Micha Wölfer

Jener Sommer in Wien, als Tutanchamun bei mir wohnte


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den Kupferpreisen! Damals jedenfalls schätzte er meine Kunst noch nicht. Keine Ahnung, was ihn eines anderen belehrte.

      Er hasste alte Dinge, auch wenn sie antik waren. Kam vielleicht von daher die Idee, sich ein neues altes Bild zu gönnen? Einen Hingucker in einer ultramodernen Wohnung. Aber der Stuckkamin? So gar nicht typisch für ihn … Vielleicht eine Alterserscheinung?

      Ganz geheuer war mir die Wanne aus zweiter, dritter oder wer weiß wievielter Hand auch nicht, daher schrubbte ich sie so ausgiebig mit Scheuermilch, als würde ich an einem Hausfrauen-Wettputzen teilnehmen. Der Effekt sollte sein, eventuelle DNA-Spuren von Vormietern zu beseitigen, die in der Wanne möglicherweise durch Aufschneiden der Pulsadern ihr Leben ausgehaucht hatten. Nebeneffekt war, dass sie nun gleißte wie die aufgehende Sonne in der Sahara. In diesem grünspanbefreiten Zustand hätte sie mir der alte Hausherr sicher nicht für ein Bild überlassen. Aber das redete mir Ralph wiederum ein, der auch davon überzeugt war, hier wären schon ein paar hungerleidende Künstler herausgestorben.

      So weit war es bei mir noch nicht. Ich konnte mir sogar leisten, einige meiner Werke, von denen ich mich nur ungern trennen konnte, nicht zu verkaufen und an den Kalk getünchten Wänden meiner Wohnung aufzuhängen. Die restlichen, für die Vernissagen, waren in Packpapier gehüllt und zwischen dem Kleiderkasten und einer bäuerlich anmutenden Kommode verstaut.

      Bei mir dominierte also ein keine Einheitlichkeit aufweisendes Durcheinander. Man könnte es auch so beschreiben: Mein Wohnstil war eklektisch. Ralph gebrauchte es natürlich als Schimpfwort.

      Einzig meine Schlafnische war anders. Nämlich einheitlich schlicht. Ein französisches Bett aus Zirbenholz im puristischen Design der Öko-Freaks … und viel zu breit für mich. Aber solche Betten sind kaum als Einzelbett zu bekommen. Allein die verführerische Produktbeschreibung des Holzes mit dem sinnlichen Duft, der warm, vibrierend, würzig, wie trockene Baumnadeln in der Herbstsonne, seinen charakteristischen Duft verbreiten soll: naturbelassen und vollkommen unbehandelt, hatte mich bewogen, dieses edle – also teure Stück – anzuschaffen – ungebraucht, natürlich, denn auch meine Vorliebe für abgelegte Dinge hat Grenzen.

      Neben dem Bett befand sich ein niedriges Kästchen, ebenfalls aus Zirbe; weiße Öko-Tapete an der Rückwand und sonst nichts. Tapete deshalb, weil es bei mir einen wohligeren Schlaf-Effekt auslöst als kühler Kalk. Für ein wenig Nest-Feeling sorgte auch ein breiter Paravent, der den Schlafbereich von dem übrigen Zimmer abtrennte. Er war im reservierten japanischen Stil, mit dem traditionellen Shoji-Papier des Maulbeerbaumes, bespannt. Normalerweise wäre dieses toll zu bemalen gewesen, aber mir fiel nichts ein, was in einen Schlafraum wie den meinen gepasst hätte … so blieb die Verkleidung weiter in dezentem Weiß.

      Gegenüber liegend auf der breiten Fensterwand prangte meine große Staffelei, ein hölzernes Ungetüm auf Rollen. Auf dem lehnte manchmal ein unfertiges Bild und pittoresk mit einem großen Bettlaken verhüllt. – Das hatte ich mir von Meister Leonardo abgeschaut, der soll sogar einige Jahre an einem Auftragswerk gepinselt haben. Staubvermeidung war daher angesagt. Diesen Müßiggang konnte ich mir nicht leisten. Aber falls Kundschaft in mein Atelier kommen würde – was ich natürlich tunlichst zu vermeiden wusste –, signalisierte es eventuell, dass ich mir alle Zeit der Welt nehmen könnte. Würde bei Honorarverhandlungen bestimmt helfen.

      Noch mehr helfen würde es, wenn ich nicht so unauffällig und brav daherkäme, wie mir ein Galerist eindeutig zu verstehen gab: „Die Leute wollen was Spektakuläres sehen. Bei einer Vernissage erwarten sie einen Eye Catcher und keinen weißen Arbeitskittel.“ Der wäre obendrein noch geschäftsschädigend!

      Das Einzige, was bei mir annähernd spektakulär, ja sogar gefährlich aussah, waren die Totenkopfembleme auf einigen der Pigmentfläschchen: Achtung bleihaltig! … Enthält Arsen! … Enthält Cadmium! – Nur mit Schutzhandschuhen anfassen! Nicht einatmen! Nicht einnehmen!

