Micha Wölfer

Jener Sommer in Wien, als Tutanchamun bei mir wohnte


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Typ war.

      Ist sein Sohn Tutanchamun, für mich ein Synonym für Jenseitig, war er absolut diesseitig orientiert, der legendäre Ketzerkönig. Wieder ein Wort, das mir gut gefiel, das hat irgendetwas, zumindest einen coolen Klang. Allerdings war er auch ein cooler Typ. Jedoch, wie er in aller Konsequenz den Tod ignorierte, das wollte man damals auch nicht. Dabei war er der einzig Aufgeklärte in einer Welt von Mystik und Aberglaube und für mich auch der erste Hippie, weil er die Sonne über alle Götter stellte und die Natur anbetete: Die Menschen sollten sich lieber im Leben vergnügen, als auf das Jenseits hoffe. Denn wer kann schon sagen, ob es danach etwas gibt? Es ist noch keiner zurückgekommen! Waren in meiner Interpretation seine häretischen Aussagen für die damalige Zeit gewiss eine Zumutung. Seine Lehre: Ohne Sonne kein Leben! – wäre daher auch einleuchtend.

      Die schlichte Statuette, die Echnaton darstellt, ist in dem typisch expressiven Kunststil ausgeführt, den er seinen Bildhauern diktierte – ziemlich gewagt für die Zeit vor Schiele.

      Eigentlich war er ein gut aussehender Mann, wie ihn einige, naturalistische Porträtbüsten zeigen, aber anscheinend wollte er mit der karikaturartigen Verzerrung seiner Gestalt etwas anderes ausdrücken. Bloß … was?

      Möglicherweise gefiel die Verzerrung auch Nofretete nicht, seiner anmutigen Gemahlin, die er ebenso abbilden ließ. Sie dürfte irgendwann rebelliert haben und ließ lebensechte Porträtbüsten von sich anfertigen – keiner wüsste sonst, wie sie wirklich ausgesehen hat. War das doch den Altägyptern das Wichtigste: ihr naturgetreues Abbild mitnehmen ins Totenreich …Steck dein Porträt in die Tasche und laufe ins Jenseits – Sonst kannst du nicht auferstehen! Was sich die Leute in ihrem Aberglauben so alles einbilden! – Muss für die damaligen Künstler ziemlich anstrengend gewesen sein. Und Picasso, der sich die Arbeit leichter machen wollte, hätte ohnehin keine Chance gehabt und wäre ein Fall für die Notstandshilfe geworden.

      Vielleicht sollte ich das meinen Damen flüstern? „Die Falten müssen ins Gesicht, denn sonst können Sie sich das Paradies abschminken!“

      Plötzlich dämmerte mir etwas: Vielleicht war das eine besondere Rebellion von Echnaton, vielleicht wollte er damit etwas andeuten, was für seine Zeitgenossen ein absolutes No-Go war: Die Unsterblichkeit kann mich mal…! Daher zeige ich ihr auch nicht mein wahres Gesicht …

      Ich grübelte darüber, während ich die kleine Statuette betrachtete. Fragen konnte ich ihn ja nicht mehr.

      Auf einmal war es wieder da und durchbrach meine Gedanken. Ein leises Geräusch, wieder ein zartes Rasseln – oder eher ein Klimpern. Es war mir, als würde mich der Klang in gewissem Abstand verfolgen. Ich schaute in den Nebensaal, aber da war nichts und niemand. Dann fiel mein Blick auf die Kamera in der Saalecke, die ganz oben, fast an der Decke klebte. Vielleicht kam es von da? Vielleicht ein Techniker, der sich im Überwachungsraum an den Lautsprechern zu schaffen machte?

      Wo genau die Boxen angebracht waren, das wusste ich nicht. Aber von irgendwoher musste die Ordnerstimme ja kommen, die sofort erschallt, wenn sich ein Besucher zu nahe an einen Alten Meister heranschnüffelt.

      Ich schaute zur Kamera, winkte und sagte: „Hallo?“

      Nichts rührte sich. Keine Stimme grüßte von irgendwoher … und ich befürchtete einen Anfall von Verfolgungswahn. Die Monate im Museum mussten wohl bereits Spuren hinterlassen haben. Daher beschloss ich, das Geräusch einfach zu ignorieren und ging wieder in den Amarna-Raum zurück … und zu Echnaton. Dem „Karl Marx“ der Pharaonen, wie er von manchen Ägyptologen bezeichnet wird, weil er Bildung nicht nur den Reichen, sondern allen Gesellschaftsschichten zugänglich machen wollte.

      Was für ein absurdes Anliegen! Das konnte man doch nicht gebrauchen: gebildete Bauern … schreibkundige Arbeiter … die organisieren sich dann … und streiken. Und wer sollte dann die ganze Arbeit machen? Die Beamten? Die Priester? Scherz! Mit solch revolutionären Ideen schaffte er sich sicher Feinde. Alles zusammen musste ihm konsequenterweise den Fluch „damnatio memorie“ – die Verdammung des Andenkens – eingebracht haben.

