Micha Wölfer

Jener Sommer in Wien, als Tutanchamun bei mir wohnte


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daher ging ich nur ins Untergeschoss zu der netten Garderobiere, die sich immer nach dem Fortschreiten meines Ölschinkens erkundigte, und bat sie, mir die restlichen 50 auf die 85 Euro der Rechnung zu leihen.

      Sie tat es bereitwillig, bedachte aber den Pächter des Cafés nebenbei als Halsabschneider und das noble Etablissement als Touristenfalle. Natürlich verschwieg ich ihr das konsumierte Blattgold, um nicht als versnobt zu gelten.

      Erleichtert lief ich die Treppe zum Café hoch – und traute meinen Augen nicht: Auf meinem Sessel saß Charlotte! Ich erkannte sie bereits von hinten. Und das nicht nur an ihrer Haartracht, die sie seit Kurzem in Fuchsrot trug, sondern insbesondere daran, dass niemand sonst außer ihr die Courage hat, sich mir nicht dir nichts an einen belegten Platz zu setzen, obwohl es noch reichlich Auswahl an freien Tischen gab.

      „Ah, hallo Isa?!“ Sie setzte einen überraschten Ausdruck auf. „Ich habe mich gerade mit unserem Kollegen unterhalten wollen“, sagte sie gedehnt und funkelte Tut mit ihren graublauen Augen an. Ihre Pupillen waren erweitert, und daran merkte ich gleich, was in ihr vorging. Nur widerwillig stand sie auf und überließ mir den Platz, als ich andeutete, dass dies mein Sessel sei.

      „Er hat mir noch nicht viel erzählt“, säuselte sie kokett, stellte sich dann neben ihn und nestelte mit ihren langen Fingernägeln, die sie an diesem Tag in Aubergine trug, an Tuts bzw. meinem Arbeitsmantelkragen herum, klappte schnell das angesteckte Kärtchen um, zumal sie wohl dachte, es wäre seines.

      Enttäuscht zog sie die Finger zurück, da stand ja nur … mein Name: Isa Lindenbaum – Kopistin. Sie blickte mich verdutzt an.

      „Ich hab ihm meinen Mantel geborgt, weil … weil ich mit meiner Farbpalette … natürlich völlig unabsichtlich, seine Klamotten streifte“, log ich rasch, noch bevor sie Fragen stellen konnte. „Seine Sachen lasse ich von der Reinigung…“ Das schien sie jedoch nicht die Bohne zu interessieren, denn sie hatte ihre ganze Aufmerksamkeit wieder voll und ganz ihm zugewandt.

      „Sie sind kein Maler?“

      „Nein.“

      „Sind Sie Besucher?“

      „Ja … so könnte man es nennen.“

      „Oh!“ Sie klang irritiert. „Sie sehen aber aus wie ein Künstler.“

      Gleich springt ihm die rollige Katze auf den Schoß, dachte ich. Doch stattdessen rief sie nach dem Kellner, ließ sich einen Sessel bringen, bestellte Café Coretto und – ließ nicht locker.

      „Studieren Sie?“

      „Gewissermaßen.“

      „Und was?“

      „Zur Zeit, die Sitten und Gebräuche fremder Kulturen“, antwortete er einsilbig.

      Wieder dieses überraschte „Oh!“, denn damit wusste sie offenbar nichts anzufangen. Und ihr fiel wohl auch sonst nichts ein, was sie ihn über dieses Studium hätte befragen sollen, denn sie wurde persönlicher.

      „Wo sind Sie denn geboren?“ Sie rutschte an die Sesselkante und somit näher an ihn heran.

      „Achatjati“, antwortete er in seiner weichen Aussprache und verschränkte die Arme vor der Brust.

      „Aha! – Und wo ist das?“

      „Kemet.“

      „Aah!“ Sie tat, als wüsste sie, wo das ist. An ihrer Mimik las ich aber, dass sie keine Ahnung hatte. Ich wusste es übrigens auch nicht, dachte nur verärgert, dass ich ihn ja auch schon danach hätte fragen können. Aber irgendwie verpasste ich die rechte Gelegenheit. Außerdem wartete ich darauf, dass er es von sich aus erzählen würde. Ich war eben immer schon zurückhaltend.

      „Mit deiner Einstellung kommt man zu nichts“, klärte mich Charlotte einmal auf. Aber da ging es um etwas anderes.

      Sie allerdings erfuhr, dass er unsere Sprache studierte, viele germanische und romanische Sprachen spricht sowie auch arabische Dialekte und sich seit Kurzem sogar mit Ladinisch beschäftigt.

