Micha Wölfer

Jener Sommer in Wien, als Tutanchamun bei mir wohnte


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dürfte sie dabei weniger interessant gefunden haben, da sie es mit keinem Wort erwähnte.

      Mein Gegenüber wirkte nun so aufgedreht, als hätte sie Chili geschnupft. Ich sah, dass ihre kleinen Spinnenäderchen am Jochbein stark gerötet waren und sie ihre tägliche Dosis Magnesium wahrscheinlich noch nicht eingenommen hatte, weil ihre Augenlider immer wieder leicht zuckten.

      „Er hat so etwas katzenhaft Mysteriöses“, schwärmte sie nun und verdrehte die Augen. „Und er duftet so gut. Wer hat das kreiert?“ Wieder sah sie mich fragend an, gab sich aber gleich selbst die Antwort, da sie ohnehin überzeugt war, von mir nicht erwarten zu können, dass ich mich mit Parfumeuren auskenne.

      „Das muss etwas von Guerlain sein! – Aber was?“ Sie stutzte. „Hm – vielleicht doch von Tom Ford ? … Nein, die Düfte von dem kenne ich alle. Creed dürfte hinkommen … Vielleicht Millésime Impérial? Hm …“

      Charlotte war verunsichert, aber was sie noch mehr beunruhigte: „Man muss ihm ja alles förmlich aus der Nase ziehen, redet der immer so wenig?“ Sie fixierte mich. „Wie heißt er denn eigentlich? Und woher kennt ihr euch?“ Die Antworten, die er ihr vorenthalten hatte, wollte sie nun von mir.

      Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß auch nichts, eben erst kennengelernt.“ Das war keine Lüge. Dann fügte ich hinzu: „Er ist nicht von da, das hat er eh gesagt.“

      „Ja und?“ Sie kaute nervös an einem ihrer aufgestanzten Fingernägel. „Was gibt es sonst noch über ihn zu sagen?“

      „Nichts.“ Nun log ich wieder, denn ich hatte nicht vor, ihr das sonderbare Abenteuer auf der Herrentoilette zu schildern oder unsere erste Begegnung im Trog preiszugeben.

      Hingebungsvoll rührte sie mit dem Löffel in ihrer Kaffeetasse, als würde sie einen Strudel erzeugen wollen, hielt dann kurz inne und wandte sich wieder an mich. „Hast du gesehen, was für schöne Hände er hat? Lange, elegante Finger, aber doch kräftig … und so sinnliche Lippen … Pfff“, machte sie und ließ genüsslich ihren Atem ausströmen, nahm die Speisekarte und fächerte sich damit kühle Luft zu.

      „Ist mir gar nicht aufgefallen.“

      Sie quittierte es mit: „Wohin schaust du eigentlich?“

      Ich zog eine Schulter hoch: „Auf die allgemeine Erscheinung vielleicht? … Oder auf den Gang?“

      Charlotte beachtete mich nicht weiter, sondern murmelte nun das Wort Bogenschütze gedehnt vor sich hin. Es dürfte sie ziemlich beschäftigen, weil sie sich mit der Karte nachdenklich ans Kinn tippte und wie aus einem Lexikon zitierte: „Hohe Konzentrationsfähigkeit … zielorientiert …“

      „Was meinst du?“

      Anscheinend riss ich sie aus ihren Gedanken, und weil sonst niemand da war, den sie hätte fragen können, fragte sie mich: „Hast du schon einmal etwas mit einem Bogenschützen gehabt?“

      „Nein!“

      Sie machte eine geringschätzige Handbewegung: „Natürlich nicht, hab ich mir eh gedacht.“

      Jetzt kam sie auf den Punkt: „Das sollen tolle Liebhaber sein!“

      „Wieso?“ Irgendwie kam ich mir jetzt wieder dämlich vor, weil ich schon wieder nicht mitreden konnte. Charlotte sah mich mit einem Blick an, den ich nicht zu deuten wusste.

      „Nichts für dich“, gluckste sie. „Du bist ja mit deiner Malerei liiert“, setzte sie noch hinzu und rührte wieder hektisch in ihrer Tasse herum. Der damit erzeugte Ton war unangenehm und nervenaufreibend.

      „Du, Isa“, sagte sie plötzlich und beugte sich nun abrupt zu mir: „Ich habe eine Idee! Ich werde ihn Samstagabend zu einer kleinen Fete bei mir einladen.“ Sie fing zu kichern an, dabei hüpften ihre neuen Silikonmöpse – die bereits wieder um eine Nummer größer waren als die vorherigen – fast aus der Verpackung.

