Peter Padberg

Tarris


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spürte nichts außer Wärme. Seit ihrem ersten Gedanken spürte sie nichts außer Wärme und gemütlicher Enge. Sie fühlte sich geborgen. Jedoch hatte sich die - eine Geborgenheit vermittelnde - Enge in den letzten Jahren geändert. Sie schränkte ihre stärker werdenden Bewegungen ein. Insbesondere der Stachel über ihren Nüstern stieß immer wieder gegen etwas Hartes. Langsam entwickelte sich in ihr das Bedürfnis, das Harte zur Seite schieben zu wollen. Um dies zu erreichen, verstärkte sie ihre Bewegungen weiter. Auch die Flügel und die kräftigen Beine drückten nun gegen das Harte. Sie hörte ein leises Geräusch. Es war das erste, was sie in ihrem Leben überhaupt hörte. Das Geräusch verstärkte sich und endete mit einem Knall, der ihre empfindlichen Ohren füllte. Gleichzeitig zerriss die Dunkelheit um sie herum. Ein schummriges, rötliches Licht umgab sie. Sie streckte und schüttelte sich. Die letzten Schalen des Eies, das so groß wie der Torso eines Homuae gewesen war, fielen von ihr ab. Vorsichtig stand sie auf ihren Beinen und krallte sich am felsigen Boden der Höhle fest. Sie spreizte ihre Flügel, die noch feucht von der nährstoffhaltigen Flüssigkeit im Inneren des Eies waren, um sie zu trocknen.

      Sie befand sich auf einer Plattform, die aus der Wand der riesigen Höhle in großer Höhe hervorstand. Das rote Licht stammte von einem Fluss heißer Lava, der sich quer durch den Boden der Höhle zog. Der Fluss aus Lava hielt die Temperatur in der Höhle seit Jahrhunderten auf einer konstanten Höhe, so dass die Höhle ein idealer Platz für Drachenhorte war, in denen die Jungen schlüpfen konnten. Drachenjunge waren sowohl geistig als auch körperlich voll entwickelt, wenn sie schlüpften – mit Schwanz waren sie bereits so groß wie ein ausgewachsener Homuae.

      Sie schickte ihre Gedanken auf die Reise, um Kontakt zu ihren Artgenossen aufzunehmen, aber sie entdeckte nichts. Zu diesem Gefühl der Einsamkeit kam Hunger hinzu. Sie sah sich in der Höhle um. Hier gab es einige alte Drachenhorste wie den ihren, aber kein Anzeichen von Leben. Hinter jeder der Terrassen, auf denen sich die Horste befanden, gab es einen großzügigen Eingang zu den Wohngemächern. Sie ging durch den Gang hinter ihrem Horst und war überrascht. Fast jeder der Räume, die von dem Gang abzweigten, war über und über mit Schätzen angefüllt. Es war ein unermesslicher Reichtum. Dies zeigte ihr aber auch, dass die Höhle seit langer Zeit von niemandem aufgesucht worden war. Weder von anderen Drachen noch von anderen Wesen. Außer den Schätzen gab es wenig zu entdecken. In einem Raum gab es mehrere riesige Schlafstätten und in einem weiteren einen engen Gang, der weit in die Tiefe führte. Auch fand sie zwei Bassins, die aus kleinen Rinnsalen mit frischem Wasser gefüllt wurden. Eines war fast schon ein kleiner Tümpel und dient zur Reinigung, das andere diente als Tränke. Sie nahm einen großen Schluck. Das Wasser war tiefblau, eisig kalt und schmeckte köstlich. Zu jedem Raum gab es einen Lichtschacht, der aus weiter Höhe ein wenig Sonnenlicht in die Räume ließ. Alle Wände waren sehr glatt geschliffen.

      Nachdem sie die Schätze genauer angeschaut hatte, kam es ihr vor, als würde etwas aus dem hinteren Raum Kontakt zur ihr knüpfen. Ihre empfindlichen Augen konnten aber nichts außer den Geschmeiden entdecken, die in diesem Raum aufgehäuft waren. Sie ging wieder zum Horst, legte sich hinein und war bald eingeschlafen. Sie träumte von Dingen, die sie eigentlich gar nicht kennen konnte. Sie flog durch eisige Winde zwischen schneebedeckten Berggipfeln, über eine weite Wüste und kreiste dort um einen riesigen Vulkan. Andere Drachen entdeckte sie auch in ihren Träumen nicht. Sie wurde gerufen. Sie wurde mit ihrem Namen gerufen. In dem Moment, in dem sie den Namen träumte, wusste sie, dass es der ihre ist. Maranda! Sie erwachte und befand sich wieder im Jahr 2900 n.d.A.

