Micha Wölfer

Jener Sommer in Wien, als Tutanchamun bei mir wohnte


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wirkte plötzlich wie gehetzt und beugte sich näher zu mir, sodass ich seinen schlechten Atem riechen konnte.

      „Ich musste aber bald darauf noch mal in die Räume, da ich festgestellt habe, dass ich mein Funkgerät liegen gelassen haben muss, und …“, er stockte und riss die Augen auf, „… da war plötzlich der Sack da!“

      „Was denn für ein Sack?“, fragte ich unaufgeregt und versuchte, etwas mehr Abstand zu gewinnen.

      „Na, ein Sack!“ Hubert japste nach Luft. „Ein weißer Leinensack, den man dem Horemhab über den Schädel gestülpt hat!“

      „Wer um alles in der Welt ist denn Horemhab?“, fragte ich, da ich im Moment nicht wusste, wo ich den Typ hingeben sollte.

      Seine Stimme hob sich: „Na, das ist der, vom Ende der 18. Dynastie, ein Usurpator, ein Emporkömmling, sagt man – ein ehemaliger General, der sich auf den Thron gesetzt hat, nachdem der Goldene Pharao so jung verstorben ist, und nachdem auch der alte Eje hinüber ist.“ Das Aufsichtsorgan fuhr sich mit dem ausgestreckten Daumen von links nach rechts über den Hemdkragen, wohl um seine Worte anschaulicher zu unterstreichen.

      „Eje?“

      „Na, der vermutliche Vater von der Nofretete, der dem Goldenen auf den Thron gefolgt ist, für drei oder vier Jahre.“

      „Dem Tutanchamun?“

      „Ja, ja!“, antwortete er gereizt.

      Normalerweise erging sich Hubert in langen Abhandlungen, aber an diesem Tag war er so aufgebracht, dass er eine SMS-Kurzform vorzog, um mir zu schildern, wer diese Typen waren, von denen ich noch nie etwas gehört hatte: Horemhab und Eje.

      „Gott sei gedankt!“, sagte er und schlug ein Kreuz, wie eine Betschwester in der Maiandacht. „Ich habe den Sack noch rechtzeitig herunterbekommen vom Steinschädel – bevor das jemand anderem auffallen konnte –, denn der war auch noch arg verschnürt: wie ein Paket! Die schicken mich doch sofort in Ruhestand, wenn sie der Ansicht sind, dass ich meine Aufsichtspflicht vernachlässigt habe.“

      Das Gesicht meines Gegenübers hatte mittlerweile eine fahle Blässe angenommen.

      „Schauen Sie nur, Isa!“ Hubert holte aus seiner Hosentasche ein zusammengeknülltes Stofftaschentuch hervor und hielt es mir geöffnet unter die Nase. Es war voll mit ziegelroter Farbe und es stank nach Schnaps.

      „Das Schlimmste aber war das“, fuhr er aufgeregt fort. „Der Kopf der Statue war unter dem Sack mit dieser Farbe bemalt! Irgendwelche Striche oder auch Zeichen – möglicherweise auch ein Fluch!“ Er klopfte sich an die Brusttasche. „Nur gut, dass ich immer ein Fläschchen Alkohol bei mir habe … Magenbitter!“, beeilte er sich, mich aufzuklären. „Mit dem Sacktuch habe ich die Farbe dann gut abbekommen. Vielleicht hat das Schlimmeres verhindert.“

      Schlimm fand ich, dass er das schmutzige Ding noch bei sich trug und sich weiter bemüßigt fühlte, es mir unter die Nase zu halten. Leider hatte ich den Ruf, verschwiegen wie ein Grab zu sein, eine Eigenschaft, die man so schätzte, dass man mich gern als Klagemauer benutzte, um seine beruflichen Sorgen oder auch privaten Probleme bei mir abzuladen. Ich für meine Person aber kannte kaum jemanden, der sich für meine Geschichten interessiert hätte … Aber genau genommen gingen die ohnehin keinen etwas an.

      „Und den Sack, haben Sie den auch noch dabei?“, fragte ich jetzt leicht verdrossen.

      „Natürlich nicht, den habe ich entsorgt – vorsichtshalber.“ Er steckte das Tuch wieder ein.

      „Gell, Isa“, sagte er in beschwörendem Ton und legte die Stirn in Falten. „Sie sagen es eh nicht weiter?“ Er schaute mich groß an und wartete, dass ich bestätige, was er hören wollte.

      „Herr Hubert, Sie können sich darauf verlassen!“ Beschwichtigend klopfte ich ihm auf den Oberarm und versicherte ihm, dass er es gut gemacht hätte, wie er es gemacht hatte – besser als mit seiner Methode könnte ein hochbezahlter Restaurator die Farbe auch nicht abbekommen haben.

