Micha Wölfer

Jener Sommer in Wien, als Tutanchamun bei mir wohnte


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davor. Der weite Kittel reichte ihm nur bis knapp unter die Knie und endete in einer ausladenden Glockenform. So nahm ich meinen Mantel noch nie wahr, so … abgefahren! Irgendwie sah er jetzt aus wie Gustav Klimt im Nachthemd von Emilie Flöge. Zumindest ab dem Hals abwärts. Ich konnte ein Lachen nur mühsam unterdrücken.

      „Steht dir gut“, meinte ich trocken.

      „Danke!“, sagte er und sogleich straffte sich seine Gestalt: „Du musst mir meine Unhöflichkeit verzeihen, ich habe mich noch nicht vorgestellt.“ Er schlug sich mit der rechten Faust an die Brust und deutete wieder eine Verbeugung an, die ein wenig linkisch ausfiel, als wäre er es nicht gewohnt, sich zu verneigen.

      „Ni‘ib-chefre-Re, Ka-nechet-tawata-masawat, Nefer-chepawa-segerach-tauri …“, und knüpfte noch ein Etcetera an. Vermutlich hatte er noch ein paar Namen, die er aber nicht alle aufzählen wollte, vielleicht um mich nicht zu langweilen. Und dabei war er aber noch nicht fertig. „Wetes-chawa-sa-hetep-natchawa, Wetes-chawa-jat-if-Re“, fuhr er fort und machte bei Re ein Zeichen in die Luft, als würde er jemanden grüßen wollen. Schließlich endete er mit etwas, was sich anhörte wie: Tawata-anch-Jamanou.

      „In der konstruierten Lehrbuchaussprache deiner Kultur: Tutanchamun“, fügte er hinzu. Daraufhin legte er den Kopf ein wenig schief, denn er musste mein entgeistertes Mienenspiel wahrgenommen haben, das bei mir auch immer mit einem halb geöffneten Mund einhergeht, und fragte charmant: „Soll ich dir alles übersetzen?“

      Ich schüttelte den Kopf. „Mach dir nicht die Mühe – vielen Dank!“

      „Auch gut. Du darfst mich aber Tut nennen – wenn du möchtest.“

      „Freut mich, ich heiße Isa.“

      „So wie Isis?“ Er wirkte plötzlich irritiert.

      „Nein, nur Isa“, entgegnete ich. „Und wie lautet dein richtiger Name?“

      Verständnislos sah er mich an.

      „Ist schon okay, Tut“, sagte ich.

      Ist wirklich ein Freak, dachte ich.

      Zugegeben, einen kauzigen Sonderling stellt man sich anders vor, in etwa wie Cousin Flori, mit seinem ungepflegten Äußeren, der schon seit Äonen Astrophysik studiert, aber am liebsten Ufologe wäre. Das erkennt man gleich an seinen Star-Treck-Shirts, die bereits um die Taille spannen, und an seinen abgetretenen Military-Stiefeln, in denen er ungezwungen durchs Leben schlurft. Hochintelligent zwar, aber in seiner eigenen verschrobenen Welt gefangen, und nichts aus sich macht, nur seinen Eltern in der Tasche liegt.

      Der hier war eine imposante Erscheinung, um nicht zu sagen ein Eye Candy.

      Mittelgroß, schlank, muskulös, aber nicht so übertrieben, wie man es von proteinfutternden Athleten gewohnt ist – nur so viel, dass man ahnen konnte, er betreibt regelmäßig Sport. Und er war gepflegt: vom Scheitel bis zu den offensichtlich manikürten Zehennägeln. Von meiner Großtante, die auf die hundert zuging, wusste ich, dass es in ihrer Jugendzeit und früher üblich war, eine Art Wildlederfeile zu benutzen, um sich damit die Hand- und Zehennägel zu polieren, bis sie so glänzten, wie die von meinem Gegenüber. Heute wird dieses Ritual nur noch von besonders gepflegten Personen vollzogen.

      Keineswegs aber wirkte er gelackt oder etwa unmännlich – im Gegenteil … abgesehen von dem Augen-Make-Up, das ihm aber eigentümlich gut stand. Es umrahmte mit mystischem Dunkel seine leicht mandelförmig geschnittenen Augen und war zum äußeren Augenwinkel hin etwas verlängert. Es verlieh seinem Blick etwas … Unergründliches.

      An der Bemalung lag es nicht, was seinen Augen auch etwas Gewisses, ja kaum zu Beschreibendes gab. Sie waren von einer Schwermut umschattet, wie man sie in jungen Augen selten findet; nur in solchen, die schon viel gesehen haben, aber nicht so viel sehen wollten.

      Darüber aber machte ich mir im Augenblick noch keine Gedanken. Ich fand den Typen einfach originell. Zwar sonderbar – aber originell!

