Agnes Schuster

Im Schatten der Corona


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allezeit gemalt, auch schon als Kind, aber als Amateurin und Autodidakt wollte ich mich nicht zufrieden geben, sondern wollte mehr hoch hinaus, wie es so ist als heranwachsender Mensch. Darum studierte ich Malerei an der Kunstakademie, um eher als Künstlerin Anerkennung zu erlangen, stellte ich mir damals vor. Es kam mir auch auf Prestige drauf an, nämlich. Aber Adam, der mich nach dem Kunststudium gleich heiratete, hielt nichts von meiner Kunst, ließ mich nicht hochkommen; indem er manche meiner Kunstausstellungen mit Gewalt verhinderte. „Koche, putze, pass auf deine Tochter auf!“, schrie er wiederholt im Zorn. Ich musste mich ihm schweren Herzens fügen und Ambition und Liebe zum Malen hintanstellen. So ist es bis heute geblieben. Er wirft mir unsoziales Verhalten vor, was aus der Luft gegriffen ist, denn ich habe mich immer bestens in der Familie integriert und engagiert, mich darin bestens bewährt und alle familiären Aufgaben erfüllt. Meine Tochter war glücklich mit mir und lobte mich. Es ist bloß Bosheit, mir Gegenteiliges vorzuwerfen. Als meine Tochter noch zuhause war, hielt er sich in ihrer Gegenwart mit Angriffen mir gegenüber meistens zurück, aber nicht immer. Wenn er mich im Beisein des Kindes angriff, weinte es und bat: „Bitte, Papa, sei nicht böse zur Mama!“ Dass meine Tochter mich mochte, war mir immer ein großer Trost. Ich war für sie immer eine gute Mutter, die sie niemals vernachlässigt hat, sondern gefördert, geliebt und erfreut. Ich schluckte seine aggressiven Angriffe wie bittere Pillen hinunter. Trostlos verliefen meine Ehejahre bis heute wie für Menschen im Gefängnis, glaube mir. Nein, dieser Vergleich hinkt nicht, Elli. Und als meine Tochter aus dem Haus ging und heiratete, machte mich dies sehr traurig und furchtsam, denn jetzt wurde Adam noch viel grausamer zu mir. Die häusliche Gewalt nahm vermehrt zu. Neulich sagte ich zu ihm: „Du bist ganz unmöglich zu mir geworden, Adam. Warum nur? Was feindest du mich so ungeheuer an! Du schlägst mich zu viel! Wenn es in unserer Ehe nicht mehr klappt, müssen wir auseinandergehen. Das ist die Regel. Wir müssen uns daher so schnell wie nur möglich trennen!, schlage ich dir vor.“

      „Was, du muckst auf!“, schrie er voll Zorn. „Was fällt dir ein!, gleich schlage ich dir den Schädel ein!“

      Ach, so gemein kann er sein, so bedrohlich in seiner Ausdrucksweise, die von Jahr zu Jahr noch mehr zu wünschen übrig ließ. Sie wurde vulgär, als käme er, der Architekt, aus der Gosse und nicht aus gutem Hause.“

      Beim miteinander Telefonieren stießen sie unter anderem auch auf ihre gemeinsame leidenschaftliche Liebe zur Natur. Sie freuten sich auf den kommenden Frühling, der schon vor der Tür stand. „Dann treffen wir uns endlich“, sagte Doris, „und machen Spaziergänge durch Frühlingsalleen.“

      „Ja, das machen wir“, antwortete Elli, „denn wir haben jetzt voneinander viel erfahren und festgestellt, wir verstehen uns prächtig und wollen uns mit vereinten Kräften von unserem Ehepartner trennen, nicht wahr.“

      Schnell sprangen sie im Gespräch hin und her, von der widerwärtigen Gegenwart zurück in alte, verweste, aber noch nicht ganz verblasste Zeiten, die ihnen noch weiterhin zusetzten. „Hätte ich dich nicht, Elli, verzagte ich“, gestand ihr Doris, „denn du bist die tragende Figur, du gibst mir Kraft durch deinen Beistand und deine Zuwendung. Mein undankbarer Mann, Adam Wick, lässt sich seit eh und je von mir verwöhnen wie ein Pascha; er besteht darauf, bedient zu werden wie ein Kleinkind. Nichts trägt er bei im Haushalt, auch finanziell nicht; da nützt er mich richtig aus, ja, presst mich aus. All mein Geld will er haben. Im Beruf sitzt er am Zeichentisch und schmiedet Baupläne am laufenden Band, sagt er, nichts als Baupläne bis tief in die Nacht hinein, was ich nicht glauben kann, vielmehr verbringt er vermutlich Abend für Abend und auch die Wochenenden bei seiner Geliebten. Wenn er daheim ist, liegt er meistens faul auf dem Sofa, guckt freudlos in die Luft und trinkt seine Mass Bier Schluck für Schluck. Er weiß noch gar nicht, konfrontierte ihn noch nicht damit, dass ich jetzt endlich vorhabe, ihn zu verlassen, sobald sich eine günstige Gelegenheit auftut. Dies will ich auf keinem Fall mehr verschieben. Nichts soll in dieser Richtung verschleppt werden, dafür plädiere ich. Eine Verschleppung bringt abermals eine Verschleppung hervor, so die Erfahrung zeigt, nämlich eine Reihe von Verschleppungen, was von großem Übel ist, weil dies zur Stagnation führt. Dann würde nichts aus unserem Vorhaben. Mein ausgeheckter Plan steht so fest wie der deinige, Elli, das musst du wissen. Ich habe genug von meinem Mann! Dem Betrüger und Schläger! Meine Unzufriedenheit wächst und steigt von Tag zu Tag und dies fällt Adam stark auf, das schon. Er nennt mich bereits Feministin und Emanze, wenn ich anspreche, dass Frauen auch Rechte haben.“

