Agnes Schuster

Im Schatten der Corona


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und her wackelte. Der Universitätsprofessor, so wie er sich auch nannte, obgleich er eher nur ein einfacher Aushilfsdozent war, schreckte vor gar nichts mehr zurück; er hatte sich das Schlagen schon früh nach den ersten Ehejahren angewöhnt und sich nicht geniert. Der Traum ist aus, dachte damals Elli voller Schreck. Ihre vorerst so große Liebe zu ihm starb langsam hin.

      „Komm schon“, drohte er ihr, als er nach der offenbar erfolglosen Ausfahrt nachhause kam, „ich brauche dich jetzt!“ Und als sie sich wieder weigerte, zog er sie gewaltsam an den Haaren mit sich fort, wobei sie sich sträubte, so gut sie nur konnte. Er gab ihr etliche Fußtritte und schleifte sie am Boden entlang und warf sie grob in sein Bett, aber ihr gelang es, ihm zu entkommen. Anschließend sagte er: „Du bist keine Frau mehr! Du hast mir zu gehorchen! Du darfst dich nicht verweigern, sondern musst mir dem Gesetz der Ehe nach gehorchen und gefügig sein! Komme mir nächstes Mal also mehr entgegen! Eine Frau, die sich dabei sträubt, halte ich für unmöglich.“

      „Muss ich nicht“, schrie sie, aufgelöst in Tränen und Schluchzen. „Ich bin dir nicht verpflichtet, bin dir nicht hörig, da täuscht du dich gründlich. Es soll dergleichen freiwillig geschehen und alles andere fällt heutzutage in die strafbare Rubrik Vergewaltigung, auch in der Ehe, so steht es geschrieben, falls du das heute noch nicht weißt.“ Sie merkte, dass er große Augen machte und dann sich abwandte und nach draußen ging, um wegzufahren.

      3. Kapitel

      Am nächsten Morgen verkündete er ihr eine Neuheit: „Ich brauche eine neue Frau, denn mit dir kann ich nicht mehr leben! Du engst mich ein, würgst alles ab. Dein Starrsinn bringt mich noch um den Verstand. Auch das Reisen fällt jetzt flach, was immer meine Flucht aus der häuslichen Enge darstellte. Ach, welch großes Unglück mich jetzt trifft! Es ist geradezu zum Verzweifeln, ja, unerträglich, bei dir zuhause zu bleiben. Das halte ich einfach nicht aus. Ich muss fort. Das Leben hat sich für mich seit der Pandemie verkehrt und total verschlechtert. Mein Leben ist sinnlos geworden. Ich ertrag es nicht mehr.“

      Elli schwieg. Warum sollte sie ihn jetzt trösten, ihn, der sie ein Leben lang quälte und vernachlässigte? Alles zog er ihr vor. Er hatte sich nie bemüht, ein gutes eheliches Verhältnis mit ihr aufzubauen. Vor keiner Freveltat schreckte er zurück. Von nichts kommt nichts! Er hatte sie zutiefst beleidigt, beleidigt an einem Stück. Sie hatte kein Herz mehr für ihn, den sie doch einmal so feurig geliebt, aber nun möglichst schnell loshaben wollte. Ohne ein Wort zu sagen, ging sie in ihr Schreibzimmer. Er rief ihr noch nach: „Ja, du bist es gewohnt, zuhause hinter deinem Schreibtisch zu sitzen und deine Übersetzungen zu machen, ohne jegliche soziale Kontakte. Eine Solidarität zu andern kennst du nicht. Hauptsache, dir geht es gut und man lässt dich in Ruh. Darum fällt dir die Quarantäne auch leicht, mir jedoch nicht, der ich täglich aus dem Haus muss, im Universitätsleben beheimatet bin, der viel mit der Studentenschaft und Kollegschaft verkehrt und eine Menge noch andersartiger schwieriger Kontakte pflegt, von denen du gar keine Ahnung hast. Mir fehlt jetzt der Umgang mit Menschen ganz empfindlich. Ich könnte schreien! Ich bin nämlich im Grunde ein ungewöhnlich leutseliger Gesellschaftsmensch, anders als du auf Gesellschaft getrimmt und angewiesen wie der Wald auf Bäume und Regen.“

      Auch mir fällt es schwer, Quarantäne einzuhalten, dachte sie, während sie in ihre Schreibstube eintrat und die Türe hinter sich schloss. Zweimal drehte sie den Schlüssel herum. Er soll mich nicht wieder überfallen können und zum Sex zwingen, dachte sie. Dann trat sie ans Fenster und sah hinaus, während sie dachte: Oft stehe ich hier am Fenster, starre hinaus auf ungewohnt verödete Straßenverhältnisse, beobachte mit Sorge die wenigen Vorgänge und Abläufe, die sich draußen noch abspielen, als stehe uns der Weltuntergang bevor, sehe nur vereinzelt und selten noch Mitmenschen, die wahrscheinlich zum Supermarkt eilen oder zum Arzt gehen oder vielleicht Sport betreiben. Jeder hat seinen besonderen Grund nach draußen zu gehen. Ohne triftigen Grund geht niemand mehr nach draußen. „Gehe doch auch nach draußen und treibe Sport, sagte ich gestern zu Jupp, weil er mir trotz allem erbarmte, „mache einen kleinen Dauerlauf, das darfst du doch. Sport darf man betreiben, wurde am Radio gesagt, oder ergehe dich öfters im Garten, so wie ich das täglich tue, hole dort tief Luft oder lese in einem spannenden Buch, was dich auf andere Gedanken bringt, dich vom Alltagsdruck befreit. Du befasst dich nur mit Fachliteratur, mit Expertisen, das ist zu wenig und auch in unserer jetzigen angespannten Situation abwegig und nicht wünschenswert, weil sie nicht entspannt und auch nicht in Bann schlägt, oder du schaust fern, nicht wahr, das kann dich auf Dauer auch nicht befriedigen.“

