Peter Padberg

Tarris


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ist und ich ungeduldig bin. Berichte ihnen, was hier passiert ist.“ Trotz der Furcht und der unermesslichen Trauer um seine Leibgarde, die ihn erfüllte, wollte „Felswandlos“ nicht aufgeben und entschloss sich zu einer drastischen Maßnahme. Er gab das Zeichen.

      Die Brücke unter Dakarons Füßen zerfiel zu Staub. Er stürzte dem weit entfernten Dschungel entgegen. Sein Blitz, den er auf „Felswandlos“ schleuderte, war schlecht gezielt und zerbarst an der glatten Mauer neben dem Tor in tausende kleiner Funken, die mit ihm in die Tiefe segelten. Er rief die Fledermaus, die sofort zu ihm eilte. Er konnte sie sehen, als er, umgeben von einem magischen Schutzfeld, in die Baumwipfel des Dschungels krachte. Er spürte, wie das Schutzfeld seine Konsistenz verlor und sein linker Arm und sein linkes Bein durch die Macht des Aufschlages brachen. Verletzt stürzte er weiter, gebremst durch die Äste der Bäume, bis er den Boden erreichte. Der Aufschlag war wiederum überaus schmerzhaft und benommen blieb er auf dem Boden des Dschungels liegen. Er musste sich heilen, er musste sich schnell heilen, bevor die Fledermaus eintraf. Dakaron sog die Energie alles Lebenden in seiner Umgebung in sich auf. Im Umkreis von vielen Schritten welkten die Pflanzen und starben die Tiere – vom kleinsten Insekt bis zu einigen großen Echsen. Alles Leben in diesem Kreis wanderte in seinen Körper und heilte die Verletzungen. Er stand auf und fühlte sich – bis auf die Erinnerung – genau wie noch vor wenigen Minuten. Seine unendliche Wut steigerte sich weiter. Die Fledermaus landete neben ihm – zu spät aus seiner Sicht der Dinge. Sie würde ihre Strafe erhalten; dies würde er nicht vergessen! Auch die Bewohner der Festung würden ihre Strafe erhalten – alle!

      Dakaron saß auf und flog mit der Fledermaus zu dem Turm neben dem Tor. Von den Mauern kamen ihm hunderte von Pfeilen entgegen, die er mit einem Gedanken in der Luft vor sich verglühen ließ, lange bevor sie ihn erreichen konnten. Er lenkte sein Reittier über die Mauer zum Fuße des Turmes, vor dem sich ein größerer Platz befand, der geschmackvoll angelegt und mit vielen Pflanzen begrünt war. In der Mitte des Platzes stand „Felswandlos“ auf seinen vier Beinen; hinter ihm befanden sich einige seiner Untergebenen. Dakaron landete wenige Meter vor „Felswandlos“. Die Jorka-Krieger, die sich hinter „Felswandlos“ befanden, zielten ausnahmslos mit großen, seltsam geformten Bögen auf ihn. Er schenkte den Jorka keine Beachtung und wandte sich seinem Reittier in Gedanken zu: „Du hast mich im Stich gelassen, als ich dringend Deine Hilfe benötigt habe!“ Mit diesem Gedanken, den auch jeder der Jorka auf dem Platz verstehen konnte, rammte er seine Faust durch das Auge der Fledermaus in ihr Gehirn. Während ihr Hirn von seinem Arm auf den Boden tropfte, wandte er sich an „Felswandlos“. „Du weißt was Du zu tun hast. Ich gebe Dir eine Stunde, um meinen Befehl auszuführen. Jede Minute, die du länger benötigst, wird einer der Bewohner dieser Festung sterben.“ „Felswandlos“ erbleichte und seine dunkelblaue Haut wandelte sich in ein helles Himmelblau. Bis Vertreter der Führung die Festung erreichen könnten, würden viele Stunden vergehen. „Es wird einen Tag dauern, bis Kaiser „Spiegelglas“ hier bei uns sein kann. Der Weg ist weit und nicht schneller zu schaffen!“ Dakaron blickte ihm mit eisiger Kälte in die Augen, wandte sich ohne eine weitere Bemerkung um und betrat den Turm.

      Der Schwarzmagae blickte aus dem obersten Zimmer durch ein größeres Fenster auf die Festung. Das Plateau, auf dem sich die Festung befand, war größer als erwartet. Direkt hinter den Mauern befanden sich die Lager der Krieger. Es waren viele Häuser, die unverkennbar diesem Zweck dienten und rund fünfhundert Soldaten beherbergten. An die Kasernen schlossen sich die Häuser der Kaufleute und Handwerker an. Viele Straßen liefen sternförmig von einem Platz vor den Felswänden in Richtung Mauer. Es lebten weit mehr Jorka in der Stadt als er vermutet hatte. Trotz seines Angriffes herrschte ein buntes Treiben in den Straßen. Dies würde sich bald ändern. Dakaron blickte zu den leuchtenden Steinen der Höhlendecke, die dort den Lauf der Sonne nachahmten. Die Zeit war abgelaufen. Er machte sich auf den Weg, um sein grausames Werk zu beginnen.