      Ergo dachte ich mir, dass er nach der Fülle seiner Studien mindestens ein Genie oder bereits ein Methusalem sein müsste. Charlotte hingegen, ging fast in die Knie vor Bewunderung. Wozu er diese umfangreichen Sprachkenntnisse denn brauche, wollte sie wissen.

      „Ich benötige das für meine Aufgabe.“

      Welcher Art seine Aufgabe war, darauf ging er nicht ein, nur dass es etwas mit Museen zu tun habe und um sich darin zurechtzufinden. Ich konnte daher nur annehmen, dass er Museen-Sightseeing unternimmt – vielleicht zu Studienzwecken? Womöglich rund um den Erdball? Nachfragen wollte ich nicht, weil er mir nicht den Eindruck erweckte, dass es ihm Vergnügen bereite, danach gefragt zu werden. Aber nähere Details waren Charlotte ohnehin weniger wichtig als etwas Bestimmtes.

      „Machen Sie denn auch noch etwas anderes, als immer nur zu studieren?“

      Sie meinte damit, ob er am gesellschaftlichen Leben teilnehme, denn danach beurteilt sie alle Menschen. Wenn einer da nicht punkten konnte, würde ihm ein 5-facher Doktor auch nichts nutzen – denn so ein Banause verdient ihre Beachtung nicht.

      Als ich ihm erklärte, was sie unter Gesellschaftlichem Leben verstand, nämlich an Partys und Vernissagen – also Events – teilnehmen, meinte er, als wäre das nichts Besonderes: „Ja, in unserem Haus gab es oft Feste, mit Musik, Tanz und allerlei …“

      Charlotte war begeistert, und vollkommen aufgelöst dann, als er auf ihre Frage, was seine Hobbys seien: Bogenschießen angab. Mit dem Begriff Hobby konnte er zuerst allerdings nichts anfangen, daher übersetzte ich es ihm mit: Freizeitaktivitäten, das durfte aber auch nicht so ganz den Punkt treffen, denn er meinte: Freizeit hätte er keine – nur Verpflichtungen. Was immer er damit meinte. Charlotte war das ziemlich egal. Mit einer anderen Bezeichnung des Wortes konnte er dann doch etwas anfangen: Sport? Er ergänzte es noch mit Wettkampf und Jagd.

      „Klasse“, sagte Charlotte – denn da kannte sie sich aus. „Was jagen Sie denn?“

      „Löwen, Antilopen, Strauße, Wildrinder …“

      Sie war gleich im Bilde. „Großwildjagd in Kenia!“

      „Nein – in der Region von Deschret.“

      Diese Gegend war nicht in ihrem Register.

      Jedenfalls – ich war mir nun ziemlich sicher – machte mein Gast diese seltsamen Angaben nur, weil es ihm unangenehm war, so penetrant ausgefragt zu werden … Wer jagt denn schon Löwen? Abgesehen davon, dass sie unter Schutz stehen. Im Übrigen fiel mir noch auf, dass er so wenig wie möglich erzählte und gerade mal so viel wie nötig, um nicht als unhöflich zu erscheinen.

      Nur ein einziges Mal stellte er ihr eine Frage – es dürfte ihn wohl sehr beschäftigt haben, denn er starrte des Öfteren auf ihre langen, gebogenen Krallen und fragte schließlich , ob die denn nicht hinderlich seien … nach der täglichen inneren Reinigung … und ob sie vielleicht „Abwischer“ habe, wie es in manchen, seltsamen Kulturen üblich sei.

      Daraufhin blickte sie etwas irritiert zu mir, als könnte ich ihr die Antwort flüstern. Ich zuckte nur mit den Schultern, als würde mich das nichts angehen, und zeigte meine kurz geschnittenen Fingernägel, behielt aber für mich, dass ich mir diese Frage auch schon mal gestellt hatte.

      Als sie dann aber wissen wollte, wo er jetzt wohne und ob es vielleicht in Wien sei, stand er plötzlich auf, ging ans Fenster, blickte in den wolkenverhangenen Himmel, als würde er die Sonne suchen, kehrte dann wieder zum Tisch zurück, verbeugte sich knapp, zuerst vor mir – das sah ich als Sympathiebeweis an, weil Charlotte ja die Ältere von uns beiden war – und dann vor ihr, und sagte: „Sie erlauben, meine Damen, ich muss mich nun kurz entfernen.“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, ging er im Panthergang eines Michael Jackson rasch in die Richtung, aus der wir vor gut eineinhalb Stunden gekommen waren. Seine Tasche nahm er mit.

      Die knappe Geste, die er zu mir machte, nämlich mit dem Kopf ein wenig seitlich zu nicken, konnte ich