Micha Wölfer

Jener Sommer in Wien, als Tutanchamun bei mir wohnte


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er darauf bestand, einen Dolch zu tragen, den er ebenfalls aus seiner unergründlichen Tasche hervorgezaubert hatte und den er unterhalb des Nabels quer in den Gürtel steckte. Der Knauf der Waffe war falkenköpfig und mit leuchtend türkisenen, dunkelblauen und karneolroten Steinen besetzt. Den Griff schmückten Muster aus Goldgranulat und Bänder mit Ornamenten verschiedenster Blumen, wie Lilien und anderen Pflanzen, die ich nicht identifizieren konnte. Eine gut zwanzig Zentimeter lange Klinge, die bis zu seinem linken Oberschenkel ragte, steckte in einer mit Federornamenten verzierten, in Gold glänzenden Scheide und war umrandet von einem Relief mit jagdlichen Szenen.

      Da ich solch eine Waffe noch nie gesehen hatte – vor allem sah ich noch keine Kopie, die so aufwendig gearbeitet war; nicht einmal in der Kunstkammer der Habsburger lagen annähernd so prunkvolle Arbeiten und die waren immerhin Originale –, starrte ich wie paralysiert auf die Vorderseite seiner Hüfte und konnte meinen Blick nicht lösen.

      „Gefällt er dir?“

      Ich sah auf. „Was …? Wer …?“

      „Na, der Dolch.“

      „Ja … Sicher …“

      „Möchtest du ihn anfassen?“, fragte mein Gegenüber mit einem kleinen Lächeln im Mundwinkel. „Aber Vorsicht! … Seine Klinge ist scharf.“

      „Lieber nicht!“ Verflixt! – Ich wurde rot und drehte mich schnell weg.

      „Gehen wir“, sagte ich.

      „Wie du meinst.“ Er knöpfte den Mantel zu.

      Wieder im großen Treppenhaus angelangt, liefen wir Andreas über den Weg. Der war ein blasierter Kerl. Da er meist bei den Sonderausstellungen Aufsicht schob und daher öfter mal die Gelegenheit hatte, die eine oder andere Prominenz von Angesicht zu erleben, war er gehörig eingebildet. Er kannte jeden. Er zeigte auch jedem, ob der es sehen wollte oder nicht, sein Autogrammbuch mit den Fotos und gab bereitwillig Auskunft, über den oft nicht vorhandenen Kunstverstand seiner berühmten Klientel.

      „Hi, Isa!“, grüßte er und pfiff durch die Vorderzähne. „Hab noch nie gesehen, dass du ohne dein Zelt unterwegs bist!“

      Und damit meinte er meinen großzügigen Malerkittel.

      “Lass dich ansehen – du hast ja Hüfte!“

      Dann bemerkte er meinen Begleiter.

      „He, das muss ja ansteckend sein, habt ihr denselben Schneider oder was?“, gab er dämlich grinsend von sich und verzog sich in Richtung Haupteingang, wo eine Reisegruppe für die nächste Führung Aufstand genommen hatte.

      Blödmann!, dachte ich bei mir.

      „Dieser Mensch ist nicht sehr gebildet“, bemerkte Tut lakonisch.

      Da waren wir uns einig. Auch wenn er es aus einem anderen Grund feststellte.

      Endlich, oben im Café angekommen, hatte es sich mein Gast, angesichts der breiten Auswahl in der Vitrine, überlegt – auch mein: „Ich esse nichts“ ignoriert – und statt der unscheinbaren Frankfurter – auf der Speisekarte stand: Wienerle – für uns einige der lustigen Petits Fours gewählt.

      Die, mit blau, grün, rosa und gelber Zuckerglasur überzogenen Kunstwerke aus Biskuitteig, mit diversen süßen Cremes oder Marzipan gefüllt – mit den an der Spitze angebrachten kandierten Kirschen, Pistazien oder Schokopünktchen –entzückten ihn offensichtlich so sehr, dass er gleich ein Dutzend dieser kleinen Köstlichkeiten bestellte. Besonders die mit der Blattgold-Dekoration fand er außerordentlich einladend, da sie ihn an zu Hause erinnerten, wie er mir gestand. Dazu wählte er Tee.

      Da es keinen mit Koriander und Sternanis und auch keinen mit Kornblumen und Kardamom gab, bestellte er Minze und Kamille, nachher probierte er noch von meiner Heißen Schokolade, weil er so etwas nicht kannte. Was mich bewog Heiße Schokolade zu bestellen, weiß ich nicht. Ich hatte schon seit Jahren keine mehr getrunken, deshalb, weil sie so ekelhaft süß schmeckt.

