Micha Wölfer

Jener Sommer in Wien, als Tutanchamun bei mir wohnte


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…“ Er nannte einen Namen, den ich noch nie gehört hatte, aber es klang wie Amet-mut. Dabei blitzte er mich wieder so erbost aus seinen grafischen Rauchaugen an, als wäre er der Rächer von allen Süßspeisen und Würstchen, die hier in Wien zu Tode gekommen waren.

      Der will mich auf die Rolle nehmen, dachte ich bei mir – und verkündete: „Natürlich, wir wollen die Frankfurter nur als gefüllte Haut, und die Mohren im Hemd“, ich verbesserte mich, „das darf man heute nicht mehr sagen – political correctness – also, die Farbigen im Hemd mit einer ordentlichen Portion Schlag!“ Ich fand mich wirklich widerlich … er mich sicher auch.

      „Wo bin ich da bloß hingeraten!“, entrüstete er sich vollkommen zu Recht und zog die dunklen Augenbrauen zusammen. „Ihr seid ja noch grausamer als das Volk von …“ und nun sagte er etwas, das klang wie Assur. Er sprach zwar, abgesehen von dem undefinierbaren Akzent, gutes Deutsch, aber ich wusste trotzdem nicht, ob ich es richtig verstanden hatte, weil mir dieses Volk gänzlich unbekannt war. Aber das sagte ja nichts … kann ja auch irgendein kleiner Stamm, irgendwo in einem abgeschiedenen Gebirgstal von … vielleicht Äthiopien sein? Nein, Äthiopien nicht, die sind mittlerweile zivilisiert. Vielleicht von Afghanistan … die Taliban? Wahrscheinlich aber spielte er auf die Gräueltaten in Syrien an. Oder meinte er gar die Assyrer?

      Aber er gab mir nicht die Möglichkeit, länger darüber nachzudenken oder ihn einfach zu fragen, was ja das Vernünftigste gewesen wäre, denn er beugte sich nun in seinen Steintrog hinunter, holte eine bunte Ledertasche hervor, legte sich den Trageriemen um eine Schulter und stieg aus seinem Nachtlager – nein: er verließ es mit einem Satz, nur auf eine Hand gestützt, und landete elastisch neben mir auf dem Boden. Der Vorhang rutschte ihm dabei von der anderen Schulter.

      Wenigstens war er nicht ganz nackt, wie schon zu befürchten war, sondern hatte einen knielangen Lendenschurz aus weißem, leinenartigen Gewebe an, der in vielen akkuraten Plissee-Falten gelegt um seine Hüften drapiert war – lediglich gehalten von einer breiten Schärpe. Sie war bestückt mit goldfarbenen Metallblättchen und bunten Einlegearbeiten. Den Anhänger vor seiner glatt rasierten Brust konnte ich nun genauer betrachten: Es war ein dunkelblauer, geflügelter Skarabäus mit einer rotflammenden Scheibe auf dem Kopf, der, wie es schien, geradewegs aus einer türkisgrünen Schale heraushüpfte. Seinen sportlich definierten Bizeps umspannte je ein Oberarmreif, ebenfalls aus goldfarbenem Metall.

      „O nein! – Ein Ägypten-Freak“, murmelte ich zwar gedämpft, aber er zog eine Augenbraue hoch – möglicherweise hatte er meine Einschätzung gehört, stützte wieder die Hände in die Hüften und sprach – es klang gewichtig: „Ich werde jetzt gehen. Dein widerwärtiges Angebot muss ich ablehnen. Vielen Dank!“ So etwas wie Enttäuschung konnte ich gerade noch in seinem Blick lesen, bevor er sich umdrehte und den Saalausgang ansteuerte.

      „Er bewegt sich wie eine Raubkatze“, würde meine Freundin Judith sagen, wenn sie seinen Gang charakterisieren müsste. Bei mir würde die Beschreibung zwar nicht so dramatisch ausfallen, aber ich konnte im Moment auch nichts Besseres heranziehen als einen Vergleich aus der Tierwelt.

      Normalerweise sehe ich Männern nicht nach, und ich habe keinen blassen Schimmer, warum ich es jetzt tat. Dabei fiel mir auf: Er hatte glatt rasierte, wohlgeformten Beine, und seine gepflegten Füße steckten in geflochtenen Leder-Flip-Flops. Ein angenehmer Anblick, den man im Sommer angesichts der vielen hornhautgeplagten Mitbürger selten zu sehen bekommt, wie Wien-Kenner Peter Krobath in einer satirischen Kolumne einmal bemerkte. Denn nicht jeder, der solches Schuhwerk trägt, sollte dies auch tun.

      Der durfte es.

      Es war kaum wahrzunehmen, aber weil ich eine gute Beobachterin war, bemerkte ich an seinen elastischen Bewegungen eine kleine Unregelmäßigkeit: Er setzte den linken Fuß federnder auf als den rechten; das würde auf eine Verletzung hindeuten, die aber augenscheinlich nicht zu erkennen war.

