eigentümer des Unglückswagens war Brigittes Ehemann.

      Obwohl die Umstände des Unfallhergangs mit etlichen Fragen behaftet sind und es um einen beträchtlichen Nachlass geht, wurde Brigitte bis jetzt erst zwei Mal von der Polizei aufgesucht und dazu befragt. Das erste Mal am gleichen Abend des Unglücks, an dem die Beamten ihr vorrangig die Todesnachricht überbrachten. Die vorsichtigen und rücksichtsvollen Fragen der Polizisten zielten ausnahmslos darauf ab festzustellen, wer mit dem Auto unterwegs war, um jeden Irrtum auszuschließen. Ansonsten zeigten die Herren bei dieser unseligen Aufgabe viel Rücksicht und Anteilnahme, schonten Brigitte so gut es der Umstand erlaubte, und ließen ihr bald ihre Ruhe.

      Ein weiteres Mal kamen dieselben Polizisten eine Woche später, um Brigitte dann lediglich mitzuteilen, dass die Untersuchungen bis dahin keine neuen Aspekte ergeben hätten. Wie so nebenbei fragten die Beamten zum Schluss nur noch, ob Brigitte etwas Erwähnenswertes wüsste, was ihr beim ersten Besuch nicht einfiel. Immerhin hätte es ja möglich sein können, dass Brigitte aus Verzweiflung oder aus Schock über die schreckliche Nachricht wichtige Dinge vergessen oder verdrängt hätte an diesem schicksalhaften Abend, meinten sie. Aber Brigitte konnte ihnen auch damals keine weiteren Angaben machen. Es stand unumstößlich fest, dass ihr Mann mit dem Auto unterwegs war. Mehr wollten die Polizeibeamten bis heute nicht von ihr wissen.

      Das wunderte Brigitte schon ein wenig in der Vergangenheit. Sie rechnete insgeheim damit, öfter von der Polizei verhört zu werden und versuchte sich darauf einzustellen, denn davor hatte Brigitte Angst. Es ist ja bekannt, dass die Behörden in solchen Fällen, wenn es um viel Geld geht und das ganze Umfeld des Unglücks sich obendrein derart undurchsichtig gestaltet, ein Gewaltverbrechen mit in Betracht ziehen. Als Tatmotiv wird dann Habgier angenommen, worin sicherlich schon oft ein Mordgrund gefunden wurde. Somit hätte Brigitte auf der Liste der Verdächtigen ganz oben stehen müssen.

      Aber es gab keine bohrenden Blicke, versteckt gestellte Fragen und keine Art Kreuzverhör von Seiten der beiden Kommissare, das sie hätte mürbe machen sollen. Bei der Testamentseröffnung, die einige Tage nach dem zweiten Besuch der Polizei war, verstand Brigitte, warum sie entgegen aller Erwartungen so wenig, beziehungsweise überhaupt nicht, zu dem Unfall befragt wurde. Sie glaubte auf der falschen Testamentseröffnung zu sein, als der Notar ihr diese schockierende Überraschung offenbarte, die Brigitte schwindeln ließ. Das gesamte Hab und Gut, in Form von Häusern, Grundstücken, Anlagevermögen sowie das Geld auf den Konten, bekam dem Testament zu Folge ein gewisser D.J.Robbins zugesprochen. Brigitte versuchte bereits an das Aktiendepot heran zu kommen, um wenigstens einen Teil des Vermögens zu erhalten. Sie wusste noch nicht einmal, wie viele Millionen dieses umfasst. Um die Finanzen kümmerte sich ausnahmslos ihr Gatte. Sie besaß keine Chance. Auch ihre monatlichen Bezüge, die sie bisher erhielt sind gesperrt worden. Außer einem ewigen Wohnrecht in dem ehelichen Haus, ihren Kleidern und ihrem Schmuck, hinterließ ihr Ehemann nichts für Brigitte.

      Von diesem, angeblich in England lebenden Herrn, erzählte ihr Mann, in all den Jahren die sie mit ihm verbrachte, nie etwas. Brigitte hatte keine Ahnung, wie dieser Herr in Beziehung zu ihrem Mann stand. Diese, für sie unbegreifliche und erschütternde Enthüllung, zog Brigitte das Blut aus dem Kopf und sie grübelte die folgenden Tage ununterbrochen nach, wer dieser Unbekannte sein könnte. Ohne jeglichen Erfolg! Sie hörte diesen Namen nie zuvor. Der Wortlaut des Testaments blieb unfassbar, erniedrigend und beleidigend für Brigitte. Es stellte eine verheerende Grundlage für ihr weiteres Leben dar.

      Dass ihr Ehemann das vollständige Vermögen einem Herrn vermachte, der Brigitte vom Namen her völlig unbekannt war, ja sie bis dahin noch nicht einmal wusste, ob ein gewisser D.J.Robbins überhaupt existent war oder ist und seine eigene Frau mit einem lächerlichen Anteil abspeiste, wollte sie nicht wahrhaben. Diese Perversität brachte Brigitte fast um den Verstand, je länger sie darüber nachdachte. Dieses Verhalten entbehrte doch jeglicher Realität und Logik und moralischen Grundlagen. Wie kam ihr Mann nur auf ein so absurdes Vermächtnis?

