Torsten Thiele

Die Legende der Alten


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einigem Nutzen, konnte er doch so inzwischen die Artefakte der Alten recht zuverlässig von wertlosem Tand unterscheiden. Er war gespannt, was er heute finden würde.

      Ein bereits halb verfaulter Fensterladen, gab sofort nach, als Kex an ihm zog. Das Holz zerbröselte regelrecht zwischen seinen Fingern. Kex stieg durch das Fenster ein, kleine Staubwölkchen spielten im Mondlicht, dass hinter ihm in den Raum eindrang. Kex zündete eine kleine Laterne an. Der Raum in dem Kex stand, war beinahe leer. Nur noch ein zusammengefallener Tisch und ein leeres Regal standen darin. Die Dielen knarzten gefährlich als Kex die ersten Schritte in Richtung Tür ging. Auf seinem Weg in den Keller durchstreifte Kex noch ein paar andere Räume des Hauses. Wie der erste, waren auch diese ausnahmslos leergeräumt. Hier hatten wohl Diebe bereits ganze Arbeit geleistet, es gab nichts Interessantes mehr zu entdecken. Im Keller des Hauses war es ungewöhnlich feucht, ein deutlicher Luftzug wehte Kex ins Gesicht. Manchmal klapperte etwas, so dass Kex ein ums andere mal erschrocken zusammenfuhr. Er blieb dann immer stehen und lauschte angestrengt. Doch außer einem leichten Säuseln, wohl vom Luftzug, blieb es danach immer still. Durch die breiten Ritzen einer Holztür pfiff der Wind besonders heftig. Kex öffnete sie und trat in den Raum. Gleich hinter der Tür klaffte ein großes Loch im Boden, beinahe wäre Kex hineingefallen. Aus dem Loch stieg feuchte Luft nach oben. Kex kniete sich vorsichtig an den Rand des Loches und hielt seine Laterne hinein. Das Licht der Laterne reichte jedoch nicht weit genug, es verlor sich nach ein, zwei Metern im Dunkel. Außer lehmiger Erde war nicht viel zu erkennen. Ganz unten ragten dünne Eisenstangen aus dicken, zerbrochenen Steinen. Zum Glück hatte Chak Kex ein Seil mitgegeben. Dieses band Kex nun an der Tür fest und ließ es durch das Loch nach unten fallen. Dann klemmte er sich den Griff der Laterne zwischen die Zähne und seilte sich selbst ab. Ein Erwachsener wäre vielleicht stecken geblieben, aber für Kex war das Loch weit genug. Unterhalb des Loches lag ein breiter Gang. Nach wenigen Metern erreichte Kex dessen Boden. Nicht weit hinter Kex stapelten sich Trümmer bis zur Decke, früher ging der Gang dort sicher noch weiter, jetzt war der Weg versperrt. Am anderen Ende des Ganges führten zwei Treppen parallel nebeneinander nach unten. Die Stufen waren aus einem matten Metall und etwas höher als die normaler Treppen. Wo die Treppen endeten, konnte Kex noch nicht erkennen, sie führten schier endlos nach unten. Endlich unten angekommen, öffnete sich vor Kex eine langgestreckte Halle. Wind heulte und die Luft kribbelte seltsam auf Kex Haut. Ein von der Decke baumelndes Schild klapperte in unregelmäßigen Abständen immer wieder an einen der Stützpfeiler in der Mitte der Halle. Am rechten, wie am linken Rand der Halle befand sich jeweils ein hoher Absatz. Unterhalb des Absatzes führten Schienen in die Dunkelheit. Manchmal zuckten winzige blaue Blitze über die Schienen. Nach wenigen Minuten standen Kex Haare in alle Richtungen ab. Über Kex Kopf tauchte ein großer Kasten auf. „U4“ stand darauf, daneben war eine Uhr, die aber längst stehen geblieben war. Zwischen dem Kasten und dem nächstgelegen Stützpfeiler hatte eine Spinne ihr Netz aufgespannt. Dahinter ergoss sich ein kleines Rinnsal über die geflieste Wand, zwischen den Schienen darunter hatte sich eine große Pfütze gebildet. Zwei tote Ratten schwammen darin. Am Ende der Halle führten die beiden Schienenstränge in runde Tunnel hinein. Nur noch ein schmaler Sims blieb zum Laufen. Eine Tür in einer Nische erweckte Kex Aufmerksamkeit. Sie war aus den Angeln gerissen und stand weit offen. Dahinter lag ein kleiner Raum. Den Raum dominierte ein großes Pult mit unzähligen Knöpfen und Schaltern. Das Pult nahm eine Seite des Raumes komplett ein. Kex drückte einige der Knöpfe aber nichts passierte. Über dem Pult befand sich ein großes Fenster, die Laterne spiegelte sich darin, was dahinter lag, blieb im Dunkel verborgen. Plötzlich ratterte es, erst leise, kamen die ratternden Geräusche schnell näher und schwollen an. Hinter dem Fenster wurde es hell, ein Blitz wanderte den Schienenstrang entlang, ein Wald aus Pfeilern tauchte in seinem fahlen Schein auf. Der Wind blies viel stärker als noch vor wenigen Augenblicken. Dann bogen zwei grelle Lichter um eine Kurve und blendeten Kex. Sie kamen direkt auf ihn zu. Er trat erschrocken einige Schritte zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Kex schloss die Augen. Die beiden Lichter huschten knapp an dem Raum vorbei. Dann quietschte es fürchterlich, das Rattern erstarb, Stille. Zitternd ging Kex zurück in die große Halle. An der rechten Seite stand nun ein Kasten, fast so lang wie die Halle selbst. Ganz vorn flackerte ein Licht. In regelmäßigen Abständen hatte der Kasten Türen, sie waren geöffnet. Vorsichtig lugte Kex in die erste hinein, bevor er selbst eintrat. Etwas sprang ihm entgegen, Kex ließ vor Schreck die Laterne fallen und landete selbst aus dem Hosenboden. Die Laterne erlosch dabei. Das etwas verschwand durch die Tür. Als Kex die Laterne auflas und sie wieder entzündete, blickte er direkt in die starren Augen einer Frau. Sie saß neben der Tür, ihre Finger krallten sich am Türrahmen fest. Kex schlich sich vorsichtig an der toten Frau vorbei aus dem Kasten hinaus. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Dann plötzlich hörte er eine Stimme. Er zuckte zusammen, ein kurzer Schrei entwich ihm. Die Stimme kam aus den Tunneln, sie wurde lauter. Es war eine Männerstimme, aber seltsam verzerrt, ihr eigenes Echo überlagerte sie. Kex konnte kaum ein Wort verstehen, es klang fremd, bedrohlich. Vielleicht war es ein Gefährte der toten Frau, oder Geister.