      Aber bei solchen Typen wie mir, da stand Echnaton trotzdem hoch im Kurs, denn in der Volksschule prangte ein Karl-Marx-Sticker an meinem Shirt und später war Che mein Idol. Als einzige Tochter eines gut verdienenden Architekten hatten meine erzkonservativen Lehrer natürlich nie verstanden, was mich damals bewog, solch „schreckliche“ Vorbilder zu wählen.

      Später gesellte sich zu meinen Favoriten noch König Ludwig II. dazu, der bayerische Sonnenkönig. Was dann für meine Umgebung nur so viel bedeuten konnte, dass ich nicht mehr richtig ticken würde – passte er doch so gar nicht zu meinen anderen Helden der Geschichte.

      Aber da irrten sie sich.

      Wiggerl, wie ihn seine Landsleute auch nennen, gab sein Geld nicht nur für die schönen Künste und seine Bauten aus, sondern auch für die unterprivilegierten Leute seines Landes. Die nachfolgenden Generationen der armen Bergbauern verehren ihn noch heute wie einen Heiligen und tragen zu allen Festtagen sein Bildnis umher, wie die Spanier ihre Madonnenstatue.

      So wurde auch er ein wenig unsterblich.

      Ich denke, wer in die Volksseele eines Landes eingegangen ist, der stirbt auch nicht! Ist das nicht genug Unsterblichkeit? Was braucht es da noch mehr?

      Mein Religionslehrer war anderer Ansicht, denn über „Auferstehung“ vertrat er eine ganz andere Meinung als ich. Er meinte, wenn es nach ihm ginge, würde ich sitzenbleiben. Denn, als Einzige in der Klasse, hatte ich eine Vier Minus in Religion – das war aber eher eine Note für Betragen, denn Prüfungen gab es da nicht.

      Die Kerzenschlucker hatten aber auch mit Wiggerl ihre liebe Not, denn zu Kronprinz Rudolf – dem österreichischen Thronfolger – meinte der Bayernkönig einmal in einem Schreiben: Religion ist nur etwas für das einfache Volk, wir als Aufgeklärte können uns nicht wärmen daran… Diese Meinung vertrete ich auch, obwohl ich es nicht so abgehoben formulieren würde, aber ich bin ja kein König. Ansonsten habe ich Ludwig immer als mir seelenverwandt gesehen: stolz, eigenwillig und unbequem! Immer gegen den Strom schwimmend und immer in Opposition zu den Beamtenseelen seiner Minister. Genau wie ich … wenn man mich ließe, wie ich wollte.

      Was andere von mir dachten, das hat mich früher nie viel interessiert. Irgendwann aber, ich weiß nicht wann und warum, begann sich das zu ändern und ich hinterfragte meine Handlungsweisen, ob sie im Einklang mit dem stünden, was man von mir erwartete.

      Manchmal kam es mir so vor, als würde mich etwas Undefinierbares fest in seinen Fängen halten und meine Entfaltung bremsen. Ich fühlte mich wie ein Wesen, eingeschlossen in einen Kokon, das seine Bestimmung noch nicht gefunden hatte, das von Mutter Natur einfach vergessen wurde – dahinschlummernd in seiner Unterentwicklung.

      Was brauchte ich, um mich entfalten zu können? Sicher keine keltisch roten Haare, die mir Ralph, gleich zu Beginn unserer Beziehung aufschwatzen wollte, weil ihm mein Naturblond nicht gefiel oder weil er ganz einfach immer etwas auszusetzen hatte an meiner Erscheinung und an meinem Auftreten. Merkwürdig nur, dass er sich selbst blonde Strähnen machen ließ – um wie ein sonnengebleichter Naturbursche auszusehen …?

      Damals wusste ich noch nicht warum er das machte.

      Ich beschloss jetzt weiterzugehen, denn etwas Schweres legte sich auf meine Seele – zu viel grübeln hatte mir noch nie gut getan.

      Zwölftausend Objekte sollten in der ägyptischen Abteilung gelagert sein. Vielleicht weniger davon ausgestellt, denn sonst würde ich den ganzen restlichen Tag hier verbringen – es gefiel mir hier. Ich war in eine andere Welt getreten und genoss die fremdartige Atmosphäre wie andere einen exotischen Urlaubsort.

      Da entdeckte ich etwas in einer Vitrine: Wanddekorationen aus Amarna. Gebrannt und glasiert – leuchtende Fayence-Blumen aus einer versunkenen Stadt – Echnatons Residenzstadt, sie soll einer grünen Oase geglichen haben: Nicht nur Unmengen von lebende Pflanzen haben den Palast und die Bürgerhäuser verschönt, überall waren auch Malereien und keramische Dekorationen in bewegter, naturalistischer Weise an den Mauern der Stadt angebracht. Sie waren so ganz anders als die üblichen ägyptischen Darstellungen, die statisch und nach