Micha Wölfer

Jener Sommer in Wien, als Tutanchamun bei mir wohnte


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hat, ist meine Interpretation.

      Leider haben nur ganz wenige Zeugen dieser Zeit auch den Weg ins Wiener Museum gefunden. Gerade mal eine Hand voll dieser bunten Dinger lagen da und funkelten aus ihrer gläsernen Ummantelung hervor: Niedliche kleine Gänseblümchen, Margeriten auf einer Kachelhälfte, Bruchstücke … als wären sie aus dem Haus mit dem Engelsgesicht geflohen.

      Dann hier, in der Vitrine beim Fenster: Fingerringe aus Fayence, in glänzenden Oxydfarben; verschiedene Darstellungen sind darauf: ein Fisch, ein gehörntes Tier – vielleicht eine Gazelle? Eine stilisierte Lotosblume, ein Udjat-Auge. Zweck des Schmuckes aus dem fragilen Material angeblich unbekannt. Muss alles einem Zweck dienen?

      Nebenan lag eine Gestalt in Mumienform und war ebenfalls aus gebranntem Ton: Osiris, der Gott der paradiesischen Unterwelt. Mit erigiertem Penis!

      Den Symbolwert dieser Skulptur dürfte man verstanden haben, denn eine lange und breite Erläuterung über diese Erscheinungsform stand auf einer Tafel. In Kurzfassung: Osiris, ein ehemals sterblicher König, wurde ermordet und von Isis wiedererweckt, danach ward sie – o Wunder – von ihm schwanger! Sohn Horus entstand.

      Für mich aber schlichtweg auf einen anderen, einfacheren Nenner gebracht, denn, es kann keine Auferstehung von den Toten geben. Möglicherweise war der Typ gar nicht hinüber, sondern nur lustlos? Dann aber – ohne Wunder – wurde sein bestes Stück wiedererweckt, allein durch den Zauber einer Klassefrau, und das ganz ohne Viagra; und ganz ohne Mystifizierung.

      Vielleicht sollte man die Erklärung der Symbolik noch einmal überdenken?

      Wie um meine These zu untermauern, lagen gleich hinter Osiris einige Fragmente der durchsichtig zarten Leinengewänder, die von den Frauen dieser Zeit getragen wurden; nun aber bereits vergilbt und brüchig, konnte man dennoch ahnen, wie hochstilisiert und kultiviert diese Amarna-Zeit war, die für die Kunst lebte und nicht für die Kriege …

      Make Love – Not War dürfte daher auch einer von Echnatons Wahlsprüchen gewesen sein … Ich musste in mich hineingrinsen. Einleuchtend, wenn man sich die Damen, in ihren lichtdurchlässigen Gewändern vor Augen führt. Da erscheint unsere Epoche direkt verklemmt.

      „Du bist eine Schlaftablette und kein Viagra!“

      Verdammt! Ab und zu geisterten beleidigende Sätze von Ralph in meinem Kopf herum und waren nicht hinauszubekommen.

      „Was ist bloß los mit dir? Wozu habe ich eine junge Frau?“, schnauzte er mich des Öfteren an. „Jede Oma ist sexuell gewiss aktiver als du …“

      Komisch nur, immer wenn ich Initiative ergreifen wollte, zog er eine Augenbraue hoch. Da ließ ich es irgendwann bleiben. Lag es möglicherweise doch an mir? Hätte ich mich mehr bemühen sollen?

      Aber ich hatte einfach keine Lust, und irgendwann unterließ ich es auch, so zu tun, als hätte ich welche.

      In der Vitrine daneben, erblickte ich einen zauberhaften Handspiegel, seine Fläche war aus poliertem Kupfer. Ich beugte mich über den Schaukasten und betrachtete mich darin. Das kostbare Artefakt verlieh den Gesichtszügen einen warmen Glanz und gehörte einer Frau, die vor mehr als dreitausend Jahren gelebt hat. Was dachte sie? Was fühlte sie?

      Doch, wenn ich mich so ansah darin, sah ich auch nur die Oberfläche sich spiegeln und nicht das, was verborgen war. Ich sah nur große Augen, im eindruckslosen Braun, in einem zierlichen Gesicht; gebändigtes blondes Haar und sonst nichts. Ich wandte mich schnell ab und ging in den letzten Raum.

      Der war ganz in Schwarz, wie das Innere einer Schuhschachtel für edle Treter. Da fand ich den Horemhab. Zumindest stand das unterhalb an der Tafel. Fast hätte ich auf ihn vergessen.

      Die Figur aus Quarzit war von einem grellen Spotlicht beleuchtet und stellte einen Kerl dar, der auf mich wie ein Schauspieler wirkte, der einen Pharao darstellen sollte. Er hat eine übergroße, vorspringende Nase wie Gerard Depardieu und ein überhebliches Grinsen im Gesicht.