      „Pst, ganz leise! Böse Männer lauern … sind böse … Müssen fliehen … fliehen … Geschwind, geschwind …“

      Die Stimme verstummte auch nicht, als Kex die Treppe wieder nach oben gerannt war. Im Gegenteil, sie hallte hier noch lauter durch den Gang, vermischten sich mit den Geräuschen des Windes. Und noch immer kam sie näher. So schnell hatte Kex ein Seil noch nie erklommen. Fast wäre ihm dabei noch die Laterne aus den klappernden Zähnen gerutscht. Hastig zog er das Seil nach oben, drückte die Kellertür hinter sich zu. Er zitterte am ganzen Leib, teils vor Anstrengung, größtenteils aber vor Angst. Noch immer hörte er hinter sich deutlich die Stimme. Fast schon panisch rannte er aus dem Keller. Er schaute nicht einmal, ob ihn jemand beobachtete, als er aus dem Fenster nach draußen stieg. Erst mehrere Straßen weiter lehnte er sich schließlich in einer dunklen Nische an die Hauswand. Sein Atem ging schwer, er rutschte langsam in die Knie. Gerade noch rechtzeitig, bevor eine Wachpatrouille vorbeikam, löschte er endlich die Laterne.

      ***

      Großwesir Houst hatte wenig Zeit, ein neues Gesetz, das die Position des Königs stärken und im Gegensatz die der Priesterschaft schwächen sollte, erforderte seine ganze Aufmerksamkeit. Er musste dafür die einflussreichsten Beseelten auf seine Seite ziehen. Doch ein paar Minuten für einen Besuch bei seinem alten Mentor würde Houst aufbringen. Der Diener hatte gesagt, es sei dringend. Er wurde ins Schlafgemach geführt, Chak lag in seinem Bett, die Augen geschlossen. Im ersten Moment erschrak Houst regelrecht. Das Gesicht von Chak war ausgemergelt, die Wangen eingefallen, der Teint ein helles Grau. Houst hatte zwar von Chaks Krankheit gehört, dass es so schlimm war, überraschte ihn dann doch. Kein Wunder, dass es der Diener derart eilig hatte, vielleicht würde Chak diese Nacht nicht mehr überleben. Dieser Besuch hieß Abschied nehmen, erkannte Houst. Immerhin hat Chak den Intrigen des Hofes bis jetzt getrotzt, er würde im hohen Alter in seinem Bett sterben. Ein Luxus, der nicht vielen vergönnt war. Houst trat an das Bett und nahm die Hand seines alten Mentors. Daraufhin wendete dieser langsam den Kopf und öffnete die Augen. Er begann zu sprechen. Es war so leise, dass sich Houst tief nach unten beugen musste, um Chaks Worte zu verstehen. Mühsam hob Chak etwas den Kopf.

      „Du musst dich um den Jungen kümmern. Versprich mir, dass du dich um den Jungen kümmerst“, flüsterte er, dann sank sein Kopf wieder zurück auf das Kissen, seine Augen schlossen sich, er atmete flach.

      Houst wartete noch einige Minuten, doch Chak rührte sich nicht mehr. Als er aus dem Schlafzimmer ging, übergab ihm Chaks Diener einen Brief und einen verrosteten Schlüssel. Beides steckte Houst in seine Manteltasche. Vor dem Haus begegnete ihm Wesir Kolat, einer der Beseelten, die er für das neue Gesetz zu überzeugen suchte. Houst lud ihn ein, ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen. Chaks letzte Worte hatte Houst zu diesem Zeitpunkt bereits wieder vergessen.

      ***

      Nichts rührte sich, als Kex an die Tür klopfte. Es war nun schon mehr als einen Monat her, seit er Chak das letzte Mal gesehen hatte. Daran würde sich auch heute nichts ändern. Hatte ihn der alte Kauz einfach vergessen? Wütend hämmerte Kex noch ein paarmal mit beiden Fäusten gegen die Tür. Dann setzte er sich auf die kleine Stufe davor und weinte. Nach einer Weile wischte er sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht und stand auf. Mit hängenden Schultern trottete er nach Hause. Bereits auf der Straße hörte er den Streit