      Als er auf den Platz trat, war der Turm von Kriegern umringt. Sie standen in Gruppen um seltsam gekleidete Jorka herum, deren magische Begabung Dakaron spüren konnte. Vor den Kriegern standen Felswandlos und ein weiterer, sehr alt aussehender Jorka. Dakaron wandte sich an Felswandlos: „Die Stunde, die Du hattest, ist verflossen. Wie ich sehe, hast Du jemanden mitgebracht. Ist er befugt, für Dein Volk zu sprechen?“ Felswandlos blickte Dakaron abschätzend an. „Steinbieger gehört dem unteren Rat an. Er kann erste Verhandlungen mit Dir führen, bis Kaiser Spiegelglas uns erreicht hat. Er selbst hat sich auf den Weg gemacht und wird bald eintreffen. Er befand sich in der Nähe.“ Erneut spürte Dakaron, wie diese grenzenlose Wut in ihm aufstieg. Sein Befehl war nicht wortgetreu ausgeführt worden und so fixierte er Steinbieger mit rot schimmernden Augen und versuchte, in dessen Geist einzubrechen. Es gelang ihm nicht. Der alte Jorka war geübt darin, seinen Geist zu schützen und Dakaron spürte eine mächtige Magie in ihm, konnte diese Magie aber nicht richtig verstehen. Sie war anders als seine dunklen Kräfte, entsprach aber auch nicht der Art, die diejenigen verwendeten, die die Macht der Magie bereits im ersten Kampf besiegt hatten.

      Ohne weiter darüber nachzudenken und im Vertrauen auf seine Kräfte beschwor er einen starken Blitz und schleuderte ihn gegen Steinbieger. Kurz bevor der Blitz Steinbieger erreichte, zerbarst er in tausende von rot und gelb glühenden Funken, die wie von Zauberhand über die Hülle einer großen Halbkugel zuckten. Während die Funken noch verblassten, griffen die seltsam gekleideten Jorka an. Dreizehn grüne Kugeln schwebten auf Dakaron zu. Der gesamte Platz und die den Platz umgebenden Mauern wurden in einem hellen Grünton von den Kugeln beleuchtet. Es sah gespenstig aus. Dakaron webte einen Schutzzauber, aber bevor dieser abgeschlossen war, versuchte nun Steinbieger, in den Geist des Schwarzmagae einzudringen. Dies störte Dakaron bei der Errichtung seines Schutzes. Sein Zauber war schwächer als gewünscht, aber stark genug um die erste eintreffende grüne Kugel abzulenken. Die Flugbahn änderte sich und die Kugel wurde zur Seite geschleudert. Sie traf ein nahe stehendes Haus, das augenblicklich in einer gewaltigen Explosion aus grünem Licht verging. Dakarons Geist schüttelte die Gedanken von Steinbieger ab wie ein nasser Hund Wasser aus seinem Fell entfernte. Gleichzeitig verstärkte er den Schutzzauber. Zu spät. Mehrere Kugeln gleichzeitig trafen Dakarons Schutzwall. Einige wurden abgelenkt wie die erste Kugel, aber zwei explodierten kurz vor Dakaron. Auch wenn die zerstörerische Energie nicht durch den Wall drang, so entwickelte sich doch eine starke Hitze. Auf Dakarons rechter Gesichtshälfte bildeten sich in kurzer Zeit große Brandblasen und verursachten starke Schmerzen. Wiederum wurde sein Schutzwall durch die Ablenkung schwächer. In diesem Moment schossen die Krieger ihre Pfeile ab. Einer durchbrach den Schutz und drang schmerzhaft in Dakarons Oberschenkel ein. Er hatte nicht mit solcher Gegenwehr gerechnet. Beflügelt durch seine Wut schlug Dakaron zurück. Chaos brach aus. Blitze zuckten ohne Unterbrechung aus seinen Händen und zerbarsten auf der dem Schutzwall der Jorka. Die ersten zerstoben wieder in Funken, aber die Kraft der Jorka ließ nach. Ein erster Blitz drang durch den Schutzschild und erreichte eine der Jorka-Gruppen. Ekelhafter Geruch verbrannten Fleisches breitete sich auf dem Platz aus und die Schmerzensschreie der Verletzten hallten von den Wänden der umgebenden Gebäude wieder. Dakaron war durch die Verbrennungen und die tiefen Pfeilwunden in seinen Oberschenkeln geschwächt. Ihm wurde bewusst, dass er am heutigen Tag keinen Erfolg haben würde, dass die Unterwerfung der Jorka zudem deutlich schwieriger sein würde als er vermutet hatte.

      „ES REICHT“. Die Botschaft riss ihn wegen der großen Lautstärke und der Klarheit der Worte aus der Vorbereitung eines Heilungszaubers. Auf dem Platz war ein weiterer, beeindruckender Jorka aufgetaucht. Er war in rosarote, metallisch glitzernde Metallgewänder gekleidet, die an ein Kettenhemd erinnerten. „WER BIST DU?“. Ohne auf eine Antwort von Dakaron zu warten, zog der Jorka ein mächtiges, ebenfalls rosarot glitzerndes Schwert und ging mit schnellen, vierbeinigen Schritten auf ihn zu. Als das Schwert Dakarons magischen Schutzwall berührte, brach dieser funken- und blitzesprühend in sich zusammen. „Ich bin Spiegelglas und ich dulde nicht, dass Zauberer von Tarris in unser Reich eindringen.“ Mit diesen Worten führte er einen mächtigen, senkrechten Schlag mit seinem Schwert gegen Dakaron, der ihn links von seinem Hals traf und seinen Körper bis auf Hüfthöhe spaltete. „Ich will dieses Schwert“, dachte Dakaron. Dann wurde er grau, verblasste und löste sich in Staub auf. Kein Tropfen Blut blieb zurück, als der Staub erst Dakarons ursprüngliche Gestalt annahm und dann in einem sich immer schneller drehenden Wirbel verblasste.