Annette Riemer

Das Problem mit Afrika


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liebenden und aufopferungsvollen Märtyrerin der Liebe an ihrem versehrten Gatten verklärt wurde, aber eben auch als eine an einen Krüppel verschwendete Schönheit galt.

      *

      „So kann es nicht weitergehen!“, rief Aurora verärgert in die morgendliche Stille am Frühstückstisch hinein. „Dein Afrika ruiniert mir vollständig die Nerven. Es zieht uns immer mehr aus der Gesellschaft heraus und sind wir doch einmal unter Leuten – Ich habe es satt, von aller Welt immer nur seltsame Blicke zugeworfen zu bekommen!“

      „Was für Blicke?“, tat Holger unwissend.

      „Du musst etwas unternehmen!“, entgegnete sie bestimmt. „Ich habe auch schon mit einem Fachmann darüber gesprochen und er hat mir versichert, dass es nur ein kleiner Eingriff wäre.“

      „Was für ein Eingriff?“, fragte Holger, nun doch erstaunt.

      „Ein chirurgischer natürlich!“, erklärte Aurora ungehalten. „Es wäre im Grunde nichts weiter als eine bedeutungslose Hauttransplantation, kaum der Rede wert, wobei dein Muttermal abgetragen und diese Fläche mit einem Stück Haut aus deinem Gesäß …“

      Weiter kam sie nicht, denn er war aufgesprungen und sah sie aus großen Augen an. „Und du möchtest allen Ernstes …? Das kann doch nicht die Lösung sein!“, rang er um Worte.

      „Es wäre ja nicht nur für mich – Denk doch nur an all die Einschränkungen, die auch du durch diese Verunstaltung ertragen musst. So aber könntest du wieder dein altes Leben führen, mit deinen Freunden und all den – Um Himmels Willen, so setzte dich doch endlich wieder hin! Du machst mich ja noch ganz verrückt!“, herrschte sie ihn an. Doch Holger zögerte.

      „Aber so eine Operation tut doch bestimmt weh“, meinte er mit leiser Stimme.

      „Nun sei nicht albern!“, rief Aurora. „Wenn du dich nur hören könntest! Du bekommst doch sicherlich eine Vollnarkose. Holger!“, fuhr sie in einem eindringlichen Ton fort. „Ich könnte es dir nie verzeihen, wenn du mich absichtlich unglücklich machtest!“

      Er sah sie mitleidig an, dann setzte er sich wieder.

      „Glaube mir, alles ist besser als dieses – Ding da auf deiner Brust“, redete sie mit sanfter Stimme auf ihn ein.

      „Und die Narben am Gesäß?“, fragte er, doch sie wischte seinen Einwand mit einer flüchtigen Handbewegung weg.

      „Ich bitte dich!“, rieft sie entrüstet. „Wer wird die denn jemals zu Gesicht bekommen?“

      *

      Nachdem er die Notwendigkeit einer Hauttransplantation eingesehen hatte, war ein Behandlungstermin schnell gefunden worden. Lange Tage verbrachte er nach dem Eingriff auf der Seite liegend, da ihn vorn die Brust, hinten aber das Gesäß schmerzte und ihm auch das Gehen schwerfiel, hatte ihm doch der Chirurg, um auch die unterste Spitze des Muttermals zu ersetzen, bis auf den Oberschenkel hinab Haut entfernt.

      Dann endlich war es soweit, dass auch der letzte Verband abgenommen werden konnte, und erst mit einem kritischen Blick, im nächsten Moment aber schon mit einem zufriedenen Lächeln betrachtete Holger seine Brust, auf der sich nur sehr schwach die Umrisse der eingesetzten Haut abzeichneten.

      „Die Narben werden noch weiter verblassen“, erklärte der Chirurg, „und sind erst ein paar Haarwurzeln implantiert, gibt es auf Ihrer Brust überhaupt keine Auffälligkeit mehr zu sehen.“

      Auch wenn ihn der Gedanke an eine weitere Operation beunruhigte, nickte Holger zu den Worten des Arztes, konnte er doch nichts mehr an sich ausmachen, dass auch nur entfernt an Afrika erinnert hätte. Selbst die Umrisse der Narben ergaben eine ganz andere Form. „Wie kommt das?“, fragte er.

      „Um sämtliche Hinweise auf das Muttermal und seine Form zu tilgen, mussten wir ein etwas größeres Stück Haut von Ihrem Gesäß entfernen, mit dem dann der zu ersetzende Hautausschnitt freizügiger ersetzt werden konnte. Sehen Sie?“

      Langsam drehte sich Holger vor dem ihm hingehaltenen Spiegel und erschrak. „Das ist ja riesig!“, stieß er entsetzt aus.

