Agnes Schuster

Im Schatten der Corona


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unternehmen und so schnell wie nur möglich. Wir müssen uns von ihnen unabhängig machen. Es gibt keine andere Alternative, keine andere Wahl, keine andere Option für uns beide. Bitte, verschleppen wir nichts. Es ist unsere einzige Chance, die wir noch im Leben haben.“

      „Ich habe auch genug!“, sagte Elli, „eines steht definitiv fest, unsere Ehemänner haben uns mit der Zeit psychisch zerstört und uns die Kraft zum Aufbruch geraubt. Rappeln wir uns auf mit unserer letzten Kraft, auch wenn unsere Nerven brachliegen wie ein Stoppelfeld im Herbst nach der Ernte. Ich bebe manchmal schon wie Espenlaub bei geringsten Anlässen und zucke nervös zusammen, so gereizt bin ich schon geworden. Noch liegt ein Berg Horror vor uns, den wir abtragen müssen.“

      „Ach, wäre das ganze Drumherum schon vorbei!, Elli. Ach, wäre ich schon geschieden! Darauf freue ich mich schon heute, wenn dieser Schrecken überstanden ist und wir beide in eigenen Wohnungen hausen, wo kein Ehemann mehr das Recht besitzt, uns aufzustören und zu belästigen. Adam ist der geborene Ehebrecher, der sich während der Ehe schon immer herausnahm, sich mit andern Weibern abzugeben, als sei dies das Normalste von der Welt. Nie gab er seinen Ehebruch zu. Einmal unterstand er sich sogar mir zu sagen und dies ist noch nicht lange her: „Eifersüchtiges Weib, höre mir zu, noch nie habe ich dich betrogen!, das schwöre ich dir beim allmächtigen Gott!“

      Elli, stelle dir diesen Lügenbold, diese gottverdammte ehebrecherische Kanaille vor!“

      „Das ist ja unerhört und beinahe Blasphemie! Doris, wir müssen couragiert an die Sache herangehen und sie mit Bravour meistern. Du wirst sehen, das werden wir, denn zusammen sind wir stark. Verzage darum nicht. Wir müssen es nur gründlich durchdenken, um keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und keine leichtsinnigen Fehler zu begehen, die durch Achtsamkeit zu verhindern sind. Vor allen Dingen müssen wir heimlich vorgehen, hinter dem Rücken der Männer. Sind wir dann geschieden, igeln wir uns ein in unseren neuen properen Wohnungen, Tür an Tür, gehen unserer Berufsarbeit nach, lesen Bücher und tun noch so viele schöne Dinge, die sich uns anbieten. Wir werden es uns gut gehen lassen wie Gott in Frankreich, wie man so sagt. Oft werden wir zusammen in gute Restaurants zum Essen gehen, Zugreisen machen, Wanderungen unternehmen, die Natur erkunden, uns in Wäldern aufhalten, um frische Luft zu atmen, aber auch die Kultur wird nicht zu kurz kommen, denn wir werden Ausstellungen, Konzerte und Opern besuchen und manchmal auch ins Kino gehen, so wie es uns gefällt. Wir werden außerdem für dich, Doris, Ausstellungen deiner Gemälde und Lesungen deiner Bücher organisieren, ganz gewiss. Unsere Unabhängigkeit werden wir feiern und auskosten. Mit Männern werden wir vorsichtiger Weise nicht mehr verkehren, unsere Zeit nicht mehr mit ihnen vergeuden, verplempern. Wir sind fertig mit ihnen. Wir werden uns nicht mehr an sie binden und überhaupt an ihnen keinen Gefallen mehr finden, denn viele sind es nicht wert. Lieber halten wir uns Männer ganz vom Leibe, ja, von vorne herein auf Distanz. Dies wird absolut das Beste sein, was wir tun können. Wir sind zwei gebrannte Kinder und haben Schaden erlitten, der kaum noch zu reparieren ist.“

      „Elli, du sprichst mir so recht aus dem Herzen! Ich muss dir Recht geben. Auch ich habe wie du genug! Gut, dass meine Tochter schon längst verheiratet ist und nicht mehr bei uns wohnt“, sagte Doris zum Schluss, „das beruhigt mich außerordentlich; sonst hätte ich nämlich ein furchtbar schlechtes Gewissen, mich scheiden zu lassen.“

      „Was ich dir noch sagen wollte, Doris, auch Jupp betrügt mich schon seit Anbeginn unserer Ehe, er glaubt, ich hätte von all dem keine Ahnung und nichts mitgekriegt. Aber wir ahnungsvollen Frauen spüren dies intuitiv. Wir schauen nur traurig und hilflos zu, wohl wissend, wir können daran nichts ändern wegen unserer Ohnmacht. Ich verstehe nicht, warum manche Männer fortwährend betrügen müssen. Wer nicht treu sein kann, soll auch nicht heiraten, finde ich und sage und unterstreiche es in aller Strenge. Jupp und Adam hätten Junggesellen bleiben sollen. Sie haben sich auf ein für sie verbotenes Gebiet gewagt, das ihnen nicht zusteht. Sie haben keine Ehefrauen verdient!“

      Wir Frauen haben sie nie betrogen“, sagte Doris, „sie nie geschlagen, sondern waren ihnen untertan, immerzu treu, gingen sanft mit ihnen um, warfen ihnen nichts vor und ertrugen alles Schwere in demütiger Weise bis heutzutage, nicht wahr.“

