Micha Wölfer

Jener Sommer in Wien, als Tutanchamun bei mir wohnte


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Menschen können absolute Stille nicht ertragen. Ich schon. Vor allem hier. So mochte ich Museen besonders. Es gibt nichts Schöneres, als Kunstwerke im Zwiegespräch zu erleben, ohne Einflüsse von anderen Betrachtern – das störende Volksgemurmel etwa, oder wenn man zwischen Touristengruppen eingeklemmt statt den in Stein gehauenen Charakterkopf eines Franz Xaver Messerschmidt nur den Hinterkopf des Vordermannes zu sehen bekommt.

      Was mir zuerst aufgefallen war? – Natürlich die Malerei! Das Fresko an den Wänden: rot-schwarz-goldene Vogelschwingen auf blauem Grund. Sie bedeckten auch die gesamte Decke, die statt der üblichen Marmorsäulen von zwei originalen ägyptischen Monolithen, die mehrere Meter in die Höhe ragten, getragen wurde. Die Malerei bot einen wahrhaft dramatischen Anblick! Man konnte sich zurückversetzt fühlen in die Zeit der Pharaonen, als hätte man einen Zeitsprung gemacht, obwohl nur ein Kopist aus dem 19. Jahrhundert nach einer Vorlage aus einem altägyptischen Grab eine Reproduktion angefertigt hatte.

      Eine Leistung, die ich sehr schätze; denn auf schwindelerregendem Gerüst zu stehen oder gar auf dem Rücken liegend zu malen, wobei dem Künstler bei jedem Pinselstrich die Farbe ins Gesicht und in die Augen zu tropfen droht, das ist Schwerstarbeit.

      Da habe ich es als Porträtistin doch besser getroffen. Obwohl, als Spaziergang möchte ich das, womit ich mein Geld verdiene, auch nicht gerade bezeichnen. Wenn ich da an die pinkelfreudige kleine Bestie denke und an ihre Besitzerin, die meinte, ihr Fifi hätte sicher einen psychischen Schaden abbekommen, weil sich der vermeintliche Baum plötzlich bewegte und Fifi beschimpfte ... Die Therapiekosten beim Hundepsychiater würde sie mir dann vom Honorar abziehen. Oder andere Widrigkeiten. Zum Beispiel der Vorschlag eines männlichen Kunden, ich möge doch, während ich seinen Jagdhund porträtiere, statt mit Malermantel nur mit einem nicht mal den Po bedeckenden Chiton bekleidet vor der Staffelei stehen. Darunter nackt, weil die Göttin Diana ja auch nichts anderes angehabt haben soll.

      Den Chiton habe er zufällig zu Hause, meinte er, und die Staffelei würde nur in seinem mit erotischen Kunstwerken vollgestopften Schlafsalon Platz haben. Und dabei gab es ein Wohnzimmer – so groß wie ein Hörsaal! Egal auch, denn selbstverständlich lehnte ich den Auftrag ab, auch als er mir gönnerhaft anbot, das Doppelte meines Honorars zu zahlen.

      Das Leben einer Malerin stellt man sich romantischer vor, als es tatsächlich ist.

      Selbst künstlerisch fühlte ich mich oft eingeengt, es verdross mich, wenn ich Kompromisse eingehen musste, um Auftraggeber zufriedenzustellen. Da konnte ich nicht einfach meine Meinung umsetzen, etwa dass diese oder jene Falte im Gesicht meiner ältlichen Kundschaft natürlich auf das gemalte Porträt gehöre, da es den Ausdruck verstärke. Nein! Keinesfalls! – Man wollte in diesem Bereich nicht so aussehen, wie man war. Selbst der Fotorealismus scheiterte daran, so wie meine Überzeugungskraft; und ich musste in diesen Fällen dann auch beide Augen zudrücken und an mein Atelier im 6. Bezirk denken und an die Miete, die ich jeden Monat zu entrichten hatte.

      Aber das mit den Damen, die nicht alt aussehen wollen, ist eine andere Geschichte, sie war mir nur eingefallen, als ich an einigen – gottlob – nicht ausgewickelten Menschen und Tiermumien vorbeiging – ziemlich rasch, weil ich Präparate dieser Art noch nie besonders anziehend fand; selbst wenn die Holzsärge und die Mumienbinden besonders kunstvoll bemalt waren und der Inhalt vielleicht deshalb nicht im Archiv landete, so wie die anderen.

      Allein schon die Vorstellung, dass tote Menschen von Verpackungskünstlern eingemummt, verschnürt und wie vergessene Postpakete hier lagerten, behagte mir nicht.

      Hubert hatte recht. Man sollte ihnen wieder eine würdevolle Bestattung gönnen, wie sie es sich gewünscht hatten. Da denke ich liberal, denn nicht jedem wäre es – so wie mir – piepegal, wo sein Körper zur letzten Ruhe abgelegt wird. Tot ist zwar tot, aber hier, inmitten des regen Museumsbetriebes? – Nein, da möchte selbst ich nicht liegen. Da herrscht zu den üblichen Besucherzeiten des Museums nicht gerade Totenstille … so wie heute, der imperfekten Technik sei Dank.

