Micha Wölfer

Jener Sommer in Wien, als Tutanchamun bei mir wohnte


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      Er unterbrach mich: „Steht die Sonne schon im Zenit?“, fragte er und blickte sich hektisch um, als würde er ein Fenster suchen, aus dem er sich in einer Verzweiflungstat gleich hinausstürzen könnte.

      „Was meinst du?“

      „Ist es schon Mittag?“

      Ich holte mein Handy aus der Hosentasche. „Nein, grad mal zehn Uhr.“

      „Das ist gut, da habe ich noch etwas Zeit, um es zu tun.“

      Mehr sagte er nicht, aber er dürfte sich wieder einigermaßen gefasst haben, weil er nun in Ruhe begann, die Sachen in seiner Tasche zu sortieren – ich hatte ja einige Unordnung hineingebracht – und drapierte seinen weißen Plissee-Lendenschurz, der ein paar zusätzliche Falten abbekommen hatte, über eine Staffelei.

      „Um was zu tun?“

      „Rechtzeitig mit dem passenden Ritual zu beginnen … wenn die Sonne am höchsten steht, das ist sehr wichtig. Man zählt auf mich!“

      „Aha! Wer denn?“

      „Na, mein Volk“, gab er mir zur Antwort, als wäre das die natürlichste Sache der Welt, und fuhr fort in seiner Tätigkeit, die Plisseefalten mit den Fingern zu ordnen.

      „Dein Volk?“

      Er sah mich an, als wäre ich die Einzige auf der Welt, die keine Ahnung hatte, um was es eigentlich geht. Genau genommen hatte ich auch keine Ahnung.

      Daraufhin erklärte er es mir in einfachen Worten. Vielleicht zweifelte er an meiner Auffassungsgabe.

      „Der Pharao …“, sagte er und deutete dabei würdevoll auf seine Brust, „ist eng verknüpft mit dem Schicksal seines Volkes. Er ist der Garant für die kosmische Ordnung, und deshalb hat er auch dafür Sorge zu tragen, dass die Sonne wieder aufgeht – und das jeden Tag. Die Untertanen würden Hunger leiden, wenn die Sonne in der Unterwelt verharren würde.“

      Ich nickte, als hätte ich alles kapiert, was ihn veranlasste, in seiner Schilderung fortzufahren.

      „Daher wäre der Pharao ein elender Pharao, wenn er sein Volk im Stich lassen würde.“

      „Alles klar.“ Ich nickte wieder.

      „Und darüber hinaus ist es die oberste und heiligste Aufgabe eines Königs, seinem Volke zu dienen.“

      Das hatte ich jetzt nicht ganz verstanden und bekundete dies auch. „Aha … aber … ich dachte immer, das Volk dient dem König?“

      „Das ist eine irrige Anschauung. Das wäre ein unwürdiger König, würde er diesem Grundsatz allein huldigen, denn der Staat ist eine große Gemeinschaft, und da gilt es: Willst du ein Herrscher sein, musst du auch dienen können.“

      „Clairvaux-Zitat“, sagte ich. Endlich konnte ich auch mein Wissen einbringen. Wer will denn schon für gänzlich dämlich gehalten werden?

      „Ja richtig! Zisterzienser-Abt.“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Aber die Lehre ist eigentlich viel älter.“

      Weiter wollte er nicht darauf eingehen, sondern nahm aus seinem Lederbeutel den Gegenstand heraus, den er als sein Salbengefäß bezeichnet hatte, öffnete einen der zwei Verschlüsse und kippte etwas von dem Inhalt – eine grünlich durchsichtige Flüssigkeit – in seine hohle Hand. Dabei murmelte er etwas von: „Sehr kalkhaltiges Wasser in Wien“ und kippte auch noch ein wenig aus der anderen Kartusche dazu.

      Meinen Malermantel hatte er bereits wieder abgelegt und begann nun –bedächtig, wie in Trance –, seinen gesamten Körper vom Hals abwärts damit einzureiben. Er machte eine Zeremonie daraus und ließ keinen Körperteil aus. Ich versuchte, dezent wegzusehen, denn für mich war Freikörperkultur nicht so selbstverständlich, wie das anscheinend für ihn der Fall war.

      In dem kleinen Abstellraum roch es bald wie in einem exotischen Parfumladen: Vorherrschend nach Kräutern und Blumen, aber es war auch eine mir unbekannte, extravagante Duftnote dabei – warm und tief. Mir wurde ganz schwindelig.