      Der Hunger hatte stark zugenommen. Maranda würde sich auf Nahrungssuche begeben müssen. Sie blickte von ihrer Plattform suchend in die Höhle. Da war nichts außer Stein und glühender Lava. Sie richtete sich auf und schlug prüfend ihre ledrigen Flügel. Die Spannweite war deutlich größer als ihr Körper lang war. Maranda visierte eine etwas tiefer liegende Plattform auf der anderen Seite der Höhle an und schwang sich in die Tiefe. Ihre Flügel hielten sie hervorragend in der Luft und sie spürte die aufsteigende Hitze, als sie den Feuerstrom passierte. Maranda wagte einen ersten Flügelschlag. Dieser katapultiere sie mehrere Meter in die Höhe. Sie war nun zu hoch, um auf der Plattform zu landen. Schnell zog Maranda die Flügel an und flog wie ein Stein auf die Plattform zu. Obwohl sie die Flügel schnell wieder ausbreitete, war die Landung schmerzhaft. Maranda schaute sich um, aber auch wenn sie nun weiter in die Höhle hineinsehen konnte, gab es nichts Neues zu entdecken. Erneut schwang Maranda sich in die warme Höhlenluft und folgte, vorsichtig ihre Flügel einsetzend, dem Lauf der Höhle. Weit vor ihr spannte sich eine schmale Brücke in großer Höhe und in einem Bogen von einem zum anderen Rand der Höhle. Es war etwas dunkler geworden, da der Lavastrom durch einen Tunnel in der Höhlenwand verschwunden war. Ihre empfindlichen Augen konnten aber immer noch hervorragend sehen. Sie landete auf der höchsten Stelle der Brücke. Maranda nahm leise Geräusche wahr, konnte aber nichts sehen. Die Geräusche näherten sich ihr und ihre Jagdinstinkte meldeten sich. Maranda bewegte sich vorsichtig in einen tiefen Schatten am Rande der Brücke und wartete geduldig. Lange Zeit passierte nichts, aber dann sah sie etwas langsam über den Boden krabbeln. Es waren zwei schwarz glänzende Geschöpfe, die auf sechs Beinen liefen. Jedes war ungefähr halb so groß wie Marandas Körper. Maranda nahm Gedanken wahr, die sie aber nicht verstehen konnte. Abschätzend blickte sie auf die beiden Geschöpfe tief unter ihr. Der Hunger machte sich wieder bemerkbar. Ohne weiter zu zögern, stürzte Maranda sich auf eines der beiden Wesen. Fast geräuschlos näherte sie sich und wurde erst im letzten Moment bemerkt. Es war aber zu spät. Maranda griff sich das Wesen mit ihren Krallen im Flug, beschrieb eine enge Kurve und machte sich auf den Weg zurück zu ihrem Horst. Das andere Wesen gab schnatternde und klappernde Geräusche von sich und folgte ihr bis zum Lavastrom. Diese Barriere konnte es nicht überwinden. Maranda hatte ihren Horst fast erreicht, als sie einen heftig stechenden Schmerz in ihrem Bein spürte. Das Wesen hatte sich mit seinen Mandibeln in ihrem Bein verbissen. Maranda war vor Schmerz nicht in der Lage, sich bei der Landung mit dem verletzten Bein abzustützen und rollte über die Plattform bis zum Eingang hinter ihrem Horst. Das Wesen hatte sie dabei verloren. Es stand am Rande der Plattform und starrte Sie mit glitzernden Facettenaugen an. Die sichelartigen Kiefer öffneten und schlossen sich langsam, während das Geschöpf mit einer langen Zunge das Blut von den Sicheln leckte. Es stammte von Marandas Bein.

      Maranda spürte, wie sich in ihrem Kopf eine Wärme entwickelte, die sich dann schnell über ihren Rücken bis in den Schwanz ausbreitete. Der Schmerz aus ihrem Bein ließ deutlich nach und sie fühlte sich auf einmal kräftiger als in jeder Minute ihres bisher sehr kurzen Lebens. Ohne Vorwarnung rannte das Wesen auf seinen sechs Beinen auf Maranda zu. Es öffnete seine Mandibeln weit und sah angsterregend aus. Maranda wartete die wenigen Sekunden ab, bis es sie fast erreicht hatte und sich die Kiefer-Sicheln in ihre Brust bohren wollten. Kurz bevor dies geschah, brachte sie sich mit einem leichten Flügelschlag aus der Gefahrenzone. Knapp unter ihr schlossen sich die Mandibeln mit einem klappernden Geräusch. Genau in diesem Moment schnappte Maranda mit ihrem kräftigen Raubtiergebiss zu und trennte den Kopf des Wesens vom zweigliedrigen Rumpf. Violettes Blut spritzt in feinen Tröpfchen durch die Luft und färbte Horst und Höhlenwände. Maranda wandte sich ihrer ersten Jagdbeute zu, um den Hunger zu stillen.

      Wochen waren vergangen. Maranda hatte gelernt, wie die schwarzen Insekten gejagt werden mussten, um ohne Aufwand den großen Hunger zu stillen, den ihr stetiges Wachstum bedingte. Sie schlief nun in einer der großen Schlafstätten in den Gemächern ihrer Höhle, da der Horst schnell zu klein für sie geworden war. Ihr Fliegen war stetig besser geworden und entsprach nach kurzer Zeit bereits dem Flug einer riesigen Schwalbe.

      Das Licht aus dem Lichtschacht, das das Schlafgemach erhellte, kündigte den frühen Morgen eines neuen Tages an, als Maranda wiederum spürte, dass etwas aus der Schatzkammer sie rief. Sie erwachte und schaute sich um. Wie immer war keine Bewegung zu erkennen. Jedoch konnte Maranda den Versuch der Kontaktaufnahme nicht aus ihrem Kopf verbannen. Der Gedanke, der sich in ihrem Kopf festgesetzt hatte, trieb sie in den Raum mit den Geschmeiden. Maranda ließ ihren Blick über die Schätze wandern, die sich trotz des nur schwachen Lichtes deutlich von dem glatten, dunkeln Gestein der Wände des Raumen abhoben. Suchend schickte sie ihre Gedanken in den Raum, um den Versuch der Kontaktaufnahme zu erwidern. „Komm zu mir“, schien die freundliche Antwort direkt aus dem Berg aus Gold zu kommen. Maranda ging zu den Schätzen und begann, diese vorsichtig zu untersuchen. Sie nahm dabei viele der