      Er fühlte sich sichtlich geschmeichelt und sah auch wieder etwas entspannter aus.

      Normalerweise bemühte ich mich nicht darum, von Männern als besonders bestrickend wahrgenommen zu werden, aber hier hatte ich Handlungsbedarf und einen Hintergedanken: Meine Neugierde war geweckt und daher erwog ich, noch etwas charmanter vorzugehen. „Herr Hubert, würden Sie bitte so freundlich sein“, säuselte ich und lächelte gezwungen, „darf ich die Sammlung sehen … und Ihren geretteten Horemhab?“

      O Wunder, es hat gewirkt! Hubert zwinkerte mir zu und sagte: „Isa, Sie gehören ja so gut wie zum Personal … das kann ich verantworten.“ Dann kramte er in seinen Hosensäcken, fand scheinbar nichts, dann weiter in den Taschen seines Aufsehersakkos – da war er: der Schlüssel! Er reichte ihn mir. „Gehen Sie nur hinein, aber sperren Sie hinter sich zu, ich komme dann später vorbei und hole ihn mir wieder. Ich rufe Sie dann auf dem Handy an, damit Sie mir aufmachen können. In Ordnung?“

      „Ja, danke! Alles klar.“

      Bevor er in Richtung der Garderoben davonging, murmelte er noch etwas von einer Pause und einem deftigen Jausenbrot, das auf ihn warten würde, ansonsten könnte er diesen ganzen Stress im Museum nicht durchstehen. Vermutlich hatte er auch ein Rendezvous mit einem Dosenbier, oder zwei, das würde dann sicher länger dauern, und das war mir mehr als recht.

      Seltsame Begegnung

      Die schwere, mit Intarsien verzierte Eichentür und den ornamental geätzten Glasfenstern fiel hinter mir ins Schloss. Ich sperrte – wie mir Hubert aufgetragen hatte – die Abteilung von innen zu und somit das Leben draußen aus.

      Der erste Raum, Glanz einer versunkenen Epoche, tat sich vor meinen Augen auf wie ein Bühnenbild: das alte Ägypten!

      Ich schöpfte tief Atem … ich war ganz allein und es war so still hier.

      Die Stimmung in diesem Teil des Museums war eigentümlich andachtsvoll, fast wie in einer christlichen Kathedrale. Aber das hier war weit vor den ersten Christen – eine Kultur, so fremd und doch wieder nicht, obwohl mein Wissen darüber nur Bruchstückhaft vorhanden war. Sieht man denn nicht in jedem Museum der Welt die Grabbeigaben und in den Souvenierläden noch mehr Replikate und kitschig bedruckte T-Shirts mit altägyptischen Motiven?

      Memoiren einer verwehten Zeit. Aber vertraut durch unzählige Ausgrabungsgegenstände, die uns diese Welt versucht nahezubringen.

      Über die Menschen, die das geschaffen haben, ist die Geschichte darüber gelaufen, die meisten wurden vergessen. Ihre Kunst aber haben sie dem Wüstensand überlassen, und die hat überlebt. Vielleicht hat diese Kultur damit etwas anderes erreicht, als sie eigentlich wollte: Eine andere Art von Unsterblichkeit, weil wir – die Zukunftsseelen – davor stehen und die Kunstfertigkeit ihrer Schöpfer bewundern … wie man vor einem alten Tizian, Raffael oder Michelangelo steht.

      Ist das nicht genug Unsterblichkeit?

      Ich war bewegt, als wäre ich religiös und stünde vor den Knöchelchen eines Nationalheiligen. Lag es an der Atmosphäre, die den Hauch von Ewigkeit atmete, oder lag es an der Menschenferne? Ich hielt den Atem an – die Stille war absolut.

      Aber da – ein leises Knistern von irgendwoher. Ich ließ den Blick durch den Saal schweifen. Da war aber niemand. Vielleicht eine Maus? Sollte es in Ausstellungsräumen gar Mäuse geben? – Sicher nicht, da gibt es nichts zu fressen. Vielleicht kam es von den Mumiensärgen in den Vitrinen? Dehnungsgeräusche eines mehrere Tausend Jahre alten Holzes? Naturmaterialien tragen bekanntlich ein Eigenleben in sich. So wie mein alter Schrank, der auch manchmal ächzt, und das vor allem nachts, dass man meinen könnte, jemand hätte eine Tür geöffnet. Temperaturschwankungen oder der einbrechende Gang eines Holzwurms? Holzwürmer im Museum? Restauratorenresistente Tierchen? Unsinn! Ich spitzte die Ohren. Vielleicht würde ich es noch mal hören, dann könnte ich der Sache auf den Grund gehen … denn bei Tag – wenn es hell ist – fürchtete ich mich schon lange nicht mehr vor seltsamen Geräuschen. Nur