Micha Wölfer

Jener Sommer in Wien, als Tutanchamun bei mir wohnte


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ich zu dem da drin gehören könnte?

      Ich wartete noch, bis die beiden abgezogen waren und klopfte dann verhalten an die große Eichentüre, wo das Männchen drauf ist.

      „TUT!“, – wie sollte ich ihn sonst nennen? – „Was machst du da?“

      Nichts rührte sich, nur das Rieseln von einem offenen Wasserhahn war zu hören und dann ein Plätschern als wäre hinter dem Eingang ein Wasserfall. Verflixt!, dachte ich, drückte die Klinke hinunter und machte die Tür eine Handbreite auf.

      Da stand er in voller Pracht, im großzügigen Waschraum des Museums und bis zu den Fußknöcheln im Seifenschaum. Eine riesige Pfütze Wasser ringsherum, und mit über den Kopf ausgestreckten Armen schüttete er aus einer mittelgroßen Schale weiteres Wasser über seinen Körper.

      „Ähm!“, räusperte ich mich kurz.

      Er nahm mich nun wahr. Seine Nacktheit vor mir schien ihm keineswegs peinlich zu sein.

      „Bei Aton, hier gibt es warmes Wasser, ich habe schon befürchtet, dass ich mich kalt waschen müsste, so wie bei den Barbaren in Kusch …“ Er nannte noch einen weiteren, mir ebenfalls unbekannten Ort, der so klang wie Napata.

      „Komm sofort raus!“, rief ich ihm aufgeregt zu, „bevor wir hier wirklich noch großen Ärger bekommen.“

      Wieso eigentlich wir?, schoss es mir durch den Kopf. Lass ihn doch einfach hier stehen und überlass ihn seinem eigenen Schicksal. Was geht er mich eigentlich an?

      Aber irgendwie verspürte ich so etwas wie Mitleid. Ihn bedrückte etwas, das war nicht zu übersehen. Als wir die Treppe hoch gingen, hielt er manchmal inne, griff sich an die Stirn, schüttelte dabei den Kopf und wirkte dabei so verloren und eigentümlich desorientiert, als wäre er ein Küken, das eben erst aus dem Ei geschlüpft war. Mein Beschützerinstinkt war erwacht, und gegen den konnte ich sowieso nie etwas ausrichten.

      „Warte“, sagte er, „ich muss mich noch salben. Würdest du mir bitte das Gefäß aus meiner Tasche reichen?“

      Sie hing zwei Meter nach der Tür. Auch meinen Arbeitskittel und seinen Lendenschurz hatte er hier sorgsam über einen Wandhacken drapiert.

      Würde ich seiner Bitte tatsächlich nachkommen und in den See steigen? Nein, das war zu viel verlangt! Drei Sekunden später – ich konnte es nicht fassen – tat ich es! Nur gut, dass ich meine Crocs an den Füßen hatte!

      Das Ding ähnelte einer Satteltasche und war aufwendig mit vielen bunten Perlen bestickt. Stilisierte Pflanzen und Tiermotive, auch ein Wagenlenker war abgebildet, der spannte einen Bogen und legte mit dem Pfeil auf eine große Katze an, nein – einen Löwen!

      Tolle Arbeit! Vermutlich aus einem Dritte-Welt-Laden. Ich schlug den Überwurf der Tasche zurück. Im Innern befanden sich allerlei, sorgfältig in Tücher gewickelte, kleinere und größere Dinge. Auch eine Art Trichter mit einem dünnen Stiel, ähnlich einer altertümlichen Posaune, lag über der gesamten Breitseite der Tasche. Ein Duft von Harzen und Kräutern stieg in meine Nase.

      „Das große, eckige, schwere Ding“, wies er mich an.

      Durch sein Gewicht war es ganz zum Boden der Tasche gerutscht. Ich wickelte es aus. Zum Vorschein kam ein prächtiges, mit Deckel versehenes Gefäß aus schwerem, goldfarbenem Metall. Auf beiden Seiten hockte eine Gestalt in bunter Glaseinlegearbeit und hatte einen gefächerten Lendenschurz um die Hüften und eine Kopfbedeckung, wie es Pharaonen auf alten Abbildungen tragen. Die beiden Figuren waren spiegelverkehrt angebracht. Der eine hatte ein dunkles, der andere ein helles Gesicht.

      „Darin sind meine Tages- und Nachtbalsame aufbewahrt“, klärte er mich auf.

      Mein sonderbarer Gast hatte mittlerweile den Handtuchspender mit ein paar gezielten Griffen zerlegt, wickelte das Stofftuch, das ich auf gut zehn Meter Länge schätzte, herunter und begann sich damit trocken zu reiben.