      „Mich interessiert kein fachfremdes Buch mehr, ob es mich entspannt oder nicht“, hatte er daraufhin frostig erwidert. „Meine Fachwelt hat mich ganz aufgesaugt. Darin bewege ich mich, darin ruhe ich mich aus. Romane sind seltsame Gebilde aus Fiktion und Traum. Sie langweilen mich Wissenschaftler tödlich, und halte ich einen Roman zufällig in der Hand, überkommt mich ein Ekel, es würgt mich geradezu, daraufhin muss ich ihn schnell zurück ins Regal stellen, bevor mir übel wird und ich erbrechen muss. Wahrheiten will ich lesen, denn ich bewege mich in der realen wirklichen Welt. Fantasie und Fantastereien sind nicht mein Fall.“

      Elli sah ihn später sein Fahrrad aus der Garage schieben und wegfahren. Er hatte also ihren Rat befolgt. Sie aber ging in den kleinen Park hinaus, der zum schönen großen umfangreichen Anwesen gehörte. Sie wusste, alles, was sich jetzt zwischen ihnen noch abspielte, war Schein und Rauch. Eine Feindschaft, Gegnerschaft und Rivalität herrschte zwischen ihnen. Ihre einstige Liebschaft war längst erkaltet und zu Eis gefroren. Ein Dauerzustand, der nicht mehr überwunden werden konnte. Er will sie nicht mehr und sie will ihn auch nicht mehr. Die Zeit der Ehe ist vorbei. Die Ehe ist gescheitert am Unwillen beider und an ihr Ende gekommen. Die Ketten sind gesprengt, die Fesseln durchschnitten. Sie nahm ihr Smartphone zur Hand und rief ihre Wahlverwandte Doris Wick an.

      4. Kapitel

      Vogelsang empfing sie im hauseigenen Park, Schmetterlinge umgaukelten sie, Hummel summten. Der Frühling kommt, dachte sie. Alles ging ihr zu Herzen, denn trostlos und frostig war sonst ihr Leben im Hause Kappel, wo man in unruhigen Nächten nicht wusste, ob man morgens noch lebte. Lange befasste sie sich im Gehen mit dem Sinn des Lebens. Sie dachte eben auch an den wunderschönen Satz, den Jupp einmal aussprach, als er sie im Park inmitten grünem Gras und von Wildtauben umgeben stehen sah, als sie Brotbrösel ausstreute: „Du siehst aus wie eine Märchenfigur!“, sagte er. Dieser Satz gefiel ihr gut. Aber sie hätte noch viel mehr solcher Komplimente bedurft. Sie glaubte aber auch, er dachte dabei in negativer Weise an Aschenputtel, mit der sie wirklich wahlverwandt schien, ihre Eigenschaften betreffend. Langsam dämmerte es, es wurde Abend, die Frühlingssonne sank tiefer und tiefer, während sich Elli gedankenvoll unter schattigen Laubbäumen, deren hellgrünes, neues Laub im Wind säuselte, auf eine Parkbank niederließ und an ihr vergangenes Hundeleben dachte, das so glanz- und glücklos verstrich. Ich habe genug, entfuhr es ihr laut. Hat er mich nicht gestern erst wieder geschlagen? Ich bin ein versöhnlicher Mensch, gewiss, das kann man nicht leugnen, und habe trotz allem mit ihm geredet, so, als habe er mich nicht beleidigt, so, als ob keine tiefe Kluft zwischen uns läge, tiefer geht es nicht mehr. Oh, ich werde vor Freude jauchzen, wenn ich ihm entronnen bin! Wenn alles vorüber und ich in Sicherheit und Geborgenheit bin, in der Obhut von Doris. Dann werde ich wieder ruhig schlafen können und keine Angst mehr haben müssen, umgebracht zu werden. Ich werde Klavier spielen können und alles tun, was mir Freude macht, alles, was Jupp mir verboten hat. Seit einem Jahrzehnt geht das jetzt schon, dass ich unruhig schlafe und kaum ein Auge zumache. Ich bin achtsam, weil es ratsam ist, und gebe mir Mühe, herauszufinden, was von ihm auf mich zukommt, was mir von ihm droht. Es ist zwar aufwendig, mit klarem Verstand ihn zu beobachten, ohne damit müde zu werden, aber mein Leben ist es mir wert.

      Von dort aus, wo sie jetzt saß und mit Doris telefonierte, nahm sie ihr Haus in Augenschein, um ihren Mann gleich zu sehen, wenn er aus dem Haus trat; denn sie wollte sicher gehen, von ihm nicht überrascht oder belauscht zu werden, wenn sie mit ihrer Freundin telefonierte. Sie verdächtigte ihn als potentiellen Spion, der nichts Gutes im Schilde führt. Er sollte ihren Plan, auszuziehen und sich von ihm zu trennen, auf keinem Fall mitbekommen, um sie nicht daran zu hindern, damit er ihren Plan nicht zum Platzen bringe.

      „Hier ist Elli. Wie geht es dir, Doris? Ist alles in Ordnung? Noch keine Corona?“, fragte sie im Scherz.