      Jedenfalls strebte er jetzt entschlossen und zielgenau dem Ausgang zu. Der metallbesetzte Gürtel rasselte leise bei jedem seiner Schritte.

      Meine Überlegung war – und ich musste schnell überlegen, bevor er verschwand … aber genau genommen konnte er ja nicht einfach verschwinden, da ich ja den Schlüssel hatte –, dass er vielleicht wirklich noch nie etwas von unseren Nationalspeisen gehört hatte. Vielleicht habe ich den offensichtlich Verwirrten damit noch mehr durcheinandergebracht? Diese Überlegung genügte, um mich sogleich schlecht zu fühlen. Dass er mich möglicherweise nur anführen wollte, sah ich doch als höchst unwahrscheinlich an. Denn sogar ich hatte mir im Laufe der Zeit so einiges an Menschenkenntnis aneignen können und merkte, dass er wirklich bestürzt war; noch dazu: Wer würde schon so ein Angebot ablehnen? Auch wenn mir Ex nun vorhalten würde, ich wäre so naiv wie ein Landei.

      „Wir essen keine Nubier oder Frankfurter Eingeborene“, rief ich ihm hinterher, selbst auf die Gefahr hin, dass ich mich blamierte. „Da ist hauptsächlich Tierfett drin – vom Schwein – in den Frankfurter Würsteln. Die heißen so, weil sie ein Wiener in Frankfurt kreiert hat. Und die dunkle Süßspeise im Hemd ist aus Schokolade, mit viel Obers … Sahne“, korrigierte ich mich. Vielleicht versteht er das besser.

      Abrupt blieb er stehen und drehte sich zu mir um – es sah aus, als überlege er, ob er mir trauen könnte –, dann kam er zögernd auf mich zu. „Ich befinde mich zurzeit in einer Situation, in der ich mir nicht aussuchen kann, was ich zu mir nehme“, sagte er in hoheitsvollem Ton, verhaltener fuhr er dann fort: „Ich nehme dein Angebot gern an und werde die mit Tierfett gefüllte Haut essen.“ Dabei verzog er sein hübsches Gesicht mit der klassisch eleganten Nase zu einer schlimmen Grimasse. Daran war unschwer zu erkennen, dass er wohl Besseres gewohnt war als unsere Nationalspeisen.

      „Natürlich werde ich deine Gastfreundschaft nicht unentlohnt ihn Anspruch nehmen“, meinte er jetzt so geschraubt, als würde er in einem alten Hollywoodfilm mitspielen – mit Liz Taylor versteht sich!

      Er kramte in seiner offenbar tiefgründigen Tasche, wickelte etwas aus, das in einem weißen Tuch verborgen war, und reichte es mir. Es war ein wuchtiger goldfarbener Ring, mit einem Stein, der aussah wie ein echter Lapislazuli. Jedenfalls war der Stein in einem tiefen Blau, mit kleinen goldenen Einschlüssen versehen und hatte, wie auch der Anhänger vor seiner Brust die Form eines Skarabäus. An der einen Seite des Steins war eine kleine stilisierte Barke mit einer silbernen Scheibe und gegenüber prangte ein geflügeltes Wesen. Es sah aus wie ein Falke und war ebenfalls mit einer Scheibe behaftet, die aber in Gold glänzte.

      Ich betrachtete das ungewöhnliche Ding von allen Seiten. Dieses Replikat muss enorm teuer gewesen sein, sicher um die dreihundert Euro, schätzte ich. Es war ein sehr aufwendig gearbeitetes Replikat, das konnte sogar ich als Laie unschwer erkennen.

      „Ist dir dieser recht? Ich kann dir aber auch noch eine von meinen Armspangen überlassen“, bot er an und wollte sie schon vom Arm ziehen.

      „Nein, das kommt gar nicht infrage“, wehrte ich ab und gab ihm den Ring wieder zurück.

      „Mein Versprechen halte ich – du bist natürlich eingeladen.“

      Danke!“ Er lächelte nun und weiße, makellose Zähne blitzten hinter den fein geschnittenen, vollen Lippen hervor.

      „Hast du noch ein anderes Outfit in der Garderobe?“ Meine Frage war sinnlos, denn ich glaubte ohnehin nicht daran … und so war es auch.

      Vor der Tür angekommen zog ich meinen Arbeitsmantel aus – ich hatte ja meine Jeans und ein Shirt darunter an – und reichte ihn meinem spärlich bekleideten Gast.

      „Komm, zieh den an“, sagte ich, „wir sollten kein unnötiges Aufsehen erregen!“

      Ich dachte da an die anderen Kollegen und die Aufseher, die sicher geschmacklose Meldungen schieben würden, wenn sie mich mit einem seltsamen Halbnackten im Schlepptau sehen würden. Nicht dass es mich gestört hätte, wenn die meinen könnten, Freak und Freak gesellt sich gern, aber ich verspürte einfach keine Lust auf eventuell zweideutige Kommentare.

      Er sah mich so verwundert an, als hätte ich ihm ein äußerst kostbares Geschenk, in etwa einen Krönungsmantel überreicht. Dann bedankte er sich gestenreich, in dem