      „Die Reinigungspaste hier“, bemerkte er und zeigte auf die leere Seifenkartusche neben dem Waschtisch, „hat einen etwas merkwürdigen Geruch. Verzeihung! Ich hatte nicht vor, über Nacht von zu Hause wegzubleiben, sonst hätte ich meine eigene mitgebracht.“ Er hielt inne und plötzlich veränderte sich seine Miene, er wirkte auf einmal sehr abgespannt. „Es ist nämlich etwas Schreckliches passiert“, fuhr er fort, griff sich an die Brust, als wollte er fühlen, ob er noch einen Herzschlag hatte, und stöhnte laut auf: „Ich habe meinen Ba verloren!“

      „Deinen was …?“

      „Meinen Ba!“, Jetzt verlor er die Fassung, bedeckte die Augen mit beiden Händen und begann ein lautes Lamento in einer Sprache, die ich nirgendwo einordnen konnte.

      Ich wollte ihn beschwichtigen, aber dafür erschien mir die Zeit zu knapp. Jeden Moment könnte die Türe aufgehen und ein Mensch hereinkommen, dem ich die seltsame Situation beim besten Willen nicht erklären konnte und auch nicht wollte.

      Aber eines war nun gewiss: Tut, wie er sich selbst nannte, war in Schwierigkeiten, oder bildete es sich zumindest ein. Was ziemlich genauso schrecklich für ihn sein musste.

      Was ein „Ba“ ist, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, und das war gut so. Denn wenn ich es gewusst hätte, wäre ich damals so schnell wie möglich getürmt, und zwar ohne ihn; denn ich hätte niemals zugelassen, dass sich meine, bis dahin halbwegs geordnete Welt veränderte. Dass es aber bereits zu spät war und mein Leben sich dramatisch zu wandeln begann, kann ich nur im Rückblick erkennen und als schicksalhaft bezeichnen.

      Im Moment aber war nur wichtig, ihn aus dem Waschraum zu lotsen, bevor wir beide – davon dann am Schlimmsten betroffen natürlich ich – Hausverbot bekamen.

      Ich nahm seine Tasche vom Haken, packte den Anhänger, den er abgelegt hatte, und auch die Armreifen, das Salbengefäß und den Lendenschurz – eigentlich waren es zwei Tücher – samt Metall besetztem Gürtel, stopfte alles in den Beutel, auch die Schale, weil ich mir sicher war, das Ding aus Alabaster gehörte nicht zum Inventar der Toilettenräume des Museums. Ob woanders ins Museum, hoffte ich zumindest nicht.

      Die Tasche war nun ausgestopft wie ein lederner Medizinball. Ich reichte ihm seine Sandalen und half ihm, meinen Malermantel anzuziehen, denn er wirkte nun vollkommen apathisch und ließ es sogar geschehen, dass ich ihn am Arm packte und aus dem überfluteten Raum zog. Von der angrenzenden Nebentüre wusste ich, sie führt zu einer kleinen Kammer.

      „Schnell rein da!“ sagte ich und schubste ihn durch die Öffnung, schloss die Tür hinter uns und drehte das Licht an.

      In diesem fensterlosen Magazin waren schon seit ewigen Zeiten große Staffeleien abgestellt und auch dunkel gebeizte Malkästchen auf ihren hohen, rachitischen Holzbeinen. Diese sperrigen Ungetüme bekamen wir Kopisten vom Museum zur Verfügung gestellt. Sie hatten schon Generationen von Malern geduldig gedient, und das sah man ihnen auch an.

      Mein Schützling verharrte bewegungslos, ich führte ihn daher wie einen Blinden zu einem Malerhocker, drückte ihn darauf nieder und rückte einen zweiten zurecht, auf den ich mich setzte – ihm gegenüber. Er hielt sich wieder die Hände vor die Augen und murmelte unverständliche Worte.

      „Was bedrückt dich, willst du es mir erzählen?“, fragte ich, um ihn aus seiner autistischen Abwesenheit zu locken. Es war offensichtlich, dass dieser Typ schwer traumatisiert war, und eine Diagnose hielt ich auch gleich parat: Möglicherweise hatte er an einer Rückführungs-Seance bei einem Esoterik-Quacksalber teilgenommen, der ihm einredete, früher mal der goldlastige Pharao gewesen zu sein; und nun – davon hört man ja öfter – erlitt er durch die Hypnose einen leichten, oder eher: mittelschweren Dachschaden. „Tutanchamun“, fügte ich dann noch hinzu und versuchte es in seiner Aussprache: Tawata-anch-Jamanou. Vielleicht freut es ihn, wenn ich vorgebe, ihn ernst zu nehmen.

      Er hob den Kopf. „Man spricht das w wie im englischen wow aus, also nicht so hart. Das Ganze soll eher so klingen wie der arabische Name Daoud; und das Anch mit einem rachigen ch wie im deutschen ach“, betonte er eindringlich. „Denn einen Namen richtig aussprechen ist enorm wichtig!“