      Ich winkte zu einer der Kameras und zog eine Grimasse. Keine Stimme aus den Lautsprechern erschallte und fragte mich, ob ich vielleicht ein Problem mit Kameras hätte. Ein tolles Gefühl, einmal nicht beobachtet zu werden – konnte man doch hier glatt Paranoia entwickeln.

      Ich zeigte Big Brother den hochgestreckten Mittelfinger und ging dann in den Nebenraum.

      „Altes Reich“, stand in Druckschrift an der Wand. Ich schlenderte auch da ein wenig umher und betrachtete die ausgestellten Artefakte: Eine Fülle von gut erhaltenen, steinernen Darstellungen von Göttern mit Tierköpfen; neben Porträtbüsten von Königen aus einer frühen Periode dieser Kultur, von der ich gerade mal wusste, dass damals die Pyramiden in Gizeh erbaut wurden.

      Und da war wieder etwas ... Das Geräusch kam aus dem Raum, den ich zuvor verlassen hatte. Diesmal war es ein Klirren wie von einer Kette – der Metallkette eines Hells Angels.

      Vielleicht der beknackte Hubert? Vielleicht hat er meine Handynummer verlegt, steht vor der versperrten Tür und hantiert mit selbst gebauten Dietrichen herum? Ich lief zum Eingang zurück und schaute durch das Glasfenster. Niemand da. Kein panischer Hubert. Auch sonst war niemand im Raum. Natürlich nicht! – Hatte hinter mir ja dicht gemacht.

      Mir blieb also noch etwas Zeit und daher ging ich wieder zu den steinernen Götzen, dann weiter in den nächsten Saal.

      Die Neuzeit der Altägypter, dazu gehörte die 18. Dynastie und die Amarna-Epoche. Die war mir besser bekannt, zumal die schönen Künste in diesem berühmt-berüchtigten Zeitabschnitt einen herausragenden Stellenwert einnehmen und weil Kunst immer schon ein Thema für mich war.

      Das mysteriöse Zeitalter des Tutanchamun.

      Von seinen Grabschätzen ist hier nichts ausgestellt – natürlich nicht! Auf den Superstar hat das Kairoer Museum die Lizenz, so wie Sony die Lizenz auf Michael Jackson hat.

      Wer kennt ihn nicht? Den jugendlichen, in Gold eingegossenen Gottkönig. Er gab und gibt weiter Rätsel auf. Noch immer weiß keiner, warum er so früh sterben musste. Es gibt viele Spekulationen; aber selbst neueste Forschungsergebnisse, sagt man, hätten nicht wirklich Klarheiten gebracht. Gewiss ist nur: Er ist gestorben, und das ziemlich jung.

      Jung stirbt, wen die Götter lieben, Menandros hinterließ uns diesen Satz, der mich immer eigentümlich berührte.

      Eine Ikone der Unsterblichkeit ist er zwar, und seine strahlenden Züge über so viele Tausend Jahre ewig jung und schön – für uns – aber was hatte er davon? Waren sie nicht vom Leben besessen, die Alten Ägypter, und nicht vom Tod? Wozu sonst hätten sie diese Anstrengungen unternommen, das Unausweichliche zu überlisten.

      Der Tod war eine Zumutung, den wollte man nicht. Der ewige Kreislauf des Lebens: Die Sonne geht jeden Tag auf, also warum kann nicht auch der Mensch ewig leben? … Es ist immer dasselbe – sie wollten eben nicht loslassen. Eine Kunst, die wohl die schwerste von allen ist.

      Aber das konnte ich: Loslassen!

      „Was bist du bloß für ein schreckliches Kind!“, hatte sie vorwurfsvoll zu mir gesagt, irgendeine entfernte Verwandte – die bereits auf ein langes, erfülltes Leben zurückblicken konnte –, weil ich mich damals geweigert hatte, auf das Begräbnis von Mom zu gehen, die nur mal ein Drittel so alt war wie die alte Ziege, die mir Ignoranz und Lieblosigkeit vorwarf.

      Was sollte ich dort? Sie war weg, und das viel zu früh. Trotz ihrer vielen Pläne und obwohl sie noch so viel erleben wollte in dieser Welt.

      Jedenfalls, dachte ich, hat der junge Pharao doch noch weniger erlebt in dieser Welt. Und das fand ich ungerecht, und das würde ich ihnen auch ins Gesicht sagen, wenn ich fromm wäre und wenn ich vor ihnen stehen würde, vor den altägyptischen Göttern, so wie eben jetzt: vor der Ma’at der Personifizierung der Weltordnung, der Gerechtigkeit und der Harmonie. In Stein gehauen war sie, sah den Betrachter mit sonderbarem Blick an und lächelte sogar. Ein arrogantes Lächeln? Überheblich? Jedenfalls: unergründlich.

      Der römischen Göttin der Gerechtigkeit haben sie später wenigstens die Augenbinde verordnet … Wussten schon, warum!

      Im seitlichen Nebenraum,