Peter Padberg

Tarris


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besetzte Kronen, Dolche, Ringe und eine Vielzahl anderer Geschmeide, die allesamt höchsten Handwerkskünsten genügten. Maranda hatte gerade ein silbernes Kettenhemd in Ihre Pfoten genommen, als ihr der darunterliegende Ring auffiel. Obwohl er golden schimmerte, schien er doch aus einem anderen Material zu sein. Er war mit einem wunderbar rötlich leuchtenden Stein besetzt und mit feinen Mustern verziert. Maranda legte das Kettenhemd zur Seite und griff nach dem Ring. Im Moment der Berührung glühte der Stein des Rings in einem tiefen Rot auf, als wenn Leben in ihm wäre. Gleichzeitig fühlte Maranda die mittlerweile vertraute Wärme der Magie, die zwischen ihr und dem Ring hin und her wanderte. Maranda fühlte sich unendlich stark; der Ring verlieh ihr Kraft. Er flüsterte in ihrem Kopf. „Willkommen Maranda. Ich bin Feuerfreund. Setze mich auf Deinen Finger.“ Maranda sah sich zweifelnd den Ring an. Auch wenn sie lange noch nicht ausgewachsen war, war der Ring für ihren Finger deutlich zu klein. Im Moment dieses Gedankens dehnte sich der Ring exakt auf die Größe von Marandas kleinstem Finger. Maranda stülpte ihn auf den Finger. Der Ring zog sich ein wenig zusammen und saß fest und leuchtend hinter der Klaue. Er gefiel Maranda außerordentlich gut und sah so aus, als wenn er schon immer dort hin gehört hätte.

      „Was bist Du?“, wandte sich Maranda an den Ring auf ihrem Finger. Es kam ihr in keiner Weise merkwürdig vor, mit einem Geschmeide Gedanken auszutauschen. Der Ring schien nachzudenken, bevor sich eine Flut von Bildern in ihren Kopf ergoss. Es war wie eine lange Erzählung, in der der Ring erläuterte, wie er magisch geworden war und eine Art Bewusstsein erlangt hatte. Er selbst konnte nichts tun, konnte jedoch die Macht eines magisch begabten Wesens dramatisch verstärken und lebte mit diesem in einer Art Symbiose, von der beide in vorzüglicher Weise profitierten. Er war immer schon Diener und Partner eines Drachen gewesen und hatte mit diesem viele Abenteuer, Kämpfe und Schlachten erlebt. Der Drache war vor vielen hundert Jahren von einem Magae getötet worden und Feuerfreund war dann in diesen Raum gebracht worden. Er wusste seit Jahrzehnten, dass Maranda ebenfalls magische Fähigkeiten haben würde und wartete geduldig auf ihr Schlüpfen. Feuerfreund leitete all seine Erfahrungen und sein Wissen, dass er im Laufe der Zeit erworben hatte, an Maranda weiter. Es war unglaublich. In wenigen Momenten wusste Maranda, was ein Jahrhunderte alter Drache wusste – und war, von einem Moment auf den anderen, erwachsen. Wenn auch nicht an Körpergröße. Feuerfreund zeigte ihr, welche Dinge sie beide zusammen vollbringen konnten und Maranda war erschrocken über die gewaltige Macht, über die sie nun verfügte. Diese Macht würde ihr helfen, die verschlossene Höhle zu verlassen.

      Der Flug vom Horst zum Erdrutsch war ein Erlebnis für Maranda. Sie nahm die Luft so deutlich wahr, als wenn sie ein Lebewesen wäre, das ihren Körper und ihre Schwingen umschmeichelte. Ihre Flügelschläge waren deutlich kräftiger und die Geschwindigkeit, mit der sie flog, wäre ihr noch vor einer Stunde als unglaublich vorgekommen. Sie war begeistert von ihren Fähigkeiten und flog übermütig eine Rolle um die Brücke, bevor sie sich zum Ende der Höhle und zum verschütteten Eingang aufmachte. Sie flog zu einem kleinen Steinhügel, der ungefähr fünfzig Schritte von dem Erdrutsch entfernt war. Maranda konzentrierte sich und sammelte die magische Energie. Durch das Wissen, das Feuerfreund an sie weitergegeben hatte, wusste sie genau, was zu tun war. Während sie von einer großen Wärme erfüllt wurde, lief die magische Energie wie Peitschenhiebe von Feuerfreund zu ihr und wieder zurück. Dieser Vorgang wiederholte sich im Bruchteil einer Sekunde mehrfach und mit jedem Peitschenhieb schaukelte sich die Kraft weiter auf und wurde stärker und stärker. Der Moment war gekommen. Die Magie strömte aus Feuerfreund als rot leuchtender Blitz mit ungeheurer Geschwindigkeit in Richtung Felsrutsch. Feuerfreund schickte ihr seine Freude über das erste gemeinsame Handeln in einem Gedanken. Die Energie traf auf den Fels und verflüssigte ihn in kurzer Zeit. Die Hitze und die Helligkeit des brennenden Steines waren überwältigend. Das Feuer leuchtete in schimmernden Rot- und Goldtönen. Die Energie fraß sich durch den Stein und hinterließ einen runden Gang, durch den auch ein ausgewachsener Drache bequem hätte fliegen können. Der Durchbruch ins Freie erfolgte mit einem lauten Knall, als heiße Luft nach Draußen strömte.