      Ein Höchstmaß an Verwegenheit, wie ich meine. Zugeständnisse, die selbst ein Öko-Freak machen muss, will er sich in der Malerei der Leuchtkraft der Alten annähern.

      Kindersicherung war nicht notwendig. Waren ja auch keine in Aussicht. Immerhin ist der Genius der schönen Künste ja kein Heiliger Geist.

      Dies also war mein Reich, hier fühlte ich mich wohl – oder redete es mir zumindest ein. Aber eines stand fest: Um keinen Preis würde ich meine Bude eintauschen. Nicht mal gegen ein Märchenschloss … wenn Ralph drin sitzen würde!

      Aber der war sowieso schon Schnee von gestern. Und eigentlich wäre es mir lieber gewesen, ich hätte nie mehr etwas von ihm gehört. Stattdessen fungierte nun ausgerechnet er als der bestzahlende Auftraggeber, den ich je hatte.

      In dieser Funktion war er mir aber bei weitem lieber, als er in der Rolle meines Lovers war oder besser „Erziehers“, in der er sich gerne sah, weil er um dreizehn Jahre älter war als ich … und, wie er meinte, dreizehn Mal überlegener, dreizehn Mal klüger und, und, und.

      Vorkommnisse im Museum

      Tags darauf im Museum: Die Arbeit an der Renaissance-Nutte ging schneller voran, als ich dachte. Neun Monate würde das Werk wohl nicht in Anspruch nehmen, so lange wird es nicht brauchen, bis Ralph seine Muse in Empfang nehmen könnte. Aber immerhin hatte ich mir durch die gesetzte Frist genügend Freiraum geschaffen und konnte ausgedehnte Pausen einlegen oder auch mal einen Tag nichts tun.

      Das Licht war heute besonders schlecht. Ausgenommen von den mit Spots angestrahlten Gemälden war der übrige Raum ohnehin meist nur spärlich beleuchtet. Doch an diesem Tag drang nicht mal ein noch so matter Schein durch die abgedunkelten Deckenfenster. Schlechtwetter war weit und breit nicht angesagt, trotzdem: Dicke, bleischwarze Wolken verhängten den Himmel.

      Ich entschloss mich, statt meine Augen weiter zu strapazieren, besser einen Rundgang durch andere Abteilungen machen. Könnte ja auch nicht schaden, einmal dem Münzkabinett in der oberen Galerie einen Besuch abzustatten. Ich verwarf den Gedanken aber schnell wieder, denn Kohle zu bewundern und noch dazu hinter Vitrinen, verdross mich dann doch, zumal derlei ja auch nie eine besondere Anziehung auf mich hatte.

      Freilich musste ich mich mit diesem leidlichen Thema wohl oder übel herumschlagen und, obwohl geschäftlich eigentlich eine Niete, immer einen Vorschuss auf ein entstehendes Werk aushandeln. Nach einigem Hin und Her sah das sogar Ex ein. Ich konnte ihm also klarmachen, dass ich ohne Anzahlung glatt verhungern würde und dann bekäme er sein Bild gar nicht. Natürlich schloss er durch seine Einblicke in meine geschäftliche Gebarung gleich auf meine wirtschaftliche Lage und bedachte mich mit der saloppen Bemerkung: „Wusst ich’s doch, dass du ohne mich lebensunfähig bist.“

      So ungeschickt, wie er mich einzuschätzen pflegte, konnte er sich natürlich nicht vorstellen, dass ich normalerweise in einem Zeitraum von 9 Monaten mindestens zwei Vernissagen in einer Bank und eine in einer Versicherung absolviert hätte und dazu noch klinkenputzend die besten Adressen von Wien abklappern würde, um potenzielle Kundschaft an Land zu ziehen.

      Tatsächlich aber stellten sich die aussichtsreichsten Aufträge immer bei Klientinnen mit den teuersten Haustieren ein. Hündchen oder Kätzchen, manchmal waren es auch Frettchen – putzige Luxusgeschöpfe und die Lieblinge ihrer betuchten Frauchen – die der Nachwelt unbedingt erhalten bleiben sollten. Wenn schon nicht ausgestopft, so doch als Ölbild an der Wand. Sei es mit Besitzerin oder ohne.

      Ein Knochenjob, der die Nerven gehörig strapazieren konnte; sind doch die Damen meist mit nörgelnden Gehabe angetan und mindestens ebenso exzentrisch wie ihre verwöhnten Tierchen. Aber: Sie zahlen wenigstens gut. Immer pünktlich dann, wenn der Unterhaltsscheck des Ex-Mannes eintrifft. Daher achtete ich bei Fertigstellung meiner Werke auf das Datum: kurz nach dem Monatsersten.

      Möglicherweise ist es das zweite nervenaufreibende an diesem Broterwerb: Man ist demselben Existenzkampf ausgesetzt wie früher Jäger und Sammler es waren – ohne Beute kein Essen. In meinem sesshaften Fall: ohne Auftrag kein Essen und kein Atelier.

      Im Moment aber machte ich mir Gedanken darüber, wie ich den Tag der Nicht-Arbeit verbringen könnte. Paul Lafargue sei Dank, ich räumte mir das „Recht auf Faulheit“