      „Die Party muss ich allerdings erst noch arrangieren.“ Sagte es und fingerte ein iPhone hervor; das mit Swarovskysteinen belegte Etui knallte sie auf den Tisch. „Aber er soll ja nicht im Malerkittel erscheinen. Alles oder nichts soll er anhaben, nur nicht deinen Kittel!“ Sie kicherte wieder, als würde sie über ihren eigenen Wortwitz lachen können. „Ich werde jetzt gleich ein paar Leute anrufen.“

      Selbstverständlich vertippte sie sich dabei und fluchte. Wenigstens schmiss sie das Handy nicht durch den Saal.

      Charlotte, dürfte so um die Dreißig sein, genau konnte man das nicht feststellen, weil sie – wie sie in ihrer naiven Offenheit einmal ausplauderte – seit zehn Jahren botoxt. Das soll hundertpro helfen, um für immer jung auszusehen. Nämlich wenn man botoxt, bevor sich die ersten Mimikfalten einstellen, was ganz wichtig ist!

      Was gibt es noch über sie zu sagen? Sie ist keine, die des Geldes wegen hier malt. Nein, sie tut es, weil ihr langweilig ist und weil sie gern im Mittelpunkt steht – sich gewissermaßen als malende Attraktion im Museum sieht.

      Dabei sonnt sie sich geradezu in den Blicken der männlichen Besucher, und einmal verkündete sie sogar, das Museum müsse ihr dankbar sein, denn seit sie hier sei, wären die Besucherzahlen rasant in die Höhe geschnellt.

      Charlotte lebt bei ihrem Gönner, der sie nach ihrem abgebrochenen Studium an der Kunstakademie bei sich aufgenommen hat. Sozusagen ist sie die Geliebte eines älteren, gut betuchten Unternehmers aus der Textilbranche, der sie als seine Hauskatze hält.

      Wenn er geschäftlich im Ausland weilt, und das kommt oft vor, hütet sie seine Villa in der Vorstadt und hält ihm das Bett warm. Das Geweih, das sie ihm öfter mal aufsetzt, dürfte ihm nichts ausmachen, da er Jäger ist …

      Allerdings erlegt er das Wild nicht mit dem Bogen, sondern mit einer 868er-Steyr-Mannlicher aus dem Geländewagen heraus, nachdem man ihm die Tiere vor die Büchse gescheucht hat, wie böse Zungen behaupten.

      Während Charlotte aufgeregt in ihr Telefon palaverte, sah ich im Augenwinkel, wie der Kellner, mit der Rechnung wedelnd, auf mich zukam.

      „Wir haben Schichtwechsel, darf ich jetzt kassieren?“

      Das war das Stichwort für mich – ich sollte jetzt gehen.

      „Die Prozente fürs Personal sind abgerechnet“, sagte er gnadenvoll und sah mich dabei herablassend an.

      Ich drückte ihm das Geld in die Hand. Charlotte sah auf und verkniff sich nicht zu fragen: „Habt ihr Champagner getrunken oder was?“ Dann verständnislos: “Du zahlst?“ Dabei bedachte sie mich mit einem Blick, der besagte: Die muss mit dem Kopf wo angestoßen sein.

      Ich stand auf, nickte Charlotte zur Verabschiedung kurz zu und ging. Sie rief mir hinterher: „Du kannst auch kommen, wenn du willst, aber zieh dir andere Klamotten an … Fritzi mag keine Farbflecken auf seinen Sofas!“

      „Danke, für die Einladung“, murmelte ich, meinte aber: Ich komme sicher nicht!

      Habe ich es noch nicht erwähnt, dass jener Fritzi es war, der mich als unnahbare Göttin Diana einstufte und mir den Vorschlag machte, in dem absurden Aufzug seinen Jagdköter zu malen? – Charlotte verriet ich natürlich nichts davon.

      Tut dürfte es sich auch anders überlegt haben, denn er war erst gar nicht mehr zu unserem Tisch zurückgekehrt, sodass ich annahm, er hätte sein Tief, oder was immer das war, überwunden und wäre nach Hause gegangen, wo immer das auch sein mochte. Ich hoffte nur, dass er mir irgendwann einmal meinen Mantel zurückbringen würde.

      Das also war mein Ausflug in andere Bereiche des Museums – verwirrend und chaotisch! Ich ging zu meinem Arbeitsplatz in Saal I in meine, mir gewohnte Umgebung; alltäglich zwar, aber jetzt doch irgendwie nervenberuhigend langweilig und unspektakulär. Dort betrachtete ich das fragmentarische Konterfei der Schönen. Sie sah aus, wie ich mich fühlte: leer – und matt.

      Im Raum war es heller geworden, durch das Deckenfenster drang jetzt mehr Licht. Aber ich war emotional zu erschöpft, um einfach weitermalen zu können; packte daher meine Sachen zusammen, verstaute die Staffelei,