Agnes Schuster

Im Schatten der Corona


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schon stiegen sie in ihr akutes brennendes, allzeit gegenwärtiges aktuelles Thema ein, das sie bewegte, nämlich, sich vom Partner zu trennen, ein kompliziertes Verfahren, wie sich herausstellte. Sie wälzten es wiederholt hin und her in ihren diversen Gedankengängen und Gesprächen, worüber sie bis dato leider noch keine akzeptable Lösung, kein entscheidendes Resultat gefunden hatten. Ach, es zog sich in die Länge! Es verschleppte sich wider ihren Willen, denn es herrschte für sie beide nicht nur die Partnerkrise, sondern auch noch zusätzlich die genauso gefährliche Corona-Krise, die beide tödlich enden konnten, eine Doppelbelastung, wie sich herausstellte, vor der sie bangten und sich schützen mussten.

      Erst Februar/März 2020 hörte Elli zum ersten Mal von dieser aus China ausgehenden verheerenden Infektion, die mit der grausamen spanischen Grippe verglichen wurde. So weit weg, dachte man jetzt in Europa, und ignorierte diese Corona-Infektion lange, bis sie dann plötzlich vor der Haustüre stand und die ersten Infizierten und Todesfälle gemeldet wurden. Jetzt erst läuteten die Alarmglocken Sturm. Es gab fast überall in Europa und auf allen Kontinenten wahnsinnig viele Infektionen und Tote. Meist betraf es ältere Leute, Rentner und am allermeisten Bewohner von Alten- und Pflegeheimen. Elli verfolgte täglich die Pandemie-Nachrichten und die nie abreißenden Debatten darüber, wobei sie sich von Tag zu Tag mehr ängstigte, selber an dieser lebensgefährlichen Virusinfektion zu erkranken. Sie fragte sich schließlich, als sich bei ihr plötzlich Atemnot einstellte: „Habe ich mich vielleicht bereits angesteckt? Vielleicht beim Gang zum Supermarkt oder zur Apotheke oder zum Bäcker, als ich morgens die Croissants für Jupp holte und lange inmitten einer Menschenschlange stand?“

      Und noch immer erzählten sich die Freundinnen telefonisch Ereignisse aus dem Eheleben. Sie kamen einfach nicht darüber hinweg; zu tiefe Risswunden hatten sie davongetragen, sodass diese nicht von heute auf morgen ausheilen konnten.

      „Von Ausreden habe ich jetzt wirklich genug!“, sagte Doris. „Vor der Ehe habe ich mit meinen Jugendfreunden bessere Tage erlebt. Man lebte allein in seinem kleinen Studentenzimmer und die Freunde auch, die nur selten zu Besuch kamen. Freiheit und Unabhängigkeit stand plakativ an den Türen. Ach, damals gab es viel Abwechslung und Ablenkung, da fragte man nicht nach dem wie und wonach oder nach diesem und jenem, ob man sich auch treu gewesen oder nicht. Es war ja bloß Liebelei, weiter nichts. Man war jung und schön und allseits begehrt, außerdem so grenzenlos unabhängig und souverän, konnte tun und lassen, was man wollte und vor allen Dingen, man wurde nicht geschlagen, nicht seelisch gequält, nicht vorverurteilt und auf dem Pranger gestellt. Falls so etwas passiert wäre, hätte man sofort Abstand genommen als unverheiratete junge Person. Ach, Elli, zu solch freien Zuständen wünsche ich mich zurück. Niemals mehr eine Heirat! Niemals mehr ein festes Verhältnis! Das sage ich dir. Meine Ehe war ein Reinfall, ein Verhängnis, ein Missgeschick und wer weiß was alles und ist nun am Nullpunkt angelangt. Die Dominanz meines Mannes raubte mir den Verstand, nahm mir die Luft zum atmen. Ich habe genug! Ich hatte mich aus Liebe aufgegeben und hingegeben und ihn aus Leidenschaft geheiratet, denn anfangs gab er sich lieb und nett, stellte mir unaufhörlich nach und schwor mir ewige Liebe und Treue. Oh, dass ich nicht lache! Der Heuchler und Schönredner schmeichelte mir anfangs unendlich von früh bis spät bis tief in die Nacht hinein, aber eines Tages hörte er plötzlich damit auf, als sei der Strick gerissen, die Batterie leer. Eine Kehrtwende setzte ein. Ich war wie vom Blitz getroffen.“

