Agnes Schuster

Im Schatten der Corona


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beileibe nicht positiv sein muss, denn die Erde braucht dringend Regen und nichts als Regen, sonst trocknet sie aus, die Wälder werden krank oder brennen ab. Schon den ganzen April 2020 ist es trocken außer einigen Regentropfen, die vereinzelt vom Himmel tropften. Heiß und trocken sind die Tage in der Großstadt, die Nächte allerdings fast noch winterlich kalt.

      Mit der Natur befassten sich auch Ellis Gedanken, denn sie liebte und sorgte sich für sie als selbsternannte Naturschützerin, die auch in ihr steckte.

      Gegenüber ihrer Stadtvilla, die Jupp gehörte, nämlich auf der Westseite, befand sich eine große Gaststätte, die nun wegen Corona geschlossen blieb. Auf der Terrasse saßen vor der Pandemie täglich massig Gäste und tranken Bier. Manchmal, wenn Elli zum Lüften am offenen Fenster stand und ein Windstoß wütend durch ihr schwarzlockiges Haar blies, kam es vor, dass Wirtsgäste, alkoholisierte Säufer, so hörte es sich an, ihr mit dem Bierkrug johlend zuwinkten. Dann dachte sie: Sie tun, als sei ich noch ein frisches junges Mädel! Jetzt aber stand die Gaststätte leer und verödet da, nur die Wirtsleute, ein Familienclan ganz besonderer Art, den sie nicht mochte, sah manchmal nach, ob ihre Kneipe noch an Ort und Stelle stünde oder ob ein Hurrikan sie bereits weggeblasen habe.

      9. Kapitel

      Elli hielt sich jetzt so viel wie möglich fern von ihrem Mann, übersetzte, kaufte im Supermarkt ein, geschützt mit einem Mund-Nasenschutz, darunter sie beinahe erstickte, weil sie an Atemnot litt, was sie schon gelegentlich bei depressiver Stimmungslage an eine verhängnisvolle gefürchtete Corona-Infektion denken ließ. Befällt sie mich, sterbe ich, dachte sie. Bisher hatte sie mit Hilfe homöopathischer Streukügelchen diese ab und zu auftretenden Beschwerden erfolgreich bekämpft, fast in Schach gehalten. Fieber hatte sie gottlob keines, jedoch Fließschnupfen, was wohl von einer Allergie herrührte. Ja, sie gab es zu, sie war eine überaus ängstliche Person, die gleich an das Allerschlimmste dachte, nämlich an COVID-19.

      Beängstigend stellte sich für sie auch der Zustand dar, nicht mehr wie sonst Spaziergänge unternehmen zu können, denn sie erschreckte sich immer, wenn ein Mensch ohne Maske dicht an ihr vorüber strich, fast ihre Kleidung berührend, ohne eineinhalb Meter Abstand einzuhalten, wie es vorgeschrieben und allgemein üblich war. Manche Leute zeigten sich eben rücksichtslos und unsolidarisch, wenn nicht gar schluderig, gaben sich in der Öffentlichkeit als unverbesserliche, ordnungswidrige Schlendrians, die sie fürchtete und denen sie, immer darauf fixiert und konzentriert, schnell auswich und den größtmöglichen Abstand zu ihnen einhielt, auch im Supermarkt, wenn ihr noch genügend Zeit dafür blieb. Diese Sorte Mensch traf sich auch verbotener Weise mit einer Gruppe anderer junger Menschen, sie setzten sich auf eine leere, ungeöffnete Wirtschaftsterrasse dicht nebeneinander, lärmte und lachte und tat so, als sei die Welt noch in bester Ordnung. Also nicht alle hielten Quarantäne ein wie die Mehrheit in Deutschland.

      Die Regale der Supermärkte waren schon lange wieder gefüllt mit allen nur möglichen Nahrungsmitteln, jetzt brauchte niemand mehr bangen, hamstern zu müssen wie noch Ende Februar und Anfang März 2020. Ja, es war alles verfügbar, sogar das plötzlich außerordentlich begehrte Klopapier, nach dem sich alle am Beginn der Pandemie rissen, das schließlich ausging und fast nicht mehr erhältlich war. Alle gewünschten Nahrungsmittel konnte Elli einkaufen. An Geld fehlte es ihr auch nicht, denn sie besaß Erspartes und diverse Immobilien, die Mieteinnahmen abwarfen. Freilich, nicht alle konnten jetzt rechtzeitig Miete bezahlen, was bei deren plötzlicher Arbeitslosigkeit und enormer Lohneinbuße verständlich war. Elli und Jupp gehörten zur Mittelschicht und waren mehr reich als arm. Sie stellte es sich nicht schwer vor bei einer Scheidung; denn sie hatten bei der Eheschließung Gütertrennung vereinbart. Die Villa mit dem kleinen Park gehörte natürlich Jupp ganz allein, was seinen Stolz ausmachte.