      Aber gerade die hatte es ihm besonders angetan, und daher orderte er sie auch für sich; aber diesmal mit viel Obers, Zimt und Vanille und mit Honig gesüßt – nicht mit Süßstoff, so wie ich sie nahm, da ich mich noch rechtzeitig einzuschränken wusste. Davon hielt er nichts, denn Pillen seien nur etwas für Kranke.

      Zum Drüberstreuen – und weil es vom Nebentisch so gut herüberduftete – bestellte er für mich den KHM-Toast, weil er der irrigen Ansicht war, ich hätte noch kaum etwas gegessen. Nach anfänglichem Sträuben verdrückte ich also – aber nur ihm zuliebe … Wieso eigentlich? – das gebratene Hühnerfilet, mit Sauce Mornay auf Weißbrot serviert, und musste meine Ansicht gegenüber fettigen Saucen revidieren: Dieses fremdartige Ding schmeckte überraschend köstlich! Währenddessen er mir weitere Petits Fours auf den Teller lud und ich auch noch die picksüßen Bomben wie paralysiert vertilgte, befragte er mich interessiert über meine Tätigkeit im Museum. Ich erzählte ihm selbstverständlich von Tizian und den anderen Renaissance-Malern – ein Spezialgebiet von mir. Dass er eigentlich gern etwas über mich erfahren hätte, wäre mir nie in den Sinn gekommen.

      Erwähnen möchte ich, dass Tut gewiss über seine gefährliche Ausrüstung nachgedacht hatte, denn nachdem er sich in der Runde umsah und nicht nur die Gäste, sondern auch das Personal als harmlos eingestuft hatte, entledigte er sich der mit Griff geschätzten Dreißig-Zentimeter-Waffe unbemerkt unter dem Tisch und verstaute sie in seiner Reisetasche.

      „Den brauche ich hier nicht“, meinte er. Er war sich also mittlerweile sicher, dass ich ihn nicht in eine Spelunke geschleppt hatte, in der man Ortsfremde überwältigt, häutet, um sie den Eingeborenen zum Fraße vorzuwerfen.

      Später, angesichts der unvermeidbar hohen Rechnung, die sicher nach dem Gold-Index berechnet wurde, sagte ich dem Zahlkellner – der mich gottlob kannte –, ich würde dann am folgenden Tag den Rest bezahlen, sobald ich einen Bankomaten geplündert hätte. Er lächelte säuerlich, verlangte aber trotzdem schon sein Geld.

      „Wir geben ihm den Ring“, flüsterte mir Tut verschwörerisch zu.

      „Nein, der will Geld!“

      „Ah ja, Geld! – Ein Mittel, das die Tauschgeschäfte von Naturalien überflüssig macht“, zitierte er wie aus einem Lehrbuch. „Ich finde es aber als nutzlose Einrichtung, ohne bleibenden Wert. Im Übrigen ist Verteilungswirtschaft der Marktwirtschaft vorzuziehen – zum Wohle des Volkes.“

      Ich grinste und sagte zu dem Kellner: „Na sehen Sie, mein Kollege hier …“, und deutete auf den Mann in meinem Arbeitsmantel, „der meint auch, dass Geld keinen Wert hat … Wollen Sie, dass ich Ihnen stattdessen etwas male?“

      Der Mann mit dem Kassenbon zog die Augenbrauen hoch, produzierte Dackelfalten auf der Stirn und selbst das säuerliche Lächeln war verschwunden.

      Warum es bei dieser Art von geldloser Gesellschaft zu keinem Preiswucher kommen kann, wollte er dann von Tut überhaupt nicht mehr hören, denn er zeigte erneut – diesmal sichtlich erbost – die Rechnung vor.

      Ich versicherte ihm, dass es bloß ein Scherz war und dass ich gleich zum nächsten Bankomaten gehen werde. Mein Begleiter würde einstweilen hier warten.

      „In Ordnung.“ Der Kellner verzog sich, murmelte aber im Gehen noch etwas wie Künstlervolk, und das klang eher geringschätzig.

      Beschwörend wandte ich mich an Tut: „Bitte geh hier nicht weg, sonst haben wir das gesamte Kaffeehauspersonal auf den Fersen – ich bin gleich wieder da!“

      Er versprach es, sagte mir aber noch in entschuldigendem Ton: „Normalerweise ist der Pharao für die Verteilung der Güter zuständig. Ich bedaure sehr, dass ich nun mit dieser Tradition brechen muss, aber ich werde mich gewiss, und nicht zu deinem Nachteil, anders revanchieren.“

      Was er damit meinte, das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

      Er winkte einen Ober herbei und bestellte ein neues Schüsselchen mit Wasser, um sich darin die Finger zu baden, genauso wie er es vor dem Essen auch getan hatte. Die Blütenblätter einer Nymphaea