      Den Krieger, der er gewesen sein soll, sieht man ihm eigentlich nicht an, dafür aber hat er einen gewissen verschlagenen Ausdruck im steinernen Konterfei, der auch der Nachwelt verraten konnte, dass seine Thronbesteigung möglicherweise nicht rechtmäßig war. Der Bildhauer des Altertums hat diese Spekulation meisterhaft getroffen. Die subtile Rache eines Künstlers, der besseren Zeiten nachtrauerte?

      Der Typ war als Doppelfigur herausgemeißelt, zur Linken des Pharaos saß Gott Horus. In der Darstellung: ein Vogelhaupt mit Menschenkörper. Und was mich nicht verwunderte, dass der selbst ernannte Herrscher genauso groß war wie der Gott daneben – aber, eh klar! Warum kleckern? Beide waren dem Betrachter in sitzender Position zugewandt.

      Ich umrundete einmal die lebensgroße Skulptur, aber von einem roten Graffiti war nichts mehr zu sehen – nicht einmal eine Spur. Hubert ging sehr pedantisch vor, da konnte man ihm nichts vorwerfen.

      Wer war bloß der Täter? Wer macht so etwas? Und wozu?

      Vielleicht hat jemandem die Visage des grinsenden Typen nicht gefallen – wäre doch im Bereich des Möglichen? Mir gefiel sie nämlich auch nicht. Ein guter Abschluss: Für heute hatte ich genug gesehen. Ich ging auf demselben Weg zurück und gelangte wieder in den ersten Saal.

      Er stand da wie ein Sperrschiff, und trotzdem hatte ich ihn übersehen.

      Vielleicht hatte ich ihn zuvor auch nur deshalb übersehen, weil er umringt war von Glasvitrinen, in denen die ekeligen Mumien aufbewahrt waren, an denen ich vorbeiging, als hätte ich Scheuklappen.

      Ein massiger, schiefergrauer Sarkophag aus Granit.

      Er war kunstvoll gestaltet und über und über mit gemeißelten kleinen Hieroglyphen versehen. Auf einer Hinweistafel stand, dass er dem königlichen Schreiber des gesamten Rechnungswesens gehörte.

      Na ja, die Beamten! – Die hatten immer schon mehr Privilegien und Pfründe als andere, wie sonst hätte sich dieser Kerl so einen protzigen Sarkophag leisten können.

      Aber vielleicht hatte er diese Business-Class-Raumkapsel für die Reise in die Unterwelt sogar von seinem Brötchengeber, dem Pharao, geschenkt bekommen? Ein toller Sarg, soll ja damals als besondere Auszeichnung für die mittlere Führungsebene gegolten haben.

      So wie heute vielleicht ein toller Dienstwagen, etwa ein Porsche Cayenne … der auch zu einem Sarg werden kann. Egal: Richtige Särge wären heute aber eher als Affront zu werten: „Kauft dem doch einen Sarg!“ – Soll heißen: Kleb nicht weiter am Sessel, Alter! – Du kostest mich mehr als drei Uni-Abgänger.

      Am Boden war der gleichsam massige Deckel abgelegt, über dessen gesamte Länge eine gemeißelte, fast nackte Frauengestalt prangte wie ein Pin-up. Wahrscheinlich, um den toten Oberbuchhalter, der da irgendwann einmal darin bestattet war, die Zeit im steinernen Zuber zu verschönern.

      Aber praktisch dachte auch ich, deshalb konnte ich mir durchaus vorstellen, dass so ein Trog ein wunderbares Hochbeet abgeben würde, wie geschaffen für den Garten meiner Großtante Fanny. Mich amüsierte der Gedanke, wie da ihre Liebstöckel, Rhabarber, Tomaten, und anderes Bio-Gemüse lustig heraussprießen würden, aus diesem antiken Artefakt. Respektlos war sie ja noch immer, trotz ihres hohen Alters, das lag vielleicht in der Familie und ließ mich für meine eigene Zukunft hoffen.

      Auf einmal verspürte ich seit Langem wieder ein unwiderstehliches Verlangen, etwas ganz Blödes anzustellen, nämlich, das Ding zu erklimmen, um das Innere dieses düsteren Steinklotzes zu erforschen. Es galt also festzustellen, ob es möglich wäre, einen Ablauf für Regenwasser anzubringen, der das Grabmal auch einer anderen Funktion zugänglich machen könnte, außer nur so nutzlos im Museum herumzustehen. Man könnte ja den Vorschlag dem Stadtgartenamt unterbreiten: eine Installation mitten im Volksgarten, mit der Heilsbotschaft der Perma-Jünger: Bürger, esst mehr Bio-Gemüse – und eure Kultur wird so lange blühen wie die des Alten Ägypten! Also immerhin mehrere Tausend Jahre.

      Dass die Kameras wirklich knock-out waren, wusste ich – daher konnte mich auch keine zurechtweisende Lautsprecherstimme von meinem Vorhaben abhalten. Nur vielleicht Ralphs Meinung: Infantil, wie eh und je, irrlichterte