      Schon wurde es Mittag. Während Jupp die Zeit totschlug, stürzte sie sich aufs Kochen. Nach dem schweigsamen, bedrückenden Essen zusammen mit Jupp, der sie weder anblickte, noch ein Wort an sie richtete, so, als sei sie lediglich Luft für ihn, ging sie nach dem Aufräumen der Küche nachdenklich im kleinen Park spazieren. Was sollte sie sonst tun? Es bot sich nichts anderes an. Schließlich rief sie ihre Freundin Doris an, um Auszugspläne zu schmieden. Doris sagte: „Du, Elli, nur in einem großen mehrstöckigen Mietshaus könnten wir für uns zusammenhängende Wohnungen finden, sonst, so glaube ich, ist es schwer.“

      „Dies glaube ich auch“, meinte Elli. „Wir können uns jetzt schon umblicken und herumtelefonieren; versuchen wir doch unser Glück über Annoncen im Internet. Verschleppen wir nichts! Dort habe ich doch auch dich glücklicherweise gefunden, Doris.“

      „Das war wirklich ein Segen, Elli. Ich bin dir überaus dankbar dafür, dass du dich ins Internet begeben und dort auf mich gestoßen bist und an mir festgehalten hast bis heute. Also bemühen wir uns gemeinsam um eine Wohnung übers Internet, der demokratischen Einrichtung, die wir beide zu schätzen wissen, nicht wahr,“ meinte Doris. „Wir bereiten uns jetzt schon vor, so gut wie nur möglich, damit wir, wenn es soweit ist, sofort in die Presche schlagen können. Elli, du glaubst nicht, wie mir Adam, der Misanthrop, auf die Nerven geht, wie er mich piesackt bei geringsten Anlässen. Sofort, wenn er heimkommt, nimmt er mich in Beschlag. „Hole Bier aus dem Keller und stelle mir das Essen tipptopp auf den Tisch! Bewege dich“, schreit er, obgleich noch keine Essenszeit ist. Ein enorm grober Kerl ist er mit den Jahren geworden, sodass man sich fragt, wie eine solche enorme Metamorphose stattfinden und so ein Monster aus ihm werden konnte. Häusliche Gewalt ist für ihn selbstverständlich geworden. Keine Gewissensbisse regen sich in ihm. Er lässt nur Vorwürfe auf mich niederprasseln, die wehtun und schmerzen wie Hagelkörner, obgleich ich alles ihm zu Gefallen tue, wie einkaufen gehen, täglich für ihn kochen, waschen, bügeln, Schuhe putzen und unsere Wohnung in Ordnung halten in feinster, akribischer, penibler Weise. Aber ihm ist dies nie genug. Er wischt mit seiner Hand auf den Oberflächen der Möbel entlang und schreit: „Hab ich dich wieder erwischt! Hier liegt noch Staub! Hole dies noch nach!, sonst schmier ich dir eine.“ Und wenn ich am Nachmittag zu ihm sage: „Adam, sei so gut, mache dir heute selber den Kaffee zum Kuchen, der schon auf dem Küchentisch steht, dann meckert er sofort und sagt befehlshaberisch: „Ich bin der Herr im Haus, ich habe das Sagen, du hast mir zu gehorchen und mich zu bedienen. Koche mir also Kaffee, so wie immer! Drücke dich nicht davor! Sonst gibt es Prügel.“ So etwas wie Gleichberechtigung herrschte noch nie bei uns. Die Aufgaben zwischen uns waren streng getrennt. Ich war für alles im Haus zuständig und er nur für seine berufliche Arbeit, obgleich ich doch selber berufstätig bin, nicht wahr. Grauslich, sage ich dir, Elli, ist dieses Mannsbild. Er setzt mir zu, vergewaltigt mich jetzt bei der Quarantäne mehrmals am Tag, jetzt, wo seine Luder wegfallen und für ihn nur noch ich für Sex übrig bleibe, weil er das Haus hüten muss. Ich muss es mir gefallen lassen, sonst schlägt er mich halbtot. Freilich könnte ich ihn anklagen. Aber glaubt jemand einer Frau? Man glaubt doch immer nur dem Mann, dem versoffenen Gewalttäter, dem gewissenlosen Vergewaltiger, und nie einer braven Frau, die man immer als hysterisch und psychisch gestört einordnet, wenn sie sich beschwert, nicht wahr, das ist doch erfahrungsgemäß und erwiesenermaßen die pure Wahrheit! Das kennt jede sensible Frau, die schon einmal wegen Misshandlung mit Polizei oder Psychologen oder Ärzten zu tun hatte. Glaube nicht, Elli, dass psychologische Fachkräfte dir glauben, wenn du ihnen dein Elend erzählst. Auch sie glauben dir nichts, sondern sagen bloß lapidar: Das sind bloß Wahnvorstellungen und nicht die Wahrheit! Nein, Elli, die psychologischen Fachkräfte, die Psychiater, alte weiße Männer, die es besser wissen sollten, sind auch frauenfeindlich eingestellt, sind nicht anders zu Frauen als Polizei oder Ärzte, mit denen ich schon einmal zu tun hatte. So werden geschundene Frauen wiederum zu traurigen Opferlämmer gemacht. Und die frustrierten Frauen fangen an, all diese Therapeuten zu hassen und wieder zu hassen. Alle diese Leute halten Frauen, die ihr Leid klagen, für hysterisch, das musste ich erfahren im Laufe meines Lebens, denn ich suchte auch Therapeuten und Therapeutinnen auf, Elli, weil ich alleine nicht mehr klar und zurecht kam.“ So die Meinung und der Kommentar von Doris Wick. Es existierten zwischen beiden Frauen Schnittmengen und Parallelen. Jede sagte zu sich von der andern: Sie ist wie ich und ihr geschah wie mir. Demzufolge stellten sie eine wahre Wahlverwandtschaft dar.

      10. Kapitel

      Eines Tages musste Elli wirklich ins Krankenhaus, weil der starke Verdacht auf COVID-19 bestand, so wie sie