      „Ich weiß nicht, was du hast“, ergriff sofort Aurora das Wort. „Dort hinten siehst nicht einmal du selbst so genau hin. Und wenn doch, so kannst du dir ja einreden, die nachgewachsene Haut sähe wie – Argentinien aus. Lieber Südamerika am Arsch als Afrika auf der Brust“, beschied sie spöttisch.

      „Ich weiß nicht“, meinte er zögernd. Die Größe der rötlich schimmernden Hautpartie irritierte ihn. „Argentinien? Und der separate Fleck dort unten, auf dem Schenkel?“

      „Meinetwegen die Falklandinseln“, tat Aurora seine Bedenken ab.

      „Auch diese Fläche wird noch an Farbe verlieren“, warf der Chirurg ein. „Am Ende wird nichts mehr zu sehen sein.“ Er hielt den Spiegel etwas gefälliger zum Licht. „Na, was meinen Sie?“

      Holger war noch immer unschlüssig, was er von der überraschend großen Fläche künstlicher Haut auf seinem Gesäß und vor allem von der weiter unten gelegenen Partie halten sollte. „Die Falklandinseln gehören gar nicht zu Argentinien“, murmelte er vor sich hin.

      *

      Die Narben auf Holgers Brust heilten derart gut aus, dass er, auch da sich allen ärztlichen Prognosen zum Trotz ein üppiger Haarwuchs auf der transplantierten Haut einstellte, sein altes Leben wieder aufnehmen konnte, ohne sich noch einem weiteren Eingriff unterziehen zu müssen. Bald schon hielt er sich mit Geschäftspartnern und Freunden wieder auf dem Tennisplatz, im Schwimmbecken oder in der Sauna auf. Holgers unverhoffte Rückkehr, die er als durch verbesserte, seine immer noch ungenannte körperliche Beeinträchtigung minimierende Medikamente ermöglicht erklärte, stieß auf großen Zuspruch.

      Er fühlte sich nun, da er nichts mehr zu verbergen hatte, wie befreit und genoss eine zurückgewonnene Selbstsicherheit. Dass die neue Haut am Gesäß und besonders jene von Aurora so genannte Falklandinseln nicht ebenso problemlos verheilten wie das Transplantat auf seiner Brust, bekümmert ihn nicht. Wie auch sein Umfeld achtete er wenig auf diesen Teil seines Körpers, erklärte die Wunde als harmlose Folge eines Reitunfalls und empfand es als äußerst lästig, sich von seiner Frau die für ihn nur schwer zu erreichende allabendlich mit Salben und Pudern versorgen zu lassen.

      Während Holger seine wiedergewonnenen Freiheiten genoss, erfüllte Aurora das veränderte Leben an seiner Seite mit grenzenloser Schwermut. Hatte sie vor der Operation darunter gelitten, ausschließlich als die an einen Behinderten vergeudete Schöne zu gelten, musste sie nun, nachdem seine Behinderung aufgrund der von ihm an den Tag gelegten Körperlichkeit an Brisanz verloren hatte, schmerzlich erkennen, dass sich die Gespräche der Freundinnen kaum mehr um sie kreisten. Aurora litt darunter, nicht alle Aufmerksamkeit auf sich gelenkt zu wissen, und stattdessen wie jede andere auch mit Charme und Esprit um eine Teilhabe am Gespräch buhlen zu müssen.

      Um ihr Vergnügen gebracht, beäugte Aurora neidisch, wie gewandt und fordernd sich Holger in der Gesellschaft bewegte, während sie neben ihren Freundinnen völlig austauschbar nur eine von all den übrigen, gewöhnlichen Gattinnen war. Unter diesen Umständen widerstrebte es ihr zutiefst, allabendlich zu Holgers weiterer Genesung und damit zu einer weiteren Verschlechterung ihrer Lage beizutragen, und nur spärlich trug sie Salbe und Puder auf. Er aber erkannte ihre Zurückhaltung, wenngleich auch nicht ihre Motive dafür, und mahnte sie mit einer ihr vollkommen unbekannten Bestimmtheit, sich gewissenhafter seiner Wunden anzunehmen. Und so begann Aurora, empört über diese fordernde Haltung und seine Blindheit für ihr Leid, die Salbe mit ruppigen Handbewegungen in das empfindsame Narbengewebe einzumassieren, und freute sich insgeheim über die kleinen, schwach blutenden, doch äußerst schmerzhaften Risse, die sich unter ihrer besonderen Kur auftaten.

      Schnell fühlte sie sich von der Lust ergriffen, ihn mit ihrer Behandlung abzustrafen für all die Missachtung, die ihr zuteil wurde nun, da er kaum noch als ernsthaft behindert galt. Sie schabte immer wieder so unauffällig wie möglich und doch unablässig über die blutdurchtränkten, sich auftuenden Narben, und ersehnte dabei nichts mehr als sein gepresst ausgestoßenes Stöhnen, dem sie