      Was bedeutet schon „ewiges Wohnrecht“? Wovon soll sie denn leben? Mit welchem Geld die laufenden Kosten für das Haus tragen? Brigitte hat bereits damit begonnen ihren Schmuck zu versetzen, um damit Essen und andere Unterhaltskosten zu finanzieren. Denn auf das Geld auf den Konten hatte sie keinen Zugriff mehr. Das Vermögen wurde eingefroren. Brigittes Scheckkarte ist gesperrt und das bisschen Bargeld, das im Haus war, ist längst verbraucht. Sie lebt in einer Luxusvilla und ist arm wie eine Kirchenmaus!

      Aber diese gehässige und unbegreifliche Demütigung durch den Letzten Willen ihres Mannes wurde schnell zur gnadenlosen Gewissheit. Brigitte bekam durch ein Schreiben ihres Rechtsanwaltes mitgeteilt, dass Mr. D.J.Robbins, seinerseits über einen Rechtsanwalt, das Erbe angetreten hatte. Mit diesem Brief zerplatzten die letzten geringfügigen Hoffnungen Brigittes, dass Herr D.J.Robbins vielleicht unauffindbar wäre, selbst schon verstorben sei und keine eigenen Erben besaß, oder sogar auf das Erbe verzichten würde, wie Seifenblasen in der Luft: Lautlos und unwiederbringlich.

      Denn in einem dieser Fälle, so klärte sie der Notar auf, wäre Brigitte als einzige Angehörige doch noch alleinige Erbin des vollständigen Vermögens geworden. So einfach wird es ihr jedoch nicht gemacht. Brigitte muss sich vorerst mit diesem ungerechten Testament, das einen solch harten Schicksalsschlag bedeutet, abfinden und die letztwillige Verfügung zunächst akzeptieren. Wenn es für sie auch noch so brutal und schwer zu verstehen ist. Im Moment ist das Testament so gültig und in Kraft gesetzt.

      Ohne Gegenwehr nimmt Brigitte diese Schmach jedoch nicht hin. Sie beauftragte sofort nach der Testamentseröffnung ihren Rechtsanwalt, guter Bekannter der Familie und persönlicher Freund ihres verstorbenen Mannes damit, alles erlaubte dagegen zu unternehmen. Der versprach auch unverzüglich sämtliche rechtliche Möglichkeiten auszuschöpfen und die erforderlichen Schritte dagegen einzuleiten. Auch ihm war das Vorgehen seines verstorbenen Freundes rätselhaft und unerklärlich.

      Über das Entsetzen des Testaments kam Brigitte nach einer langen Frist, die von Verzweiflung geprägt war, einigermaßen hinweg, weil ihr immer noch ein geringfügiger Hoffnungsschimmer bleibt, es abzuwenden. Die Worte ihres Rechtsanwaltes trösteten sie ein wenig, der sagte, es gäbe eine kleine Chance das Testament anzufechten. Damit schöpfte Brigitte wieder einen etwas positiveren Blick in die Zukunft. Bis dann Brigittes Geist begann, ihr die Stimme ihres toten Mannes immer wieder vorzuführen.

      Brigitte stürzte vorhin, nach einer solchen geisterhaften verbalen Attacke kopflos in ihr Auto und fuhr einfach los. Ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Nur weg, raus aus dem verrückten Gebäude, in dem die Stimme wieder und wieder mit ihr sprach, war ihr einziger Gedanke. Brigitte fuhr daraufhin wie wild die Küstenstraße entlang, so als ob der Teufel persönlich sie verfolgen würde. Auf dieser Flucht achtete Brigitte nicht auf die schöne Aussicht, die man von der Straße her auf das blaue, in der Sonne schimmernde Meer hat, die sie sonst gerne genoss. Nur weg von dem Haus! Es zählte nur, genügend Abstand zwischen sich und der Stimme in dessen Wände zu bringen.

      Als sich Brigitte dann, nach einigen Kilometern, langsam beruhigte, fand sie sich hier in Nizza wieder. Um ihre verwirrten und aufgebrachte Gedanken zu ordnen, parkte sie den Wagen bei der nächsten Gelegenheit und spazierte weiter ziellos umher. Irgendwann setzte Brigitte sich auf eine Bank, ohne auf das Geschehen und die Menschen um sich herum zu achten. Sie war vollkommen in ihre eigenen Gedanken versunken.

      Nun sitzt Brigitte immer noch hier in der Sonne auf einer der zahlreichen Bänke auf der Promenade, um wie in Trance in die Ferne zu sehen. Sie scheint dieser Welt vollkommen entrückt zu sein. Was um sie herum geschieht, nimmt Brigitte zurzeit nicht wahr. Es hat ohnehin keine Bedeutung und ist für sie völlig einerlei.

      Genauso, wie es auch vor unzähligen Wochen war. Wenn auch aus einem anderen Grund. Damals ging Brigitte mit ihrem noch lebenden Mann Dominik,