      Maranda stoppte den gewaltigen Strom der magischen Energie. Nachdem sich der Qualm verzogen hatte, konnte sie blauen Himmel am Ende des Ganges erkennen. Die magische Energie hatte sich fast zweihundert Schritte durch den Fels geschnitten und einen absolut geraden Gang mit Wänden ohne jeden Makel hinterlassen. Die Wände schimmerten leicht wie schwarzes Ebenholz. Es duftete nach Schwefel. Maranda stand erschöpft auf ihrem Hügel und schaute sich verwundert um. Es hatte sich ein See aus flüssigem Stein gebildet, der langsam erstarrte und so eine glatte große Fläche bildete. Aus der Mitte der Fläche ragte ihr kleiner Hügel wie eine Insel hervor. Da der neu geschaffene Gang in einem leichten Winkel nach oben zeigte, war das Gestein zurück in die Höhle geflossen. Wiederum nutzte Maranda ihre neuen Kräfte und beschleunigte so ihre Erholung nach der großen Anstrengung. Maranda konnte es kaum erwarten. Sie schwang sich in die Höhlenluft und flog durch den Gang. Mit einem Freudenschrei verließ sie die Höhle. Maranda war befreit.

      Sternenstaub

      Zwei Wochen waren bereits vergangen, seit Karameen in Richtung der Täler südlich von Hornstadt aufgebrochen war. Fanir wartete sehnsüchtig auf ihre Rückkehr, da er die magischen Übungen mit ihr fortsetzen wollte.

      Seit dem Erntefest, an dem Fanir Gandaros das erste Mal getroffen hatte, war mehr als ein halbes Jahr vergangen. Heute war es bereits am frühen Morgen spürbar, dass der Sommer auch in den Bergen von Tarris nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Fanir saß zusammen mit Maurah auf der Holzbank vor dem Haus von Maurahs Familie. Die Sonne verbreitete bereits eine wohlige Wärme, die in der windgeschützten Ecke, in der die Bank stand, deutlich zu spüren war. Beide hingen ihren Gedanken nach und Fanir dachte an die Monate seit seinem ersten Treffen mit Karameen zurück. Auch wenn noch nicht viel Zeit vergangen war, hatte sie ihm seitdem viel über die magischen Künste beigebracht. Vieles von dem, was er vorher auch nur ahnen konnte, wusste er nun anzuwenden. Eine vollkommen neue Erkenntnis für ihn war der geistige Kontakt zu anderen Lebewesen. Er liebte dies und versuchte so oft wie möglich, die Gedanken anderer Lebewesen zu verstehen oder auch, sich in diese zu vertiefen. Ähnlich wie Maura vermittelte er den Lebewesen, die er beeinflussen wollte, einen Wunsch. Jedoch verband er dies mit einer Art geistigen Befehl, der immer dazu führte, dass das beeinflusste Lebewesen seiner Absicht folgte. Auch wenn diese Art seiner magischen Fähigkeiten nicht so ausgeprägt wie bei Maura war.

      Es war eine harte Zeit gewesen, da er auch im Schwertkampf noch vieles lernen musste. Nachdem Gandaros mit Lortir gesprochen hatte, waren die Übungen im Kampf deutlich schwieriger und anspruchsvoller geworden. Fanir hatte in der recht kurzen Zeit alle Tricks von Lortir lernen müssen und konnte nun seinen Lehrmeister – trotz seiner Jugend und ohne Einsatz seiner magischen Kräfte – mit etwas Glück im Zweikampf besiegen. Er war zu einem außergewöhnlichen Schwertkämpfer gereift, aber abgeschlossen war sein Training noch lange nicht. Er verbrachte weiterhin zwei Drittel eines jeden Tages mit Lortir, der viel Wert darauf legte, dass er jeden Schlag und jede Art der Verteidigung instinktiv und ohne nachzudenken anwendete. Auch musste er seine Kraft, seine Ausdauer und seine Reittechnik verbessern und lernen, mit dem Schwert vom Sattel aus zu kämpfen. Dies fiel ihm zu Anfang schwer, da das Reiten bei den Menschen im Gebirge wenig verbreitet war.

      Auch Maurah erhielt eine Ausbildung von Lortir. Sie übte weniger mit dem Schwert und konzentrierte sich auf das Bogenschießen. Mit der Zeit war sie zu einer treffsicheren Schützin geworden. Als Karameen merkte, wie gut sie mit dem Bogen umgehen konnte, brachte sie ihr eines Abends einen Bogen als Geschenk mit. Einen solchen Bogen hatte Fanir noch nie gesehen. Er war aus weißen Drachenknochen gefertigt und an den Enden und in der Mitte waren Runen und Verzierungen aus einem schwarzen Metall in den Knochen eingelassen. Am oberen Ende befand sich eine Aussparung, wo Platz für eine weiter Rune war. Obwohl der Bogen deutlich größer war als die Jagdbögen, die in Hornstadt verwendet wurden, war er wesentlich leichter als diese. Es war eine handwerkliche Meisterleistung aus alten Zeiten und Karameen erklärte, dass Maurah magische Energie in ihn fließen lassen können, um Treffsicherheit, Reichweite und Durchschlagskraft zu erhöhen. Seit Maurah den Bogen hatte, verfehlte Sie kein Ziel. Jeder Pfeil traf.

      Fanirs Nachdenken wurde unterbrochen, als er bemerkte, dass Lortir mit drei Pferden den Weg zu Maurahs Haus hinaufkam.