      „Auch ich, Doris, hatte nichts zu lachen gehabt in meiner langen, miserablen Ehe. Auch Jupp ist ein Unmensch. Ich liebe ihn nicht mehr. Es ist mir, als habe er mir sukzessive, so nach und nach, mein Herz aus dem Leib gerissen. Komisch ist es jedoch, dass ich manchmal noch eifersüchtig reagiere, wenn er ohne mich auf Reisen geht oder nächtelang fortbleibt oder sich Mädchen ins Haus holt. Dann bin ich furchtbar verletzt und traurig, fühle mich einsam und verlassen, als sei ich eingemauert wie Antigone. Jetzt bist du für mich da, Doris, schon geht es mir besser, ich fühle mich bestärkt, verstanden und vor allem nicht mehr so schrecklich einsam und alleingelassen. Du wiegst manches auf. Jetzt auf einmal bei der Corona-Pandemie will Jupp mit mir schlafen. Ich sagte zu ihm, warum jetzt plötzlich bei der Corona-Pandemie? Da schwieg er und sah zur Seite. Ein Jahrzehnt lang mied er mich, wollte keinen Sex mehr mit mir. Nein, ich will keine Lückenbüßerin sein; denn, das weiß ich, ist einmal endlich die Pandemie vorbei, braucht er mich dazu nicht mehr. Ersatz hat er genug. Ich erwischte ihn vor einigen Jahren einmal, da ging er Hand in Hand im Stadtpark mit einem Mädchen spazieren und ich verfolgte sie ein Stück weit. Er drückte ihr fortwährend fest die Hand, während ich hinter ihnen herging. Ich konnte es nicht mehr ertragen, darum kehrte ich um, ging niedergeschlagen nachhause und warf mich weinend aufs Bett. Dies Erlebnis prägte sich tief bei mir ein. Damals war ich mit ihm erst 5 Jahre verheiratet. Vor der Ehe ging ich nur ein Jahr lang mit ihm und in diesem Jahr traf ich ihn nur selten, vielleicht 2x monatlich für jeweils ein Schäferstündchen um Mitternacht bei Kerzenlicht. Nie ging er mit mir aus. Diese Zeit war zu wenig, um ihn richtig kennenzulernen. Er wollte mich unbedingt gleich heiraten, Hals über Kopf. Dies war Absicht, Kalkül und Berechnung, wahrscheinlich brauchte er auf dem schnellsten Wege eine Hauswirtschafterin für sein Haus, so denke ich heute. Als ich das erste Mal in sein Haus trat, war es so unordentlich, dass ich sofort anfing, aufzuräumen. Da sagte er: „Du bist eine gute Hausfrau, dich heirate ich!“ Vermutlich hat er mich gar nicht geliebt, sondern nur so getan als ob. Nie gab er mir einen Kuss. Von Zärtlichkeit keine Spur und trotz alledem liebte ich ihn und nur ihn. Ich kann es heute nicht mehr begreifen, nicht mehr verstehen. Ich weiß, er hat mich das ganze Leben lang betrogen. Nach der Hochzeit glaubte ich eine Zeitlang, er sei mir treu, aber nein, er ging weiterhin fremd bis heute, kam nach Mitternacht heim und entschuldigte sich mit viel Arbeit an der Universität, als ob die Uni auch nachts geöffnet hätte! Oder er sagte, er müsse verreisen, müsse in Berlin und Frankfurt Vorlesungen halten oder aus wissenschaftlichen Gründen sogar in die USA, Paris oder nach London fliegen usw. und so fort. Darum auch, weil er kaum daheim war und mit mir wunderselten geschlafen hat, haben wir keine Kinder bekommen. Vermutlich wollte er keine, ich allerdings schon. Ich habe mich deswegen in meiner Einsamkeit sehr in meine Arbeit vertieft und viele Bücher übersetzt, was mir Spass machte. Außerdem lenkte mich mein Beruf schon immer von meinem Ehechaos ab.“

      „Elli, du Arme, es ist schon richtig, wenn wir uns gegenseitig bemitleiden, unterstützen und trösten. Wir müssen unseren Frust gelegentlich ablassen wie überschüssige Luft aus Gummireifen, bevor sie platzen, müssen einander unsere Leiden erzählen und ausspeien, damit wir sie sukzessive losbekommen. Unsere Ehemänner sind an Ekel nicht zu übertreffen! Ich kann dir noch manche Ereignisse erzählen, die ich mit meinem Mann Adam Wick erlebt habe, da wirst du stutzen.“

      „Doris, jetzt kommt gerade mein Mann daher, machen wir Schluss mit Telefonieren. Also bis morgen dann.“

      5. Kapitel

      Immer gab es jetzt Telefonate zwischen den zwei geschundenen Frauen und manchmal gleich mehrere am Tag. Elli wohnte mit Jupp in einem villenähnlichen Gebäude mit Garten und Parkanlage. Sie besaßen wenige Verwandte und Bekannte, die zu Besuch kamen. Sowohl Jupp als auch Elli waren Einzelkinder. Jupp besuchte an Wochenenden gelegentlich Freunde und Bekannte. Elli nahm er kaum mit und stellte sie nur selten jemandem vor. Langsam aber sicher lebten sie sich auseinander. Sie traf früher manchmal noch ihre alten Freundinnen, besonders die Junggesellinnen unter ihnen, bei denen sie auch manchmal über Nacht blieb, um jemandem ihr übervolles Herz auszuschütten, um dies ging es ihr eigentlich. Der Kummer trieb sie um, den sie mit gleichaltrigen Freundinnen besprechen wollte. Jupp war oft auf Reisen und wenig daheim. Man hatte sich nichts mehr zu sagen, die Redethemen gingen ihnen aus und deshalb schwieg man meistens, ging aneinander von morgens bis abends grußlos vorbei, ohne sich anzuschauen. Jupp Kappel, ein gelehrter prätentiöser willensstarker, durchsetzungsfähiger Dozent, lehrte offenbar auch als Gastdozent an anderen Universitäten der Welt. „Überall auf der Welt halte ich meine Vorlesungen“, betonte er mit großer Genugtuung in seiner Stimme und seinem Gesichtsausdruck, „auf die ich mich bestens vorbereiten muss, denn von nichts kommt nichts.“ Ja, er schien ein sehr ambitionierter Lehrer an der Universität zu sein.

      Das Leben Ellis ging weiter trotz allem. Der Auszug zog sich hin, verschleppte sich. Sie tauschte sich täglich telefonisch mit Doris aus, um so an der Stange zu bleiben, am Entschluss festzuhalten und an ihrer Auszugsplanung zu arbeiten trotz Corona-Pandemie,