Solomon Northup

12 Jahre als Sklave


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gewaltigen Sturm eingeholt. Die Brigg rollte und tauchte ab, bis wir fürchteten, sie würde untergehen. Einige waren seekrank, andere auf den Knien betend, während sich einige wiederum aneinander klammerten, gelähmt vor Furcht. Die Seekrankheit machte aus dem Ort unserer Gefangenschaft etwas Ekelhaftes und Abscheuliches. Die meisten von uns wären glücklich gewesen – zumindest hätte es uns die Pein vieler hundert Peitschenhiebe und letztlich elende Tode erspart – hätte uns die mitfühlende See an jenem Tag aus den Fängen gewissenloser Männer gerissen. Der Gedanke, wie Randall und die kleine Emmy hinabsänken inmitten der Ungeheuer der Tiefe, ist eine weitaus angenehmere Erwägung als darüber nachzudenken, wie es ihnen vielleicht jetzt ergehen möge, sich ohne Belohnung durch ein Leben der Schufterei schleppend.

      Als wir in Sichtweite der Bahama Banks kamen, an einer Stelle die „Alte Kompassspitze“ oder „Loch in der Mauer“ genannt wird, lagen wir drei Tage in Windstille. Es ging kaum ein Hauch von Luft. Das Wasser der Golfs zeigte sich in einer einzigartigen weißen Farbe, so wie Kalkwasser. In der Abfolge der Ereignisse komme ich nun dazu, eine Begebenheit zu erzählen, die ich mir nur mit dem Gefühl des Bedauerns ins Gedächtnis rufen kann. Ich danke Gott, der mir seither erlaubt hat, der Knechtschaft der Sklaverei zu entkommen, dass durch seine gnädige Fügung ich davon abgehalten wurde, meine Hände mit dem Blut seiner Geschöpfe zu beflecken. Doch sollen diejenigen, die niemals in solche Umstände geraten sind, nicht allzu schroff über mich richten. Bis sie angekettet und geschlagen wurden – bis sie sich in der Lage wiederfinden, in der ich war, von Heim und Familie verschleppt in ein Land der Hörigkeit – sollten sie es unterlassen, zu sagen, was sie selbst um der Freiheit willen nicht tun würden. Wie weit ich nach Ansicht von Gott und Mensch im Recht gewesen wäre, darüber ist im Augenblick keine Spekulation nötig. Es soll reichen, wenn ich sage, dass ich mich selbst zu der schadlosen Beendigung einer Angelegenheit beglückwünschen kann, die eine Zeitlang drohte, von ernstzunehmenden Folgen begleitet zu sein.

      Gegen Abend am ersten Tag der Windstille waren Arthur und ich im Bug des Schiffes und saßen auf der Ankerwinde. Wir unterhielten uns über das wahrscheinliche Schicksal, das uns erwartete, und betrauerten gemeinsam unser Unglück. Arthur sagte, und da gebe ich ihm Recht, der Tod sei weitaus weniger schrecklich als die Lebensaussichten, die vor uns lagen. Eine lange Zeit sprachen wir von unseren Kindern, unseren vergangenen Leben und den Wahrscheinlichkeiten einer Flucht. Einer von uns schlug vor, die Brigg in unsere Gewalt zu bringen. Wir sprachen über die Möglichkeit, in einem solchen Falle unseren Weg bis zum Hafen von New York zu finden. Ich kannte mich nur wenig mit dem Kompass aus; die Idee aber, jenen Versuch zu riskieren wurde bereitwillig erwogen. Die Chancen für uns wie auch gegen uns bei einem Zusammenstoß mit der Mannschaft wurden geprüft. Auf wen konnte man sich verlassen, und auf wen nicht, die rechte Zeit und Art des Angriffs, alles wurde wieder und immer wieder besprochen. Von dem Augenblick an, als der Komplott sich als naheliegend erwies, begann ich zu hoffen. Andauernd ging er mir im Sinn herum. Als Schwierigkeit auf Schwierigkeit auftauchte, war ein fertiger Einfall zur Hand, der zeigte, wie man sie überwinden konnte. Während andere schliefen, brachten Arthur und ich unsere Pläne zur Reife. Schließlich wurde Robert mit viel Vorsicht stückweise mit unseren Absichten bekannt gemacht. Er gab sofort seine Zustimmung und trat der Verschwörung mit tatkräftigem Eifer bei. Es gab keinen anderen Sklaven, dem wir uns wagten anzuvertrauen. Derart in Furcht und Unwissenheit aufgezogen wie sie es waren, kann man es kaum begreifen, wie unterwürfig sie sich unter dem Blick eines weißen Mannes duckten. Es war nicht sicher, ein solch kühnes Geheimnis einem von ihnen anzuvertrauen, und schließlich beschlossen wir drei, die furchterregende Verantwortung des Versuches auf uns selbst zu nehmen.

      Bei Nacht wurden wir wie gesagt in den Laderaum getrieben und die Luke verriegelt. Das Deck zu erreichen war die erste Schwierigkeit, die sich uns in den Weg stellte. Ich hatte jedoch im Bug der Brigg ein kleines Boot gesehen, welches mit dem Kiel nach oben dort lag. Mir kam der Gedanke, dass wenn wir uns insgeheim darunter verstecken würden, wir nicht in der Menge vermisst würden, wenn sie des Nachts in den Laderaum gescheucht würde. Ich wurde auserwählt, das Experiment zu versuchen, um uns von der Machbarkeit zu überzeugen. Am nächsten Abend verbarg ich mich dementsprechend nach dem Abendessen hastig darunter, nachdem ich die passende Gelegenheit abgepasst hatte. Dicht am Deck liegend, konnte ich sehen, was rings um mich herum vor sich ging, während ich völlig ungesehen blieb. Am Morgen, als die anderen hinaufkamen, schlüpfte ich aus meinem Versteck, ohne beobachtet zu werden. Das Ergebnis war völlig zufrieden stellend.