      2. Kapitel

      Gerade stand Elli Kappel vor dem Radiogerät und hörte sich die neuen furchtbaren Corona-Nachrichten an, was sie jetzt öfters am Tage tat. Dazu unterbrach sie sogar ihre Übersetzungsarbeit. Neugierig und ängstlich verfolgte sie die schrecklichen Durchsagen, nämlich, dass heute am 13. März 2020 die Corona Pandemie, die von China ausging, bereits in Oberitalien stark wütet. Deutsche und Österreicher blickten mit Schrecken nach Süden. Bald, dachte Elli, wird die gefährliche Pandemie, gegen die es vermutlich keine Medizin und keine Impfung gibt, auch uns in Deutschland erreichen. Es wird nur noch eine Frage der Zeit sein. Elli zitterte am ganzen Leibe vor Missbehagen. Sie soll schlimm sein wie im Mittelalter die Pest, hatte sie gehört.

      Es dauerte nur wenige Tage, da vernahm sie, nun sei die Corona-Infektion auch in Österreich und Deutschland angekommen. Von da an infizierten sich täglich mehr und mehr Menschen. Es war offenbar nicht mehr aufzuhalten. Die Corona-Krise nahm unaufhaltbar ihren Lauf durch ganz Europa. Ältere Leute waren am meisten betroffen; unter ihnen gab es viele Tote. Elli steigerte sich allmählich in eine Angstneurose hinein. Es war nicht gut für sie, stündlich Corona-Nachrichten zu hören, sondern hätte es lieber unterlassen sollen. Morgens, wenn sie aufwachte, machte sie sofort das Radiogerät an, um zu hören, wie sich die Pandemie verbreitete. Ein Jammer, der nun die ganze Welt ergriff. Das öffentliche Leben wurde lahm gelegt und in den Großstädten wurde es plötzlich still wie in einem Wald. Die verhängte Quarantäne wirkte. Niemand durfte mehr nach draußen gehen, außer zum Supermarkt, zur Apotheke oder zum Arzt. Straßen und Gehwege wurden fast leer, Städte schienen unbewohnt. Die Welt versank in einen Dornröschenschlaf. Aber man konnte jetzt Wohnungen besser lüften, ohne Angst haben zu müssen, seine Lungen mit Feinstaub und Autoabgasen zu verpesten, was der einzige Vorteil war. Die autoleere Stadt machte die Luft auf einen Schlag sauberer. Dies fand sie prima. Jetzt blieben die Menschen daheim in ihren vier Wänden und gingen oder fuhren nicht mehr zur Arbeit außer diejenigen, die in systemrelevanten Berufen tätig waren wie Ärzte, Krankenschwestern, Apothekerinnen, Altenpflegerinnen, Supermarktbedienstete, Lastwagenfahrer, die lebensnotwendiges Gut beförderten. Geschlossen wurden ab sofort Geschäfte, Gaststätten, Cafés, Kirchen, Museen, Ausstellungen, Pinakotheken, Kultureinrichtungen jeder Art, Sportstätten, alles musste augenblicklich schließen, außerdem Schulen, Kitas, Bordelle, Universitäten usw. Kein Flug fand mehr im Innland oder ins Ausland statt und deutsche Urlauber wurden noch schnell aus fernsten Ländern heimgeholt, so auch Jupp Kappel, der sich überall auf der Welt mehr zuhause fühlte als bei Elli daheim. Nun, nachdem er zuhause eintraf, musste er schön brav das Haus hüten. Seine Frau, die er im Laufe der Ehe satt bekommen hatte, musste ihm Gesellschaft leisten und ihn bedienen von früh bis spät. Sie wusch seine Schmutzwäsche, bügelte, ging einkaufen kochte, putzte und so weiter und so fort. Dass er bekocht und verwöhnt wurde, war ihm während dem Lockdown unsagbar wichtig.

      Nach ihren Übersetzungsarbeiten am Vormittag spazierte Elli im hauseigenen Park herum. Freilich der schöne Park würde ihr im Falle der Trennung sehr fehlen. Aber sie hatte genug von Jupp, der sie all die letzten Jahre mit häuslicher Gewalt konfrontiert hatte. Nun beruhigte er sich mit Wein, zwei Flaschen am Tag. Sie wollte fort von ihm, allerdings musste zur Zeit wegen Corona alles verschoben werden. Man stellte sich aufs Warten ein. Elli konnte ihre Freundin jetzt im beginnenden Frühling nicht zu sich einladen, was sie vorgehabt hatte. So telefonierten sie weiterhin miteinander, auffällig oft, meistens, wenn sie im hauseigenen Park spazieren ging, fern von Jupp, der sich meistens im Hause aufhielt, murrend und stöhnend. Und falls Jupp plötzlich im Park erschien, steckte sie sofort ihr Smartphone ein, denn er sollte von ihrem Telefonat mit Doris nichts mitbekommen. Nicht dass er von ihren Plänen hörte und sie davon mit Gewalt abhielte. Sie hatten sich ja schon lange nichts mehr zu sagen und obwohl er seit einem Jahrzehnt nicht mehr mit ihr geschlafen hatte, machte er jetzt in der Corona-Krise manchmal Anzeichen, sie zum Sex zu zwingen. Es fehlte ihm sein sonstiges außereheliches Sexangebot. Nach Ellis Weigerung, setzte er sich voller Wut ins Auto und fuhr fort. Leise hatte er sich zuvor an sie herangemacht und ihr verführerisch ins Ohr gehaucht: „Hättest du jetzt Lust, Schatz? Komm mit!“

      „Nein“,