      „Mein Mann, Jupp Kappel, ist der gleiche wie deiner, Doris, kein bisschen besser“, antwortete Elli, „sie ähneln sich offenbar in ihren Gewohnheiten, Verhaltensweisen und im Benehmen. Sie sind Wahlverwandte auf schlechter Basis, was einfach die Wahrheit und kein Vorurteil ist. Bei uns beiden, Doris, existiert nur eine Schlechtigkeit, nämlich Mutlosigkeit und Unterwürfigkeit und vielleicht auch ein Stück Feigheit. Von Tapferkeit kann bei uns keine Rede sein, schon eher von Schmerzbereitschaft und Ausdauer und Friedfertigkeit, denn was wollten wir anderes, als Frieden mit unseren Männern schließen, die jedoch lehnten dies ab und blieben weiterhin gewaltbereit. Also ist eine Scheidung unabdingbar. Es bleibt uns kein anderer Ausweg mehr. Tapfer erzeigten wir uns nicht, weil wir uns vor ihnen kontinuierlich geduckt haben, nicht wahr. Nie haben wir uns aufgelehnt, nie revoltiert gegen ihre ungerechtfertigten Maßnahmen und Widrigkeiten. Widerspruchslos haben wir alles Widerwärtige und Boshafte, das uns von ihnen kam, hingenommen, als sei dies Normalität uns Frauen gegenüber. Wir ließen ihnen unsere Verachtung nicht spüren. Gefahr drohte uns von ihnen, gewiss, wir hatten Furcht und große Angst auf der Strecke zu bleiben. Dadurch verstärkten sich unsere Vorsicht und Achtsamkeit und dies wurden zu unseren Stärken. Wir ahnten intuitiv, was sie Böses im Schilde führen. Um sie zu sänftigen, gaben wir uns äußerlich freundlich und nicht nachtragend, auch wenn es in unserem Innern kochte. Einmal warf ich ihm vor: „Ich muss für alles im Haushalt aufkommen, alles muss ich aus meiner eigenen Tasche bezahlen, sogar die anfallenden Reparaturen am Haus, das dir gehört und nicht mir. Dies finde ich höchst ungerecht und seltsam!“

      Da riss es ihn hoch vom Hocker und schrie aus Leibeskräften: „Ich stelle dir mein schönes Haus mit dem Vorgarten und dem hauseigenen Park zur Verfügung und du meckerst herum! Das ist doch die Höhe! Unentgeltlich lasse ich dich bei mir wohnen! Sei also dankbar, sonst werfe ich dich zuletzt noch hinaus, garstiges Weib!“

      Daraufhin antwortete ich: „Ich habe dich nicht wegen deinem schönen Haus geheiratet, Jupp. Ich hätte dich damals aus Verliebtsein auch mit einer kleinen Dachwohnung im verrußten hässlichen Industrieviertel der Großstadt zum Ehemann genommen oder, falls du keine Immobilie gehabt hättest, hätte ich dich in meiner eigenen Wohnung wohnen lassen.“ Hierauf sagte er nichts mehr und zog sich verdrießlich mit hängendem Unterkiefer zurück. Doris, er gibt sein ganzes Geld nur für seine Weltreisen und seine Prostituierten aus, das darfst du glauben. Außerdem hat er im Leben verdammt wenig mit mir geschlafen, was ich sehr vermisste und entbehrte. Seine Libido hat er Nutten geschenkt. Zärtlichkeiten wie Küsse existierten nicht. Außerdem haben wir uns nur wenig unterhalten. Das Gespräch mit mir suchte er nicht. Fing ich ein Gespräch an, verstummte es bald. Ich war ihm nicht eloquent genug, glaube ich. Wenn gesprochen wurde, dann immer nur er im Monolog. Er ließ mir keinen Raum für Gegenrede. Er verbot mir den Mund geradezu. Wir redeten, wenn überhaupt, bloß über Alltägliches. Einmal sagte ich zu ihm: „Ich habe außer der Arbeit einer Wirtschafterin, Dienerin, Gärtnerin, Köchin und Geldgeberin nichts mehr mit dir zu schaffen. Meine Berufstätigkeit als Übersetzerin leidet darunter und kommt viel zu kurz. Den ganzen Tag bin ich mit Hausarbeit beschäftigt. Ich wasche deine Wäsche und bügle sie, putze deine Schuhe, richte dir jeden Morgen das Bett und dein Frühstück zurecht, bereite dir einen Braten und so fort. Wehe mir wenn deine vier Croissants nicht pünktlich auf dem Tisch liegen zum Frühstück, dann brüllst du, dass das Haus wackelt. Du unternimmst während der Semesterferien lange ausgiebige Reisen bis ans Ende der Welt ohne mich und gibst vor, sie seien beruflich bedingt, was ich nicht mehr glauben kann. Du machst mir da was vor.“ Ja, so sagte ich kürzlich zu ihm, wobei er mich links und rechts ohrfeigte, dass es nur so klatschte, weil meine Aussagen ihm gegen den Strich gingen und seinen unbändigen Zorn herausforderten. Ich fiel hinterher ins Bett und weinte stundenlang.“

      „Ach, Elli“, antwortete Doris, „unser beider Leben ist verpfuscht, zumindest bitter beklagenswert geworden. Ich selber fühle mich so zerschlagen und alleingelassen.