      Im Geiste hörte ich Tante Nora sprechen – sie war eigentlich nicht meine Tante, aber alle, die sie mochte, durften sie so nennen –, und ich musste mich arg zusammenreißen, um nicht vor Lachen loszubrüllen, weil ich mich an einen ihrer gut gemeinten Ratschläge erinnerte: „Kind“, sagte sie einmal, „wenn du einen Mann findest, der länger im Bad braucht als du, dann heirate ihn!“ Sie war immer besorgt um mich und hatte sicher Angst, ich würde mich eines Tages wie Gammel-Flori entwickeln.

      Diese Gefahr sah ich zwar nicht, ertappte mich aber hin und wieder dabei, verwundert zu registrieren, dass meine Kleidung nicht gerade mein – wie man mir sagte – recht hübsches Äußeres vorteilhaft unterstrich. Meist trug ich burschikose, abgewetzte Unisex-Jeans und dazu legere Öko-Baumwoll-T-Shirts von H§M, die hatte ich jedoch in allen Bio-Farben. Aber frisch gewaschen war alles, auch ich – da war ich penibel. Aber Nora meinte es sicher nur prophylaktisch – man kennt ja die Entwicklung eines Menschen nicht, der sich so zurückzog, wie ich es seit zwei Jahren tat.

      „Du hast deine Weiblichkeit noch nicht entdeckt“, äußerte Ralph, mein Ex, einmal und verordnete mir Nachhilfe in femininem Auftreten, oder was er sich darunter vorstellte. In den Klamotten, die er mir damals kaufte, sah ich aus wie meine 40-jährige Tante Irmgard, wenn sie ins Chattanooga auf Aufriss ging. Dann meinte er, dass ich mein langes Haar, das in seiner Formulierung: schnurgerade herunterfällt, wie ein trister Salzburger Regenschauer, kürzer tragen sollte, und auch nicht einfach in einem Zopf nach hinten geflochten, wie die Resl von der Alm, sondern in eleganter einwärts geföhnter Welle – die, jeden Morgen neu gelegt, das Gesicht umschmeicheln sollte.

      Von einem Stadtfriseur ließ er an mir das, was ihm so vorschwebte anfertigen, mit dem Resultat, dass ich am nächsten Tag meinen Zopf wieder trug, der nun einfach kürzer war – und meine eigenen Klamotten.

      Sein Experiment, aus mir eine Frau nach seinen Vorstellungen zu machen, war gehörig fehlgeschlagen. Ich habe eben meinen eigenen Stil: praktisch und unkompliziert … also eher schlicht, oder fad, wie er meinte.

      An dem Tag, als ich Ralph das Ei auf die Stirn klebte und anschließend ins andere Zimmer lief, um meine Sachen zu packen, rief er mir noch hinterher: „Mit dir hält es ohnehin kein Mann aus, du bist sarkastisch, ein verklemmter Frustbolzen und ein Orgasmus-unfähiger Control-Freak. Und zu allem Überfluss kommst du daher wie eine Vogelscheuche. Eines Tages“, so prophezeite er mir, „wirst du als verhärmte, schrullige Alte enden …Nicht einmal mit deiner Großtante Fanny wirst du dich dann vergleichen können, denn die war zumindest in ihrer Jugend eine strahlende Erscheinung – lieblich und charmant!“

      Woher er das von Fanny wusste, weiß ich nicht. Jedenfalls waren die an mich gerichteten Vorwürfe harte Bandagen, und hätte ich nicht ein wenig Wahrheit darin erkennen können, hätte ich sie längst vergessen oder abgetan als unqualifizierte Äußerung eines in seiner männlichen Ehre gekränkten Liebhabers.

      „Vielleicht bin ich wirklich ein Kotzbrocken, ohne jede weibliche Anmut und Liebreiz“, spukte es manchmal in meinem Kopf herum und machte mich ein wenig verdrossen.

      „Wir können gehen!“

      Ich schreckte aus meiner Grübelei hoch. Tut war fertig und stand bereits angezogen vor mir. Er wirkte nun zufriedener. Das große Augen-Make-up hatte er reduziert, nur mehr ein dünner Strich von nachtdunklem Kajal war zu ahnen. Sein Haar – schwarz glänzend wie Rabenschwingen – hatte er straff nach hinten gekämmt und im Nacken zusammengebunden. Unter meinem Malerkittel trug er wieder den bis zu den Kniekehlen reichenden, fast durchscheinenden, blütenweißen Lendenschurz – vorn in Tulpenform auseinanderklaffend –, gehalten von der kostbar wirkenden Schärpe, deren Bänder die Vorderansicht verhüllte. Darunter eine Art Kilt, der war nicht durchsichtig. Gottlob!

      Die lange Halskette mit dem blauen Skarabäus, der aus der Schale hüpft, hatte er angelegt, nur die Armbänder verstaute er nun in seinem Jagdbeutel. Zuvor aber wickelte er jedes Stück einzeln und gewissenhaft in ein weißes Tuch, als wären es Kronjuwelen.

      „Diese