      Der Kapitän und der Maat schliefen in der Kabine des ersteren. Bei Robert, der in seiner Eigenschaft als Kellner regelmäßig Gelegenheit besaß, in ihrem Quartier Beobachtungen anzustellen, brachten wir die genaue Position ihrer jeweiligen Kojen in Erfahrung. Weiterhin informierte er uns, dass immer zwei Pistolen und ein Entermesser auf dem Tisch lägen. Der Mannschaftskoch schlief in der Kombüse auf Deck, einer Art Vehikel auf Rädern, das man bewegen konnte, wie es die Bequemlichkeit erforderte, während die Seeleute, die nur zu sechst waren, entweder auf dem Vorderdeck schliefen oder aber in Hängematten in der Takelage.

      Schließlich waren alle unsere Vorbereitungen abgeschlossen. Arthur und ich sollten uns lautlos in die Kapitänskajüte schleichen, die Pistolen und das Entermesser nehmen und so schnell wie möglich ihn und den Maat aus dem Weg räumen. Robert sollte mit einem Knüppel an der Tür stehen, die vom Deck hinab in die Kabine führte und im Falle der Notwendigkeit die Seeleute zurückschlagen, bis wir zu seiner Unterstützung eilen konnten. Dann sollten wir so weitermachen, wie es die Umstände erforderten. Sollte der Angriff so plötzlich und erfolgreich sein, dass er jeglichen Widerstand ausschloss, sollte die Luke verriegelt bleiben; ansonsten sollten die Sklaven herauf gerufen werden, und in dem Gedränge und der Eile und der Verwirrung dieses Moments, so beschlossen wir, sollten wir dann unsere Freiheit wiederbekommen oder unser Leben verlieren. Dann sollte ich die ungewohnte Stelle des Steuermannes einnehmen und uns nordwärts lenken, während wir darauf bauten, dass uns sodann ein glücklicher Wind in ein Land der Freiheit bringen würde.

      Der Name des Maats war Biddee, an den des Kapitäns kann ich mich nun nicht erinnern, auch wenn ich selten einen Namen vergesse, den ich einmal gehört habe. Der Kapitän war ein kleiner, vornehmer Mann, aufrecht und pünktlich, mit einer stolzen Haltung und er sah wie die Tapferkeit in Person aus. Wenn er noch immer lebt, und diese Seiten zufällig seinem Auge begegnen sollten, wird er eine Tatsache in Zusammenhang mit der Reise seiner Brigg von Richmond nach New Orleans im Jahr 1841 erfahren, die nicht in seinem Logbuch steht.

      Wir waren alle vorbereitet und warteten ungeduldig auf die Gelegenheit, unsere Pläne in die Tat umzusetzen, als sie von einem traurigen und unvorhersehbaren Ereignis vereitelt wurden. Robert wurde krank. Bald darauf wurde verkündet, er habe die Pocken. Es ging ihm unaufhörlich schlechter, und vier Tage vor unserer Ankunft in New Orleans starb er. Einer der Seeleute nähte ihn in seine Decke ein, mit einem großen Stein vom Ballast zu seinen Füßen, dann legte er ihn auf eine Ladeluke, und indem er diese mit der Takelung über die Reling schwang, wurde der leblose Leib des armen Robert den weißen Wassern des Golfs übergeben.

      Wir waren alle durch das Auftreten der Pocken mit Panik geschlagen. Der Kapitän befahl, dass Kalk im Frachtraum verstreut und andere kluge Vorsichtsmaßnahmen eingeschlagen werden sollten. Der Tod Roberts jedoch, und die Gegenwart der Krankheit bedrückten mich sehr, und ich blickte über die große Wasseröde mit einer Stimmung, die wahrhaftig untröstlich war.

      Einen Abend oder zwei nach Roberts Bestattung lehnte ich mich auf die Ladeluke nahe dem Vorderdeck, voller verzagender Gedanken, als mich ein Seemann mit freundlicher Stimme fragte, warum ich so niedergeschlagen sei. Tonfall und Haltung des Mannes gaben mir Vertrauen, und ich antwortete, weil ich ein freier Mann sei und entführt worden war. Er bemerkte, dies würde ausreichen, um jeden niedergeschlagen zu machen, und fuhr fort, mich zu befragen, bis er die Einzelheiten meiner ganzen Geschichte erfuhr. Er war offensichtlich sehr zu meinen Gunsten interessiert, und schwor in der unverblümten Sprache eines Seemanns, er würde mir helfen so gut er könnte, auch wenn es ihm „die Planken zerhaue“. Ich bat ihn, mir Stift, Tinte und Papier zu besorgen, damit ich einigen meiner Freunde schreiben konnte. Er versprach, dies zu erledigen – doch wie ich sie unentdeckt benutzen konnte, war eine Schwierigkeit. Könnte ich nur ins Vorderschiff gelangen, wenn er nicht hinsähe und die anderen Seeleute schliefen, dann wäre die Angelegenheit machbar. Das kleine Boot kam mir sofort in den Sinn. Er glaubte, wir wären nicht