      Es war höchste Zeit zu gehen, denn Hubert drückte die Nase bereits an die Glasscheibe der Eingangstüre und klopfte hektisch an die Scheibe. Ich sperrte ihm auf. Er erkannte die Situation sofort, riss die Türe auf und brüllte:

      “Was macht der Vorhang da?“

      „Welcher Vorhang?“ Ich stellte mich vorsichtshalber unwissend.

      „Der Vorhang von Saal II !“Er deutete in den Raum hinein.

      Ich drehte mich um. Da lag die Fensterverdunkelung wie das Bahrtuch des auferstandenen Christus über den Rand des Steinsarkophags drapiert, und wand sich in einer langen Schleppe zu Boden.

      „Hab‘ gedacht, das gehört so“, und zuckte mit den Schultern. „Sieht schräg aus!“

      „Ich brauche eine Leiter“, raunzte er in sein Sprechgerät und wischte sich über den schütteren Haaransatz, an dem sich deutlich Schweißperlen bildeten.

      Erstaunlich war: Hubert hatte in seinem Schrecken über den Vorhang, offenbar gar nicht bemerkt, dass noch ein Gast aus seiner, ihm anvertrauten Abteilung hinausspazierte. Die Tarnung war perfekt, ich fiel in meinem Mantel ja auch niemandem auf.

      „Komm, wir gehen!“ Ich packte meinen seltsamen Begleiter am Arm, und rollte ihm dabei noch schnell die Ärmel hinunter, die ich immer hochgekrempelt trug, weil sie mir zu lang waren; nun verschwanden die Armreifen gänzlich darunter.

      „Ist besser so“, meinte ich. „Hier geht es hoch.“ Ich deutete Richtung Treppe. „In der oberen Galerie kenne ich ein gemütliches Wiener Kaffeehaus, von da hat man einen tollen Blick über die Altstadt. Das wird dir gefallen.“

      Meine edelmütige Absicht war, ihn erst mal durchzufüttern, vielleicht klärt sich dann sein Geist ein wenig und ich erfahre ganz nebenbei ob er es war, der im Mumiendepot den Alarm ausgelöst hat; und ob er der verhinderte Barde war, der gestern im Hof vor mir geflüchtet war. Ob er auch dem antiken Horemhab einen Sack über die unangenehme Visage gezogen hat, und für das Graffiti verantwortlich war, das möchte ich besser nicht wissen. Make-Up an antiken Fassaden anzubringen ist sicher ein ungleich schwereres Delikt als einfach eine Gemeindebau-Hauswand zu verschönern. Wenn ich davon nichts weiß, kann man mich auch nicht ausquetschen. Nicht, dass ich unserer Polizei zutrauen würde, Mitwisser zu foltern um an Informationen zu gelangen, wie in den Vereinigten Staaten möglicherweise Gang und Gebe, aber …

      Er unterbrach meinen kopfwehträchtigen Gedankenfluss.

      „Warte!“, sagte er und blieb auf der Treppe stehen. „Ich muss zuerst meine Waschungen vollziehen.“

      „Ah ja, das Herren-WC ist da drüben.“ Ich deutete auf die große Holztür im Mezzanin. „Da, wo das Männchen drauf ist“, sagte ich und grinste dabei ein wenig schief.

      War ich jetzt ironisch? Oder gar unverschämt?

      „Ich habe eure Bilderschrift bereits enträtselt, aber trotzdem: danke“, meinte er höflich. Daraus schloss ich, dass er nicht beleidigt war. Er verschwand hinter der Tür und ich setzte mich einstweilen auf die Stufen und wartete …

      Eine Ewigkeit und länger.

      Vielleicht ist er abgehauen? – kam mir flüchtig in den Sinn. Aber ich fixierte trotzdem weiter die Türe. Wo soll er denn hin? – im Klo gibt es keine Fenster. Also wartete ich.

      Wenig später ging ein Besucher hinein … und kam bald darauf mit einem irritierten Gesichtsausdruck und nassen Schuhen heraus, die er sich am bodenlangen Vorhang vom Eingang der Sonderausstellung ausgiebig abwischte. Dabei konnte ich aufschnappen, was er zu seiner Begleiterin, die im Treppenhaus auf ihn wartete, sagte, denn das war nicht zu überhören.

      „Da drinnen ist ein Typ – im Vorraum vom Klo“, er deutete hinter sich, „der steht splitternackt beim Handwaschbecken und wäscht sich von Kopf bis Fuß! Ich schätze, die Putzfrau wird keine Freude haben, weil sich bereits ein Teich gebildet hat. Der Kerl gießt sich mit einer Schale das Wasser nur so über. Und aus dem Seifenspender kommt auch nichts mehr raus, weil der Irre alles verbraucht hat!“

      Der